Festspiele Erl„Il trovatore“ als Gefühlskraftwerk

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Nicht nur Dirigent Asher Fisch applaudiert Pretty Yende als Leonora und Mattia Olivieri  als Graf Luna bei „Il trovatore“ in Erl.
Nicht nur Dirigent Asher Fisch applaudiert Pretty Yende als Leonora und Mattia Olivieri  als Graf Luna bei „Il trovatore“ in Erl. (Foto: Scheffold Media)

Die Festspiele in Erl warten nicht nur mit viel Starglanz auf – die konzertante Aufführung von Giuseppe Verdis „Il trovatore“ überzeugt auch musikalisch derart, dass sich der Eindruck festigt: In Erl spielt man neuerdings international ganz vorn mit.

Kritik von Michael Stallknecht

In Erl beginnt die Vorstellung noch vor der Vorstellung: Als der italienische Bariton Luca Salsi im Publikum Platz nimmt, wird er mit Bravorufen gefeiert, für den Rigoletto, den er hier am Vorabend gesungen hat. Etwas weniger schon Jonas Kaufmann, den man hier inzwischen kennt, als Intendanten, der bei den Tiroler Festspielen für zuvor unbekannten Starglanz sorgt. Verdichtet zum Ende seiner ersten Sommerfestspiele in der „Trilogia popolare“, der konzertanten Aufführung der drei bekanntesten Opern aus den mittleren Jahren Giuseppe Verdis.

Verdis „Il trovatore“ zu besetzen, soll Kaufmanns Kollege Enrico Caruso gesagt haben, sei schließlich ganz einfach: Man brauche nur die vier besten Sänger der Welt. Ob Erl wirklich die vier besten für den „Troubadour“ gefunden hat, darüber wollen wir nicht streiten. Klar ist spätestens zur Pause: Mit Pretty Yende als Leonora, Mattia Olivieri als Luna, Piero Pretti als Manrico und Elizabeth DeShong als Azucena spielt man neuerdings ganz vorn mit, international.

Wie sie klingen? Laut erst mal, so laut, dass es die Akustik des Festspielhauses fast sprengt. Das soll keineswegs heißen, dass unelegant gebrüllt würde. Dafür denken alle vier viel zu sehr mit in den Situationen, die sie auch darstellerisch lebendig werden lassen, auswendig natürlich. Aber sie lassen doch erleben, warum diese Oper trotz ihrer schrägen Handlungslogik so erfolgreich geworden ist: weil sich die Figuren bedingungslos mitreißen lassen von ihren Gefühlen.

So eifersüchtig wie Mattia Olivieri den Grafen Luna zeichnet, können wahrscheinlich nur italienische Männer werden. Sein Bariton ist Testosteron pur, dabei keineswegs undifferenziert. In der Kantilene „Il balen del suo surriso“ glänzt er auch mit Ebenmäßigkeit, makelloser Phrasierung, genau abschattierten Vokalfarben. Luna, der Fiesling im Stück, wird darüber unvermutet zum Mittelpunkt. Elizabeth DeShong überschüttet Azucena mit ähnlich süffigem Legato, kann ihrer herben Mezzotiefe immer noch eine Extraportion Butter mitgeben. Wie umstandslos sie zwischendrin in mädchenhafte Farben wechselt, Azucena von einer unschuldigeren Zukunft träumen lässt, ist sensationell.

Die beiden hohen Stimmen müssen auf Raffiniertes setzen. Dass sich Pretty Yende der Leonora eher aus dem Koloraturfach angenähert hat als aus der des lyrischen Soprans, hört man an der Perfektion der Triller und Fiorituren, in der zweiten Arie aber auch an ein paar gläsernen Höhen. Was überzeugt, ist die Feinheit, mit der sie Linien ausspinnt, durch Schwelltöne belebt, immer wieder ins Piano führt. Und die berührende Intensität, die sie aus dem Text entwickelt. Bei Piero Pretti ist die Mittellage nicht optimal gestützt, die Höhe allerdings klingt so feurig und zugleich elegant, wie man es von einem Tenor wünscht. Die berühmte Stretta des Manrico krönt er mit einem bombensicheren hohen C.

Das Ergebnis ist Oper, wie nur Oper sein kann

Und um die fünfte, nur etwas kleinere Rolle nicht zu vergessen: Der Bass Alexander Köpeczi gibt der Erzählung des Ferrando gleich zu Beginn so viel Klang und Prägnanz, dass man von der ersten Minute an reingezogen wird. Und dann wäre da natürlich noch der von Olga Yanum einstudierte Festspielchor, alles andere als Nebensache im „Troubadour“: Er hat die Schlagkraft für den „Zigeunerchor“, kann tobende Massen entfesseln, bietet aber auch makellose Diktion im raschen, rhythmisch vertrackten Parlando.

Zusammengehalten wird das alles von einem Dirigat, das der Emotion nie im Weg steht, dabei aber klug disponiert: Chefdirigent Asher Fisch zeichnet Verdis Partitur in pointierten Konturen; das Festspielorchester klingt transparent unter seiner Leitung und verleiht der schlagfertigen Dynamik klares Relief. Das Ergebnis ist Oper, wie nur Oper sein kann: monumental auch ohne Inszenierung, Gefühlskraftwerk ohne alle Rücksicht auf Handlungslogik, ein bisschen Stierkampf auch, durchbrochen immer wieder von frenetischem Zwischenapplaus. Haben wir etwas vergessen? Ach ja, im Publikum saß auch Anna Netrebko. Man dürfte noch einiges hören aus und in Erl in den kommenden Jahren.

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