Süddeutsche Zeitung

Brauchtum:Erstes Jodel-Festival in München

Im Volkstheater und der Allerheiligen-Hofkirche ist zu hören, wie urmenschlich-international diese Gesangstechnik ist - und wie sie sich entwickelt hat.

Von Christian Jooss-Bernau

Es braucht gar keine Lederhosn, keine Dirndl. Man kann auf die Almen verzichten, auf die Kühe und das Edelweiß. Und auf die Berge. Man kann die Zeit zurückspulen, bis es 1932 ist und in Amerika zum ersten Mal Johnny Weissmuller in den Kinos als "Tarzan The Ape Man" zu sehen ist. "Primitive life and unfettered love" pries der Trailer.

Wie das unzivilisierte Leben so klingt, in dem die zügellose Liebe noch möglich ist, erlebte der Kinogänger noch bevor er Tarzan sah: der Schrei, bis heute durch keinen Versuch, Tarzan schreien zu lassen, übertroffen. Anfangend im Brustton, die Stimme kippend ins Kopfregister, als Triller endend. Es lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wie dieser Schrei aufgenommen wurde, noch von wem. Nur eins ist gewiss: Tarzan jodelt.

"Das Jodeln ist die perfekte Kulturtechnik, auch interkulturell mit Leuten in Kontakt zu kommen. Es ist ja textloses Singen", sagt Magnus Kaindl, der im Kulturreferat der Stadt München mit Eva Becher für Volkskultur zuständig ist. Was Tarzan und Jane betrifft, hat er schon mal recht. Wie das Jodeln die Menschen aktiviert, das erleben Becher und Kaindl seit sechs Jahren, in denen die von Traudi Siferlinger angebotenen Jodelkurse überrannt werden. Zum ersten Mal hat man nun Workshops, öffentliches Wirtshausjodeln im Fraunhofer und zwei Konzerte im Volkstheater und in der Allerheiligen-Hofkirche zu einem Festival gebündelt. "Laut yodeln" heißt es, weil es leise eben nicht geht.

"Das Jodeln ist im Alltag verortet", sagt Becher. Sei es, dass es in ein religiöses Ritual eingebunden ist, sei es, dass es dazu dient, sich über Distanzen verständlich zumachen oder Tiere zusammenzuholen. Vielleicht ist es die praktische Seite des Jodelns, die es so anschlussfähig macht für so viele Kulturen und Musikstile. 1998 erschien beim Münchner Label Trikont die CD-Compilation "American Yodeling".

Dies und die Tatsache, dass Trikont seit Jahrzehnten die bayerische Kultur maßgeblich aufbereitet und dokumentiert, brachte das Kulturreferat dazu, das Label zu kontaktieren, um gemeinsam zu planen. "Die sind unterschätzt in ihrer Arbeit", lobt Eva Mair-Holmes von Trikont die Volkskulturabteilung. Im Nachklang soll es im Herbst auch eine CD geben, zusammengestellt aus Mitschnitten der Konzerte. Mair-Holmes kann sich gut vorstellen, die Live-Aufnahmen um eine zweite CD zu erweitern, die - "Yodeling Around The World" - eine global jodelnde Compilation wäre.

Eine ganz spezielle Gesangstechnik

Herausgeber der CD wird Christoph Wagner sein. Wagner war schon der Mann hinter den amerikanischen Jodlern, er ist Musikjournalist, wohnt zwar in England, stammt aber unüberhörbar aus Baden-Württemberg. Selber ein Auswanderer hat er sich immer für, wie er es nennt, "Musikmigrationen" interessiert und seinerzeit eine Doktorarbeit über die Sozialgeschichte des Akkordeons geschrieben.

Als Gesangstechnik ist Jodeln im Kern das Umkippen von der Brust- in die Kopfstimme. Der Moment des Umkippens der Stimme, sagt Wagner, er sei lauter als das normale Singen. Das macht den Jodler zum idealen Signalruf. Im Alpenraum verbindet er Alm und Tal. Im afrikanischen Urwald verständigen sich so manche Volksgruppen auf der Jagd, wenn sie außer Sicht geraten. Baka Beyond heißt die Band, die am 3. Juni im Volkstheater zu hören sein wird und die die Tradition des afrikanischen Jodelns in ihre Musik eingebaut hat. Am selben Abend sind auch Black Patti und Yellow Bird  gebucht.

