Süddeutsche Zeitung

Feldmoching/Hasenbergl:Ein Quartier im Würgegriff

Neubaugebiete wie in der Eggarten-Siedlung und das Großprojekt Nord stoßen in der Bürgerversammlung auf entschiedene Ablehnung - vor allem wegen der Verkehrs-, Klima- und Umweltproblematik

Von Jerzy Sobotta und Nora Theisinger, Feldmoching/Hasenbergl

Mit der steten Nachverdichtung des Münchner Stadtbezirks Feldmoching-Hasenbergl sowie seiner Infrastruktur sind die Bewohner nach wie vor nicht zufrieden. Das zeigte sich einmal mehr bei der Bürgerversammlung am Dienstagabend. Nach zwei Jahren coronabedingter Pause nahmen immerhin 200 Bürger die Chance wahr, um über Belange des Viertels abzustimmen und Anträge zu stellen. Stadtrat Tobias Ruff (ÖDP), der den Abend moderierte, wies auf die steigende Einwohnerzahl des Stadtbezirks hin: Von Juni 2011 bis 2021 ist die Einwohnerzahl von 56 765 auf 62 100 angestiegen. Bis 2030 werde eine Zunahme von etwas mehr als 15 000 Menschen erwartet, so Ruff in seiner Präsentation. Der Bezirksausschuss-Vorsitzende Rainer Großmann (CSU) geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 die Einwohnerzahl sogar auf 95 000 anwachsen wird. Dem soll mit großen Neubaugebieten und Nachverdichtungsmaßnahmen begegnet werden, was allerdings bei den Alteingesessenen auf Widerspruch trifft.

Großmann stellte klar, dass auch der Bezirksausschuss gegen diese Maßnahmen ist, insbesondere gegen die besonders umstrittenen Vorhaben im Eggarten sowie die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nord. Er warf die Fragen auf, ob diese unter Verkehrs-, Klima- und Umweltgesichtspunkten sinnvoll "und ob die Schaffung von Wohnraum Stadtentwicklungszielen unterzuordnen ist". Unterstützt wurde er vom Beifall der Teilnehmer.

Auch durch die Anträge der Bürger wurde deutlich, dass die Bauvorhaben keine besonders positive Resonanz im Viertel erhalten: Die Anträge auf einen Planungsstopp der Eggarten-Bebauung wurden angenommen. Anwohner Martin Schreck kritisierte jedoch, dass die in der Vergangenheit angenommenen Anträge keinen Einfluss auf die Vorhaben gehabt hätten. Ein anderer Bürger argumentierte unter anderem, dass der Eggarten einen wichtigen Faktor für den Klima- und Artenschutz darstelle. Großmann unterstrich, dass energieeffizientes Bauen sowie die Beteiligung von Genossenschaften nicht verhinderten, dass "eine grüne Insel zerstört wird". Auch Schreck bezeichnete den Verweis auf die Genossenschaften als eine "Social-Washing-Kampagne".

Für die Wohnraumproblematik machten die Hasenbergler und die Feldmochinger aber auch die Ausweisung von Gewerbegebieten verantwortlich. Durch die Schaffung weiterer Arbeitsplätze müsse weiterer Wohnraum erschlossen werden. Um zusätzliche Bauprojekte im Viertel zu vermeiden, soll der Ausbau von Gewerbegebieten unterbunden werden. Auch dieser Vorstoß wurde von der Versammlung angenommen.

Ein Bürger verband das Thema Wohnungsbau mit der aktuellen Verkehrssituation im Viertel. Seine Forderung, Bauprojekte erst weiterzuführen, wenn die drei Bahnübergänge am S-Bahnhof Fasanerie, in der Lerchenauer Straße und in der Lerchenstraße in Angriff genommen worden seien, fand eine klare Mehrheit.

Auch Rainer Großmann ging auf die infrastrukturelle Situation in Feldmoching-Hasenbergl ein. Auf die Bitte um ein Verkehrskonzept für den Münchner Norden sei ausschließlich ein Radverkehrskonzept vorgestellt worden. "Nur mit dem Rad können unsere Verkehrsprobleme nicht gelöst werden", sagte Großmann, begleitet vom Beifall der Zuhörer. Der Bezirksausschuss spreche sich deshalb für den Ausbau der U-Bahn-Trasse aus.

Uneins waren sich die Bewohner bei dem umstrittenen Anschluss der Schleißheimer Straße an die Autobahnumgehung A 99 durch einen Tunnelbau. Dem Wunsch einer Bürgerin, das Vorhaben endgültig zu streichen, stimmten 40 Personen zu. 42 sprachen sich jedoch bei zahlreichen Enthaltungen dagegen aus, sodass das Anliegen in dieser Bürgerversammlung abgelehnt wurde. Wie das Mobilitätsreferat der Stadt München am Mittwoch auf Nachfrage mitteilte, befindet sich die Tunnel-Frage noch in Abstimmung.

Auch der Lärmschutz wurde thematisiert: Die Deutsche Bahn missachte die aktuelle Gesetzgebung, hieß es. Es wurde der Wunsch geäußert, dass sich die Stadt dieser Thematik annimmt und für die Belange der Bürger einsetzt. Dies traf auf Zustimmung. Die Versammelten sprachen sich außerdem dafür aus, dass eine Pflicht zur Geschwindigkeitsreduzierung für die Nachtstunden bei veralteter Technik eingeführt werden soll.

Polizeidirektor Thomas Nölle zog schließlich ein positives Fazit bezüglich der Sicherheitslage im Viertel: Die Anzahl der Kriminalfälle sei rückläufig. Zudem sei der Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl unterdurchschnittlich kriminell: Auf 100 000 Einwohner kamen im Vorjahr 1860 Straftaten. In der gesamten Stadt waren es 5765 pro 100 000 Einwohner. Demnach ist der Stadtbezirk weit mehr als doppelt so sicher wie die restliche Stadt.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2021
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