Süddeutsche Zeitung

Ferienzeit:Über den Urlaub daheim sollte man Stillschweigen wahren

Unser Autor musste erfahren, wie es ist, wenn das Daheimbleiben im Urlaub in reinsten Stress ausartet: Katzen füttern, Gassi gehen und die Rechnung vom Nachbarn bezahlen.

Kolumne von Wolfgang Görl

Es war ein Fehler, ein verdammt großer Fehler, der Wohnungsnachbarin unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu erzählen, dass man den Sommerurlaub diesmal zu Hause, im schönen Balkonien, verbringe. Schon zehn Minuten später klingelte der Herr Maier vom 2. Stock an der Tür, überreichte eine Zweiliterflasche Bauernwein und flüsterte konspirativ, er habe gehört, unsereiner bleibe im August daheim, da wäre es doch kein Problem, während seiner vierwöchigen Asienreise seine Geranien zu gießen. Unmöglich, da Nein zu sagen, schon wegen des edlen Tropfens.

Wenig später meldete sich die Familie aus dem Parterre mit ähnlichen Worten, aber ohne Bauernwein und gab ihren Bullterrier sowie drei Meerschweinchen in Pflege. Im Laufe des Tages sprach noch ein knappes Dutzend weiterer Urlauber vor, was in der Summe bedeutete, dass man in den kommenden Wochen die Verantwortung hat für drei Hunde, sieben Katzen, elf Meerschweinchen, einen Kakadu, einen Schwarm sensibler Schmetterlingsbuntbarsche, ein kleines Krokodil sowie circa 300 Zimmer- und Balkonpflanzen, inklusive einer fleischfressenden Pflanze, die sehr aggressiv werden kann, wenn sie keine frischen Fliegen bekommt. Zudem war es eine Selbstverständlichkeit, gewisse Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, etwa die Korrespondenz in einer Scheidungsangelegenheit (1. Stock, links; das Paar ist getrennt verreist) oder das Begleichen einer Handwerkerrechnung, die der Herr Maier schuldig bleiben musste.

An Ausschlafen, Sonnenbaden oder Ausflüge in die Berge ist natürlich nicht mehr zu denken. Der Tag beginnt mit der Katzenfütterung um sechs Uhr, dann kommen die Hunde an die Reihe, die Gassi gehen wollen. Einmal ist auch das Krokodil mitmarschiert, seitdem fehlt ein Hund. Die Pflanzen zu gießen, nimmt drei Stunden in Anspruch, allein die Orchideenzucht der Witwe von gegenüber stellt die Bestände des Botanischen Gartens locker in den Schatten. Die Fische sind genügsam, benötigen aber Streicheleinheiten, ebenso die Meerschweinchen, die sich rasend schnell vermehren.

Der Nachmittag ist mit Fliegenfangen (fleischfressende Pflanze), Auseinandersetzungen mit russischen Inkasso-Unternehmen sowie einem Gespräch mit dem Kakadu - er bevorzugt theologische Fragen aus dem Bereich der mittelalterlichen Scholastik - gut ausgefüllt, am Abend muss noch der Bullterrier aus dem Bett gejagt werden, was nicht immer gelingt. Ansonsten ist er ein freundlich verspieltes Tier, das am liebsten Herrenschuhe frisst. Und ja: Um Maiers Handwerkerrechnung von 10 354,96 Euro vorzustrecken, war ein Kredit nötig.

Aber das alles ist Ehrensache, man will ja, dass die Nachbarn sorgenfreie Ferien genießen. Und es hätte schlimmer kommen können: Gottlob ist das Paar mit den sechs Monate alten Drillingen (1. Stock, rechts) nicht auch in den Urlaub gefahren.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2018/axi
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