Ferientouren durch München:Dante spielt hier nicht

Bayer Leverkusen v FC Bayern Muenchen - DFB Cup

In München kursiert der Witz, das Dantestadion sei nach dem Bayern-Spieler benannt.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schyrenwiese, Teutonia-Platz, Auenstraße: Die Suche nach den Wurzeln des Münchner Fußballs führt zu versunkenen Idyllen des Sports.

Von Gerhard Fischer

München, Oberwiesenfeld, 1922. Etwa 20 000 Zuschauer sehen beim Fußball-Städtespiel zwischen München und Berlin zu. Es findet in einem Stadion statt, das es heute nicht mehr gibt - und von dem nur wenige wissen, dass es existiert hat: der Teutonia-Platz. "Da die Anlage nicht über eine 400-Meter-Bahn verfügte, konnte direkt am Spielfeldrand längliche Stehtribünen errichtet werden", heißt es in der Chronik des FC Teutonia. "Auf der Westseite des Platzes erstreckte sich auf rund 50 Metern Länge eine hölzerne Sitztribüne mit Satteldach, deren Größe die Tribünenbauten der bestehenden Münchner Sportplätze in den Schatten stellte."

Das Fassungsvermögen des Teutonia-Platzes betrug offiziell 12 000 Zuschauer, beim Städtespiel war es überfüllt. Übrigens spielte auch der FC Bayern zwischen 1923 und 1925 auf dem Teutonia-Platz. 1936 wurde das Stadion abgerissen. Hitler brauchte den Fußballplatz als Exerzierplatz.

Das Stadion befand sich im östlichen Teil des Olympiaparks. Man fährt mit der U-Bahn zum Petuelring und geht - vielleicht wie viele Fußballfans damals - über die Birnauer Straße, an der heute schmucklose Hochhäuser stehen, Richtung Olympiapark. Rechterhand ragt schon der Olympiaturm in die Höhe. Noch rasch rüber über die Lerchenauer Straße und schon ist man da. Auf einer Tafel stehen Anordnungen des Baureferats, sie betreffen Hunde, Feuer und das Grillen - und den Spielplatz, der ganz in der Nähe ist: Erwachsene sind nur in Begleitung von Kindern zugelassen.

"Und der Hitler hat's abgerissen"

"Hier stand mal ein Fußballstadion?" Zwei Frauen in Sportkleidung sagen, sie hätten das "noch nie gehört". Sie schauen den Olympiaberg hoch, der mit Bäumen und Büschen bewachsen ist, drehen sich um und schauen Richtung Sea-Life und auf die Brücke, die über den Biedersteiner Kanal führt. "Der Ben würde das wissen", sagt eine, "das ist ein Kollege, der ist aus Schwabing und kennt sich hier aus".

Also einen Schwabinger fragen. Ein Mann mit Hund kommt vorbei, er ist um die 60, der Mann, nicht der Hund. Er wohnt zwar um die Ecke, aber er hat auch noch nie gehört, dass hier mal ein Stadion gestanden hat. "Und der Hitler hat's abgerissen", sagt er und schüttelt den Kopf.

Man kann über gepflasterte und geteerte Wege auf den Berg hinaufgehen und sich auf eine Bank setzen, auf das Dach des Olympiastadions schauen, auf das BMW-Hochhaus zur Rechten, auf die Wohnblöcke des ehemaligen Olympiadorfes und auf ein Studentenwohnheim.

Dante und der Witz ums Stadion

Man kann aber auch mit Trambahn und U-Bahn weiterfahren zum Dantestadion in Gern. Natürlich kursiert in München der Witz, das Stadion sei nach dem Bayern-Spieler Dante benannt. Aber Dante ist Jahrgang 1983. Vermutlich ist es also nach der Dantestraße benannt, an der es 1928 erbaut worden ist, und diese Dantestraße ist nach Dante Alighieri benannt, dem Dichter, der weit vor dem Baubeginn des Stadions gelebt hat (1265 bis 1321).

Man steigt am Westfriedhof aus der U-Bahn. "Der Münchner Jugend" liest man auf der Rückseite der Haupttribüne, nachdem man die Tore des Sportgeländes passiert hat. Die Haupttribüne mit seinen gelben Sitzen ist trapezförmig, das sieht man auch nicht oft. Unterhalb der Tribüne sind Bankreihen, aus deren Ritzen Grünzeug wächst, die aufgemalten Nummern auf den Bänken sind verwischt - gerne sagt man an dieser Stelle, das Stadion habe einen morbiden Charme.

32 000 Zuschauer soll das Stadion mal gefasst haben, heute sind es noch 12 000. 1957 fand dort ein Fußball-Länderspiel der Frauen zwischen Deutschland und den Niederlanden statt, was ungewöhnlich war, denn Frauenfußball war damals verboten, zumindest in Deutschland. "Das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand", hieß es in der Begründung des Deutschen Fußball-Bundes. Zudem könne dieser Sport die Gebärfähigkeit beeinträchtigen.

