Festgenommene Terroristen:Nervengift in Tomatenkisten

Abhörprotokolle in Italien belegen die schon weit fortgeschrittenen Terrorpläne der jetzt verhafteten mutmaßlichen Islamisten.

Christiane Kohl

(SZ vom 12.10.2001) - Sprich mit dem Scheich, dann mach' ich das schon", sagt die Stimme auf dem Band: "Ich brauche keine Armee, nur zwei Leute, aber die müssen gut ausgebildet sein", plaudert die männliche Stimme weiter: "Der Libyer und der Kurde aus Rom", die wären wohl richtig. "Dann brauche ich nur noch neue Papiere und das Zehn-Liter-Fass", fährt die Stimme fort: "Gott ist mit uns, ich bin sicher, dass ich es schaffe."

Die Stimme gehört zu Lased Ben Heni, dem in München festgenommenen Libyer, der zum Terrornetz von Osama bin Laden gehören soll. In seiner Wohnung in Galarate bei Varese in Norditalien hatten Sicherheitskräfte monatelang einen Mikrospion platziert. Was sie dabei an Informationen aufnahmen, führte nun zu den Festnahmen.

Außer dem in München verhafteten Libyer Ben Heni setzten italienische Polizisten in Mailand Mohammed Aouadi Ben Belgacem, 26, und Benstaali Mohammed Fuad, 38, fest - die Tunesier wurden vor der Mailänder Moschee in der Via Jenner erwischt. Ein dritter Tunesier - der 31-jährige Riadh Jelassi - war schon im August wegen eines Autodiebstahls festgenommen worden.

Training für Kamikaze-Aktionen

Streng juristisch wird den Verhafteten in Italien nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, Urkundenfälschung sowie Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz. Doch die Polizei ist sicher, dass ihr ein Schlag gegen einen wichtigen Terrorring gelungen ist. Die Ermittler vermuten, dass die Gruppe das Terrornetz bin Ladens unterstützt habe, indem gefälschte Papiere beschafft und junge Leute für sein Trainingslager und spätere Kamikaze-Aktionen rekrutiert wurden. "Nicht auszuschließen" ist nach den Worten von Innenminister Claudio Scajola überdies, dass die Festgenommenen "konkrete Terrorangriffe planten".

Als Kopf der italienischen Bande gilt ein bereits im Frühjahr verhafteter Mann, der 31-jährige Tunesier Essid Sami Ben Khenais. Zu dem Terrorring soll zudem ein noch flüchtiger Ägypter gehören, den die Ermittler in Frankreich wähnen. Der Mann könnte als Kurier zwischen Italien und Frankreich tätig gewesen sein, wo sich nach einer Hypothese der Ermittler ein chemisches Labor zur Herstellung von Sprengstoffen oder chemischen Waffen befindet. Außer zu Frankreich und Deutschland sollen die Verdächtigen auch Kontakte zu Gruppierungen in England und Algerien unterhalten haben.

Bereits im April hatten die Behörden in Mailand und Umgebung fünf Tunesier festgenommen, nach den Ermittlungen sind sie allesamt Angehörige einer jener 27 Organisationen, welche die Amerikaner jetzt als zum bin-Laden- Netz gehörig gekennzeichnet haben. Überdies sollen die fünf seinerzeit Festgenommenen in Vorbereitungen für den Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2000 verwickelt gewesen sein. Der ebenfalls im April verhaftete Ben Khenais, den sie in der Gruppe "Umar den Reisenden" nannten, soll mehrfach mit verschiedenen Topterroristen telefoniert haben, die den Straßburger Anschlag vorbereitet haben sollen.

Ben Khenais hatte seinen Standort in der Stadt Busto Arsizio, nahe beim Flughafen Malpensa, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Mailand, wo auch Riadh Jelassi wohnte. Jelassi geriet offenbar zufällig nach einem Autodiebstahl ins Visier der Ermittler. Ben Khenais und der in München verhaftete Lased Ben Heni hingegen standen offenbar schon länger unter gezielter Beobachtung. Anscheinend trafen sich die beiden häufiger in der Wohnung von Ben Heni im Ort Galarate, der ebenfalls nicht weit von Malpensa liegt. Indes hatten die Ermittler bei Ben Heni in der Wohnung einen Mikrospion platziert: Wenn Ben Khenais und Ben Heni miteinander sprachen, hörten die Ordnungshüter häufig mit.

Gute Kontakte nach China

Aus den Abhörprotokollen zitiert die römische Zeitung Repubblica ein Gespräch zwischen Ben Khenais und Ben Heni, in dem es um einen chemischen Anschlag gegangen sein könnte. Ben Heni: "Jetzt steht das Fass mit der Flüssigkeit auf dem Programm." Ben Khenais: "Wie, wollt ihr das probieren?" Ben Heni: "Warum nicht, ein paar Fässer." Ben Khenais: "Wo, in Frankreich?" Ben Heni: "Ja, Bei der Dame, das ist einfach." Ben Khenais: "Ist das ein besseres Produkt als das andere?" Ben Heni: "Es ist effizienter, weil, wenn man diese Flüssigkeit öffnet, wird sie sofort wirksam für die Menschen."

Später nennen sie den Stoff "Sinsinem" oder "Sinsinam", worum es sich dabei handelte, wissen die Ermittler noch nicht. Die beiden sprechen auch davon, dass sich der Stoff gut in Tomatenkisten transportieren lasse, wichtig für ihre Wirksamkeit sei, dass die Substanz unter Druck gesetzt werde. Ein in Tomatenkisten getarntes Atemgift - so weit waren die Überlegungen schon gediehen. Allerdings sei die unbekannte Substanz noch nie "im Feld" ausprobiert worden, zitiert Repubblica einen Ermittler.

Offenbar lässt sich aus den Abhörprotokollen noch eine zweite wichtige Spur ausmachen: Sie führt nach China. So zitiert der Mailänder Corriere della Sera einen abgehörten Satz, wonach bin Laden "gute Kontakte" nach China habe. Nach einem Abhörprotokoll vom März dieses Jahres soll Ben Heni beispielsweise einem Gesprächspartner gegenüber gesagt haben: "In seiner (bin Ladens) Gruppe, die die Waffen der Amerikaner studiert, gibt es auch chinesische Professoren."

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