Bei ersteren, einem Münchner Duo, ist das Jodeln im Kontext der Blues- und Countrymusic zu hören, bei zweiteren kommt es im Hillbilly-Gewand daher. Hier scheint eine andere Art der Kulturmigration auf. Es war Anfang es 19. Jahrhunderts, als eine Gruppe wie die Geschwister Rainer ihre Jodler aus dem Zillertal in die Welt trug. Der englische König Edward ließ ihnen Fantasiekostüme schneidern. Die Rainers nannten sich fortan auf Visitenkarten stolz "The Royal Tyrolese Singers". In Amerika wurden sie ab 1839 begeistert empfangen. Vier Jahre lang inspirierten sie Menschen von New York über Boston bis Pittsburgh - auch zur Gründung eigener Gruppen.

Die Verbindung von Klang, Kostüm und, nach dem ersten Weltkrieg, bei den Berner Gebrüdern Moser, einem Matterhorn-Bühnenbild ist schlagend. In Disneys "Scheewittchen" jodeln die Zwerge, über "The Sound of Music" muss man nicht reden. "Im Ausland präsentiert man immer das Klischee", sagt Wagner. Jodeln, dieser archaische Gesangsstil, der schon im Umkippen der Stimme hart gegen den Kunstgesang und seine weichen Übergänge steht, lässt sich zum Kitschigen verzerren. Wagners These: "Wenn man die Berge verlässt und nichts mehr damit zu tun hat, kann man sie idealisieren und alles verbrämen."

Bei Jimmie Rodgers kann man hören, wie das Yodeln integriert wird in den Mischmasch dessen, was die amerikanische Volksmusik ausmacht und was zum Gärbecken einer kommenden Popkultur wird. Der Blue Yodler ist nonverbale Fortführung der Gesangsstrophe. Bei Tampa Red kommt der Jodler tatsächlich im Blues an. "Weil er keinen Text hat, ist es auch so eine Art Esperanto im amerikanischen Vielvölkerstaat", findet Wagner.

Die Dezurik Sisters entwickeln in den 30ern ein Kunstjodeln in Kombination mit gackernden Vogellauten, was sich viel entzückender anhört, als man glaubt. Eine Yodel-Manie hatte Amerika zwischen Bluegrass und Blues ergriffen, die den jodelnden Tarzan gar nicht mehr so singulär aussehen lässt. Schon gar, weil Weissmuller selbst gerne jodelte. Wer tiefer in die Geschichte einsteigen möchte, dem sei Bart Plantengas Buch "Yodel-Ay-Ee-Oooo: The Secret History of Yodeling Around the World" empfohlen.

Überall auf der Welt wird gejodelt

Jodeln hat Zukunft. Erika Stucky wird im Volkstheater zu hören sein, Jazzstimmforscherin auf dem Weg zu neuer Musik. Im Jodler strebt die Stimme nach oben. In die Richtung, in der manche Gott vermuten. Die Zäuerli aus dem Appenzell sind für Wagner meditative Gesänge, die nichts mit dem Musikantenstadl zu tun haben. Ein zweiter Konzerttermin in der Allerheiligen-Hofkirche am 11. Juni drängt in Richtung des Metaphysischen. Natur Pur aus dem Muotathal sind dabei, Christian Zehnder, Monika Drasch und Maria Reiter.

Das Duo Windbone und das Hornquartett der Münchner Philharmoniker zeigen, dass Instrumente eine andere Erscheinungsform der Stimme sind. Das Jodeln ist eine urmenschliche Erfahrung, "eine Selbstversicherung", sagt Wagner. Der einsame Jodler, er markiert ein Territorium, erfährt seinen Gesang im Raum. Und wenn er seine Stimme als Echo hört, dann ist es, als gäbe er sich Antworten auf seine Fragen.

Laut yodeln, Fr. 3. Juni, 20 Uhr, Münchner Volkstheater, Sa., 11. Juni, 20 Uhr, Allerheiligen-Hofkirche, Gesamtprogramm: www.muenchen.de/lautyodeln

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SZ vom 03.06.2016/vewo
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