Sport im Kleinen, Sport von unten

Später, zwischen 1963 und 1972, hat der Regionalligist Wacker München im Dantestadion gekickt, und noch später der Bayernligist Türk Gücü München, mit Erhan Önal und Ugur Tütüneker; der eine machte später sieben Länderspiele für die Türkei, der andere 19. Heute spielen hier die American-Football-Teams der Munich Cowboys und der Munich Rangers. Und deshalb stehen auf dem Rasen keine Fußballtore, sondern Football-Gestänge.

Auf der Anzeigentafel liest man Begriffe wie T-Outs, Flag oder QTR. Es ist kurz nach sechs an einem Wochentag. Jugendliche trainieren Hochsprung, ein erwachsener Sportler geht auf der Tartanbahn auf und ab, er macht das eine halbe Stunde lang. Worauf bereitet er sich vor? Hinter der Gegengeraden schießen Männer auf ihrer Asphaltbahn Eisstock und daneben spielen Freizeitfußballer. Man hört den Torwart Kommandos geben, und man hört die Namen der Herren Hans, Herbert und Charlie, der wohl Karl heißt. Solche Namen tragen ältere Männer. Leichtathletik, Stockschießen, Freizeitfußball nebeneinander - das ist Sport im Stadtteil, Sport im Kleinen, Sport von unten. Weiter zum Vereinsheim an der Auenstraße, in dessen Räumen der TSV 1860 gegründet worden war.

Er wollte einer Frau imponieren und wurde verhauen

Nächstes Jahr soll es abgerissen werden - die Turnhalle im Keller sei zu marode, um noch einmal saniert zu werden. Man steigt aus der U-Bahn an der Fraunhofer Straße aus und geht vorbei an der fulminanten Kirche St. Maximilian. In der Auenstraße 17 ist der "Königreichsaal der Zeugen Jehovas" untergebracht und in der Auenstraße 19 war der gesamte Turn- und Sportverein von 1860 so lange zu Hause, bis das Vereinsheim in den Achtzigerjahren an die Stadt verkauft werden musste, weil Präsident Erich Riedl den Klub heruntergewirtschaftet hatte.

Wer vor dem blassblau gestrichenen Gebäude steht, sieht erst mal einen Wappen-Löwen neben der Tür, denn die Boxer des TSV 1860 trainieren noch in der Turnhalle. "Boxen Montag und Donnerstag 19 bis 21 Uhr", steht auf einem Zettel an der Tür. Außerdem trainieren hier Schüler von der Wittelsbacher Schule, der zweite Stock ist an Architekten vermietet, und im ersten ist die Sozialpädagogische Sammlung untergebracht. Die Sozialpädagogische Sammlung ist keine Sekte; vielmehr sind hier die gesammelten Schriften und Bücher über Sozialpädagogik archiviert.

Wo der TSV 1860 seine ersten Spiele ausgetragen hat

Runter in die Turnhalle: Jungs von Jahn München spielen dort Basketball, im Keller gibt es auch eine Kegelbahn - und die Boxhalle. Es sieht alles gar nicht so marode aus. Obwohl es nicht Montag oder Donnerstag ist, trainieren gerade Boxer des TSV 1860, und einer sagt: "Hier wurde die Folge mit dem Monaco Franze gedreht, in der er geboxt hat." Der Monaco wollte, wie immer, einer Frau imponieren, wurde dann aber im Ring verhauen.

Geht man die Auenstraße Richtung Süden und überquert die Wittelsbacher Brücke, landet man in der Au, bei der Schyrenwiese, auf der die Fußballer des TSV 1860 Anfang des 20. Jahrhunderts ihre ersten Spiele ausgetragen haben (die Fußball-Abteilung wurde nicht 1860 gegründet, sondern 1899). Am Ende der Brücke steht ein Schild mit der Aufschrift: U-Bahn Kolumbusplatz 0,6 Kilometer. Geht man 30 Meter in diese Richtung, kommt ein Schild mit der Aufschrift: U-Bahn Kolumbusplatz 0,7 Kilometer. Dehnt sich die Entfernung in der Sommerhitze aus?

Man ist am Schyrenplatz angelangt, wo ein Kiosk steht, der damit wirbt, "Münchens ältestes Standl" zu sein. Ein paar Meter weiter ist sie, die Schyrenwiese, wo die Löwen 1902 ihr erstes Spiel gemacht und überraschenderweise verloren haben: 2:4 gegen den 1. MFC. Der Platz liegt idyllisch, neben der Isar, umsäumt von Bäumen, eingezäunt von einem charmanten Holzlattenzaun. Man kann den Platz mieten, ein paar Freizeitfußballer spielen gerade. Es ist 19 Uhr. Sorry, es ist natürlich 18.60 Uhr.

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