Festivals in München:Rock im Regen

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Mitte der Neunzigerjahre gastierte "Rock im Park" im Münchner Olympiastadion. Nun soll "Rockavaria" an alte Erfolge anknüpfen.

(Foto: Frank Leonhardt/dpa)
  • Klassische Open-Air-Festivals gab es in München bis Anfang der Neunzigerjahre nicht.
  • Erst 1993 rief Veranstalters Marcel Avram auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Riem ein dreitägiges Festival ins Leben, das jeden Tag 75 000 Menschen besuchten. Ein Jahr später wurde daraus "Rock in Riem".
  • Nun soll mit dem Festival "Rockavaria" im Olympiapark wieder ein großes Open-Air-Festival in München etabliert werden.

Von Franz Kotteder

Älter werden hat auch Vorteile. Irgendwann ist es so weit, dass man nicht mehr mit dem Nachwuchs zelten gehen und sich auf dünnen Luftmatratzen die Wirbelsäule verrenken muss, sondern elegant auf die Zahl der Jahre, die man auf dem Buckel hat, verweisen kann: "Kinder, in meinem Alter ist das nichts mehr." Auf diese Weise kann man einer Menge Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen.

Theoretisch gilt das natürlich auch für Open-Air-Festivals. Irgendwann müsste man ja raus sein aus dem Alter, in dem man klaglos bei strömendem Regen vor riesigen Bühnen und Lautsprechertürmen steht, um sich beschallen zu lassen. Und die gefühlte Wahrheit besagt eindeutig, dass Rockkonzerte unter freiem Himmel in München zu 80 Prozent an Regentagen stattfinden. Trotzdem scheint das Publikum bei den Freiluftfestivals gleichsam mitzualtern mit den Stars auf der Bühne.

Im Theatron fand das regionale Woodstock statt

Ob das an den saftigen Eintrittspreisen liegt, die man sich als junger Mensch halt nicht so oft leisten kann? Oder an einer gewissen Nostalgie, die viele empfinden, wenn sie an die großen Festivals vergangener Zeiten zurückdenken? Man muss ja nicht gleich bei Woodstock landen, der Blaupause für alle Freiluftrockfestivals überhaupt: In Woodstock wurde die Idee von Love, Peace und Happiness und dem ganzen Kram drumherum geboren. Der Konzertfilm zum Festival machte dann endgültig eine Legende daraus, und wer in den Siebzigerjahren im Großraum München aufwuchs und sich auch nur ein bisschen für Popmusik interessierte, der hat selbstverständlich gerne den Überlängenaufschlag im Cinema-Kino an der Nymphenburger Straße bezahlt, um ihn mindestens einmal zu sehen. Und an den Sommersonntagen ging es dann hinaus zum Olympiapark ins Theatron, weil dort das regionale Woodstock stattfand.

Ein bisschen kleiner halt, mit Bands aus dem Umland statt mit Santana, The Who oder Jimi Hendrix, und mit ein paar Hundert Besuchern und nicht 300 000. Manche kifften trotzdem wie die Weltmeister und fühlten sich unendlich lässig, auch wenn es nach den Konzerten mit dem Radl wieder heim ins Neubaugebiet mit dem schönen Namen Blumenau ging, das man bestenfalls noch des Namens wegen irgendwie mit Flowerpower in Verbindung bringen konnte.

Man kann daraus schon ablesen: Die Weltstadt München hatte vielleicht vieles, aber lange Zeit kein ordentlich weltstädtisches Rockfestival. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass es nicht besonders viele Orte in der Stadt gab, an denen Platz für 75 000 Menschen war nebst großen Campingflächen. Hinzu kam das Ruhebedürfnis der Münchner: Damals mussten die Wirte ihre Freischankflächen meist um zehn Uhr geräumt haben, und Kneipen, die nach eins noch offen hatten, gab es gerade mal eine Handvoll. Wer wollte da am Wochenende drei Tage lang Halligalli?

