Fensterputzer:"Nur ein Fehler und du bist tot"

Fensterputzer: Als Fensterputzer muss man schon ein kleines bisschen Adrenalin-Junkie sein: Von der Fassade des ADAC-Hochhauses aus sieht München eindrucksvoll aus.

Als Fensterputzer muss man schon ein kleines bisschen Adrenalin-Junkie sein: Von der Fassade des ADAC-Hochhauses aus sieht München eindrucksvoll aus.

(Foto: Stephan Rumpf)

Fensterputzer haben einen gefährlichen Job. Dafür gibt es immer etwas zu erzählen - schließlich schauen sie stets fremden Menschen über die Schulter.

Von Sarah Beham

Einmal, sagt Önder Bagcivan, hatte er einen Auftrag in einer Kaserne. Fensterputzer wie er sind einiges gewohnt, sie schauen den Menschen oft bei der Arbeit über die Schultern, aber damals musste er schon breit grinsen: Mit seinem Kollegen zusammen will er anfangen zu putzen, da bemerkt er erst, was drinnen, hinter der Fensterscheibe, vor sich geht. 15 Soldatinnen standen da und zerlegten ihre Gewehre. "Wir waren nur mit unseren Putzlappen bewaffnet", sagt Bagcivans Kollege Zafer Özdemir, 42.

Die beiden Fensterputzer wischen den Staub vom Glas und entdecken hinter den Fenstern eine andere, eine "fremde Welt", wie Bagcivan, 37, es ausdrückt. Sie erhaschen einen Blick in das Leben von Fremden, die sie manchmal gar nicht bemerken, wie die Sekretärin, die auf einer Matratze unter ihrem Bürotisch schlief. Bagcivan und Özdemir putzen viele große Hochhäuser in München, sie lieben ihren Job, obwohl er, gerade wenn es windig ist, auch einmal gefährlich werden kann. Ein bisschen Abenteuerlust muss man schon haben, an einem Arbeitsplatz hoch über dem Boden.

Heute zum Beispiel putzen sie das graue Betongebäude in der Schillerstraße 44, das zur Ludwig-Maximilians-Universität gehört. Achter Stock, Raum 817, "Labor": Die beiden Fensterputzer fahren mit ihren Zeigefingern an den Scheiben entlang, Dreck bleibt daran kleben. Bagcivan und Özdemir tauchen den Wischer in das Putzwasser, schäumen das Fenster damit ein und putzen den Schaum mit dem Abzieher ab.

"Wie bekomme ich es bei mir Zuhause hin, keine Schmierstreifen ins Glas zu putzen?", diese Fragen hören sie oft. Die Antwort? Eine ausgeklügelte Technik: Die Ecke des Abziehers muss auf die Ecke des Fensters gesetzt werden, dann erst ziehen - so entstehen keine Schmierstreifen. Fenster für Fenster, Ecke auf Ecke.

"Wir sind Menschen, keine Roboter"

Das Problem ist: Auch bei Profis kann einmal etwas schief gehen. "Bei einem anderen Gebäude war die Fensterbank nicht abgeräumt", erzählt Özdemir. In einer Ecke stand eine Kaffeemaschine - "die hat ein Kollege von mir aus Versehen kaputt gemacht". Der Chef sei ausgeflippt, drohte mit Hausverbot. "Der Kollege hätte die Maschine ja bezahlt. Wir sind Menschen, keine Roboter." Das merkt man, wenn man mit ihnen hoch oben vor einer Glaswand steht und ihnen beim Putzen zusieht: Roboter würden niemals so viel quatschen.

Bagcivan und Özdemir sind fröhliche Menschen. Eine halbe Stunde Stille - das geht nicht. "Wenn du acht Stunden am Tag mit jemandem arbeitest, dann siehst du ihn länger als deine Frau", sagt Özdemir. Also scherzen und lachen sie, sie singen sogar öfter über den Dächern der Stadt. Und sie genießen gemeinsam die Aussicht, wenn sie ihren Blick über die Dächer Münchens schweifen lassen.

Dabei entdecken sie auch immer Gebäude, die sie schon gereinigt haben. Da drüben, das große Siemens-Gebäude zum Beispiel, da waren sie auch schon. Bagcivan putzte aber auch die Highlight Towers. Özdemir reichen meist 35 Meter, weiter hinauf will er gar nicht. Bagcivan will noch höher hinaus: "Ich will das EU-Parlament putzen oder das Burj Al Arab in Dubai. In München habe ich schon alles geputzt".

Was bei starkem Wind zu tun ist

Wenn sie ihre Zeit beim Einschäumen und Abwischen verbringen, dann erzählen sie von ihren Kindern, reden über die Familie oder die Politik. Sie machen Fotos von sich und ihren geputzten Gebäuden. Wenn Bagcivan und Özdemir durch München fahren, dann können sie keine dreckigen Fensterscheiben sehen, "dann werden wir nervös". Sie würden sogar umsonst putzen. Wie bei ihnen Zuhause - da sind sie für die sauberen Fenster zuständig.

Umsonst, soweit geht die Liebe zum Beruf bei Besnik Peci dann wohl doch nicht. Aber auch er liebt seinen Beruf, selbst wenn es einmal gefährlich wird. Der 38-Jährige ist seit 20 Jahren Fensterputzer. Und Adrenalinjunkie. An einem verregneten Tag hängt er in 93 Metern Höhe vor der Glasfront des ADAC-Hochhauses. Der Boden seines kleinen Eisenkorbs, der 450 Kilogramm tragen kann, wackelt. Das Leben hängt an zwei Drahtseilen.

Beim Blick nach unten wird einem normalen Menschen schwummrig. Peci hat keine Angst, aber Respekt: "Nur ein Fehler und du bist tot". Er erinnert sich an einen Auftrag, bei dem sich die Hebebühne im achten Stock weder nach oben, noch nach unten fahren ließ - der Wind blies stark, die Technik streikte. "Ich bin fest gehangen." Er musste warten und darauf vertrauen, dass die Technik schon wieder funktionieren wird.

Heute beim ADAC-Gebäude dreht sich das kleine schwarze Windmessrad oben am Kran ebenfalls schnell. Zu schnell. "Jetzt ist es kritisch", sagt Peci, der sich seine blaue Fleece-Jacke bis zum Hals zuzieht. Wenn der Wind zu stark weht, dann stoppt der Korb automatisch. Dann gibt es nur noch einen Weg: nach oben. Nur am Dach kann Peci vom Korb aussteigen, dort ist der Korb am Kran montiert und der Kran am Dach.

Peci drückt angestrengt mit seinen schwarzen Gummihandschuhen einen Knopf im Korb: Pfeil nach oben. Stille. Warten. Dann fährt der Korb die Fassade hinauf, der Putzeimer schwappt über. Vorbei am 22. Stock, Chefetage. Das Zimmer hinter dem Fenster ist dunkel, der graue Ledersessel leer. "Ich habe hier noch nie jemanden gesehen, die Chefs sind ja überall auf der Welt unterwegs".

Er erinnert sich aber an den vergangenen Frühling. An den Büromann, der sein Fenster nicht geschlossen hatte und konzentriert auf seinen Bildschirm starrte. "Als ich ihn dann bat, das Fenster zu schließen, hat er sich erschrocken", erzählt Peci und muss dabei lachen. Jetzt hat er Lachfalten. Seine Arbeit hat zwei Seiten - wie die Scheiben, die er putzt. Das gehört nun einmal dazu. Das mag er.

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