Streit um SEM:Blühende Landschaft statt Baugebiet

Streit um SEM: 40 Prozent der Flächen im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl werden für Landwirtschaft und Gartenbau genutzt.

40 Prozent der Flächen im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl werden für Landwirtschaft und Gartenbau genutzt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Frischluftschneisen, Freiräume und fleißige Bienen: Die Gegner der SEM im Münchner Norden sehen sich durch zwei Gutachten in ihrer Ablehnung einer großen Siedlung rund um Feldmoching bestätigt.

Von Ulrike Steinbacher

Enteignung statt eigener Entscheidung - auf diesen Nenner bringen die Gegner einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) das Problem, vor dem Grundstücksbesitzer in Feldmoching und Umgebung stehen. Für die SEM-Befürworter geht es um einen völlig anderen Gegensatz: um geordnete Stadtentwicklung aus einem Guss mit bezahlbaren Wohnungen statt städtebaulichen Wildwuchses samt teurer Mieten. Fünf Stadträte, die diese konträren Auffassungen repräsentieren, saßen am Dienstagabend auf dem Podium im Pfarrsaal von St. Peter und Paul in Feldmoching und beantworteten Fragen aus dem SEM-skeptischen Publikum. Um es vorwegzunehmen: Die Vertreter von SPD und Grünen hatten einen schweren Stand.

Kurzer Rückblick: In München gibt es derzeit zwei SEM-Gebiete, ein 600 Hektar großes Areal am Nordostrand von Bogenhausen und 900 Hektar meist landwirtschaftlich genutzte Flächen rund um den Ortskern von Feldmoching. Die Stadt untersucht, ob dort neue Wohnviertel entstehen könnten, im Nordosten ist die Planung schon weit fortgeschritten. Genutzt wird dafür ein Instrument aus dem Baugesetzbuch - die umstrittene Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme. Mit ihr lassen sich, vereinfacht gesagt, die Grundstückspreise einfrieren, um Spekulation auf neues Bauland auszubremsen.

Als letztes Mittel ist die Enteignung unkooperativer Eigentümer vorgesehen. Dagegen hat sich in beiden SEM-Gebieten Widerstand formiert, besonders ausgeprägt in Feldmoching. Mit Unterstützung der CSU gelang es den Gegnern im Sommer 2018, die Anfang 2017 eingeleitete SEM Nord zu kippen. Stattdessen sollte mit einem kooperativen Stadtentwicklungsmodell (Kosmo) weitergearbeitet werden. Als aber nach der Kommunalwahl 2020 Grün-Rot die Rathaus-Mehrheit stellte, kehrte auch die SEM zurück.

Das Symposium "Der Münchner Norden", zu dem das Bündnis München Nord mit 1400 Mitgliedern am Dienstag eingeladen hatte, sollte sich aber gar nicht so sehr mit der SEM und der Zukunft beschäftigen, das hatte Moderator Dirk Höpner, Stadtrat der München-Liste, gleich zu Anfang gesagt. Vielmehr sollte es um die Gegenwart gehen, um die Dinge, die Landwirtschaft und Ökologie in Feldmoching heute prägen.

Stadtökologe Maximilian Mühlbauer vom Bund Naturschutz (BN) stellte ein Gutachten vor, das sein Verband gemeinsam mit dem Landesbund für Vogelschutz erarbeitet hat. Fazit: Im Norden gibt es noch unzerschnittene Freiräume, die Tieren und Pflanzen zugute kommen und Biotope vernetzen, es gibt Frischluftschneisen und Kaltluftströmungen, der hohe Grundwasserstand macht die Lebensmittelproduktion auch in Trockenzeiten krisensicher. Für eine Bebauung eigne sich allenfalls ein Streifen im Norden bis zum Autobahnring A99.

Franz Stemmer vom Bayerischen Bauernverband referierte das Agrargutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hatte. Demnach ist Feldmoching-Hasenbergl mit 21 Einwohnern pro Hektar einer der am geringsten besiedelten Stadtbezirke. Knapp 1100 Hektar, etwa 40 Prozent der Fläche, werden landwirtschaftlich genutzt, davon gehören 184 Hektar der Stadt, die sie verpachtet. Die meisten Bauern pachten zu ihrem eigenen Land Flächen hinzu. 440 Hektar Agrarland liegen im SEM-Untersuchungsgebiet. Laut Befragung sind von 15 Landwirten, 14 Gartenbauunternehmern und einem Imker 26 sicher, dass ihr Betrieb in fünf bis zehn Jahren noch bestehen wird. Viele setzen auf Direktvermarktung, eine Umstellung auf Ökolandbau sehen die meisten skeptisch.

Streit um SEM: Imker Edward Obika lobt das große Nahrungsangebot an Blüten, das aus der Kooperation mit den anderen Landwirten entsteht.

Imker Edward Obika lobt das große Nahrungsangebot an Blüten, das aus der Kooperation mit den anderen Landwirten entsteht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Jagdpächter Richard Zech und Imker Edward Obika rundeten das Bild von einer ökonomisch und ökologisch funktionierenden Landwirtschaft am Stadtrand ab. Obika lobte das große Nahrungsangebot an Blüten, das aus der Kooperation mit den anderen Landwirten entstehe, die dafür wiederum ihre Pflanzen bestäubt bekämen. Bis in den November hinein könnten seine Bienen Honig sammeln, für Hobbyimker sei meist mit dem Ende der Lindenblüte im Juli Schluss. Auch Richard Zech lobte die gute Kooperation der Landwirte, die für Wildtiere Futter stehen ließen oder Rückzugsräume schüfen. "Ein Kreislauf, in den man nicht unbedingt eingreifen sollte", lautete Obikas Fazit.

Genau das aber würde mit dem Bau eines neuen Stadtviertels im Norden geschehen. Und so ging es bei der anschließenden Podiumsdiskussion dann doch wieder um die SEM und die gängigen Argumente für und wider. Manuel Pretzl (CSU), im Stadtrat Chef der CSU-/Freie-Wähler-Fraktion, und die Stadträte Richard Progl (Bayernpartei) und Tobias Ruff (ÖDP) lehnten sie ab, Christian Müller (SPD), der Vorsitzende der SPD-/Volt-Fraktion, und Grünen-Stadtrat Florian Schönemann verteidigten sie.

Aus dem Publikum, das anzweifelte, dass der Zuzug nach München überhaupt so stark, die Mietsteigerungen überhaupt so drastisch seien, kam die Frage, wie die Stadträte zu regionaler Lebensmittelversorgung stünden, auch angesichts der Lieferengpässe infolge des Kriegs in der Ukraine. Das darauf folgende allgemeine Bekenntnis zur regionalen Landwirtschaft schränkte nur Christian Müller mit dem Hinweis ein, dass ein Umsteuern zu mehr ökologischem Landbau notwendig sei. Auf die Frage, ob die Gutachten überhaupt in die Entscheidung über die SEM einfließen würden, fand der Grünen-Landtagsabgeordnete und BN-Kreisvorsitzende Christian Hierneis, der zu den gut 40 Zuhörern gehörte, eine Antwort: "Zum Nachdenken regt's auf jeden Fall an", sagte er.

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