Die Rolling Stones spielten in den Achtzigern im Olympiastadion

Offenbar waren das dann aber doch eine ganze Menge Leute. Denn Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre kam dann Bewegung in die ganze Sache. Eigentlich ist das nicht verwunderlich, schließlich war München wegen seiner Studios und als Sitz großer Plattenfirmen ja durchaus eine Nummer in der Popszene. Große Konzerte gab es hier auch immer wieder, die Rolling Stones zum Beispiel spielten in den Achtzigern schon im Olympiastadion, ausgerechnet mit Peter Maffay im Vorprogramm, der damals den heftigen Unmut der Fans mit voller Breitseite abbekam. Aber das klassische Open-Air-Festival mit vielen Bands und viel Publikum, das gab es bis dahin nicht hier.

Das änderte sich erst 1993. Ein Jahr zuvor war der Flughafen von Riem ins Erdinger Moos umgezogen, und der Münchner Konzert- und Partyveranstalter Wolfgang Nöth hatte gerade zusammen mit Gabi Scheffel die leer stehenden Hallen angemietet und zur größten Vergnügungsmeile Europas umgestaltet. Da lag der Gedanke nicht fern, auf dem riesigen Rollfeld und drumherum ein Festival zu veranstalten. Die Agentur Mama Concerts des Veranstalters Marcel Avram traute sich, und 75 000 kamen an jedem der drei Tage hinaus nach Riem. Man muss sagen: Ein Wunder, dass niemand ertrunken ist in den Zelten und auf dem Festivalgelände; es herrschte Dauerregen, und spätestens am zweiten Tag standen die Besucher bis zu den Knöcheln im Matsch. Egal: Sobald Rod Stewart "I Don't Want To Talk About It" anstimmte, flossen die Tränen der Liebeskummergeschädigten und die Feuerzeuge gingen an unter den Regenschirmen. Prince, der sich gerade in The Artist Formerly Known As Prince umbenannt hatte, spielte am ersten Tag nicht nur als Letzter auf der großen Bühne, sondern legte anschließend um zwei Uhr nachts gleich noch ein weiteres Konzert in der Charterhalle nach. Davon schwärmen jene, die dabei waren, noch heute. Ansonsten: viel musikalischer Mainstream von Joe Cocker bis Tina Turner.

Bei "Rock in Riem" spielten Aerosmith und Peter Gabriel

Im Jahr darauf gab es noch einmal ein Festival in Riem, Avrams ehemaliger Partner und inzwischen längst Konkurrent Marek Lieberberg rief "Rock in Riem" ins Leben, 22 Bands traten auf, an der Spitze Aerosmith und Peter Gabriel, ansonsten etwas ausgefallener im Programm, mit härteren Acts, die nicht alle die breite Masse ansprachen. Danach war Schluss mit Festivals in Riem, die Stadt begann mit dem Bau der neuen Messe. Sowohl Avram als auch Lieberberg zogen um ins Olympiastadion und konkurrierten 1995 um die Fans mit gleich zwei Festivals zu den damals recht saftigen Preisen von rund 90 Mark, über die man heute nur noch milde lächeln kann. Der Vorteil: Das Olympiastadion ist teilweise überdacht, man stand also nicht nur den ganzen Tag im Regen.

Schon ein Jahr später fand das letzte Festival in Riem statt. Avram hatte wegen des kommerziellen Misserfolgs das Handtuch geworfen, und Lieberberg zog mit "Rock im Park" nach Nürnberg um. Einmal hieß es, die Stadt wolle 1997 lieber ein Leichtathletikfest im Stadion, dann wieder, die geforderte Stadionmiete sei zu hoch. Danach gab es noch das eine oder andere Festival außerhalb der Stadt, auf dem Flughafengelände in Neubiberg. Seit 1999 ist damit aber auch Schluss, und aus Plänen, das Bauma-Gelände auf der neuen Messe in Riem für Open-Air-Festivals zu nutzen, wurde auch nichts.

"Rockavaria" ist nun also ein neuer Versuch, ein Festival großen Stils in München zu etablieren. Das Gelingen hängt auch davon ab, ob die Münchner Fans aus dem Alter raus sind oder nicht - denn Campingplätze, sonst üblich bei großen Festivals, hat man diesmal gar nicht erst eingeplant.

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