Gastro-Silvester im Münchner P1:Wo die Korken erst eine Woche später knallen

Lesezeit: 2 Min.

Punkt ein Uhr füllt Gastgeber Jakob Faltenbacher die Gläser mit Champagner. (Foto: Robert Haas)

Zum Jahreswechsel mussten die meisten von ihnen schuften. Jetzt haben Wirtinnen, Kellner und ihre Freunde es auch noch krachen lassen, auf einer Party im P1.

Von Thomas Becker

Eine fröhliche Bierrunde mit Kumpels in Haidhausen, das Helle fließt. Bis für den Reporter die Nachtschicht ruft: zahlen, bitte! Logisch, dass der Lieblingskumpel einen bei der Bedienung noch als Schnösel hinhängen muss: „Er geht noch ins P1. Gastro-Silvester.“ Die Bedienung grinst, haut dem vermeintlichen Snob auf die Schulter und sagt: „Dann sehen wir uns ja gleich.“ Gastro-Silvester: die Mutter aller Partys, zumindest für all die tageslichtscheuen Nachtarbeiter, die auch am Jahreswechsel in den Bars und Clubs der Stadt Gläser und Teller auf Tisch und Tresen gestellt haben. Zum 26. Mal haben die Nightlife-Schlachtrösser Jakob und Flo Faltenbacher die Kollegen eine Woche nach dem Tag X zur Nachfeier geladen, ins P1, wie in den Jahren zuvor. Auch deren Freunde, die nicht aus der Gastronomie kommen, sind willkommen, müssen aber eine Qualifikation mitbringen: genauso gut feiern können wie die Gastro-Menschen, und da liegt die Latte dann schon hoch. 

Wobei man denken könnte, dass die Branche gerade nicht viel zu feiern hat, vergeht doch kaum ein Tag, an dem nicht wieder eine der sogenannten Gastro-Institutionen dichtmacht. Jüngstes Opfer: das Sushi & Soul, der Klassiker in der Klenzestraße, genauso alt wie die Gastro-Silvester-Party. Wer sich an diesem Abend in einem der etwas ruhigeren Ecken des P1 mit Gästen unterhält, hört nicht selten Sätze wie „War das geil früher im Kunstpark!“ oder Ähnliches. Klar, so schön wild und anarchisch wie in den späten 90ern am Ostbahnhof wird es nicht mehr werden; man muss eher fürchten, dass das Nachtleben bald nur noch von irgendwelchen Gastro-Ketten bespielt wird. 

Aber solch erdenschwere Gedanken scheint hier niemand mit sich herumzuschleppen, schließlich ist man zum Feiern da. Hakan und Miri von „Noah’s Pizzeria“ am Sebastiansplatz zum Beispiel. Sie, die Kellnerin, war noch nie im P1 und wirkt richtig aufgekratzt, der Barkeeper ist dagegen Gastro-Silvester-Routinier und meint: „Im Kytaro war’s am besten.“ Silvester sei ein angenehmer Arbeitstag gewesen: „Wir hatten nur für Family & Friends geöffnet.“

Bei Patrizia und Stephan sah das anders aus. Über Silvester-Schichten in Käfers „Teatro“ sagt die Blondine: „Das war Krieg. Weil da keiner arbeiten mag. Diesmal hab’ ich mir eine Auszeit genommen.“ Ihre Meinung zur Party-Location P1? „Milchbar war geiler.“ Begleiter Stephan hat derweil nichts vom Jahreswechsel mitbekommen. Er hat im Sausalitos im Tal im Lager gearbeitet, „da hast du nur einen Job: Nachschub liefern“. Silvester war für ihn „nichts Besonderes“. Auch für Peter vom „Maxe Belle Spitz“ in der Schellingstraße, der Tage zuvor in seiner Indie-Kellerkneipe zum Neujahrsempfang geladen hatte, sei Silvester „ein Abend wie jeder andere auch“ gewesen, sagt er. Evi dagegen, nach eigenen Angaben „Urgestein-Kassenkraft im Feierwerk“ hat mit 300 Gästen eine Black-Opera-Gothic-Party gefeiert. 

Hat die Branche Grund zum Feiern? Darüber mag sich an diesem Abend keiner groß Gedanken machen. (Foto: Robert Haas)

So hat jeder seine Art, ins neue Jahr zu starten. Und wer die ersten guten Vorsätze schon in Woche eins gebrochen hat, bekommt hier nun eine zweite Chance. Für alle, die nicht aufhören können mit dem Anfangen. Wie anders das Publikum heute ist? Tja, dazu müsste man öfter im P1 sein. Die Gastro-Menschen sind jedenfalls ein schön bunter Haufen, auch altersmäßig breit aufgestellt. Der Style reicht vom silbern glitzernden Paillettenanzug bis zum Pisten-Outfit samt Skibrille. Einer hat Krücken dabei, offenbar nicht als Fashion-Statement. Geraucht wird viel, offenbar nicht nur Tabak: „Oh, hier riecht’s nach Joint“, ruft ein Bursche eher erheitert als überrascht.

Und die Musik? Geht über die Dörfer: „Living on a Prayer“ und „Sweat Dreams“ für die Silver Ager und moderneres Zeug, das man als alter Sack nicht kennt. Punkt ein Uhr schreitet Jakob Faltenbacher, der Hohepriester des Gastro-Silvesters, schließlich zur rituellen Champagner-Ausschüttung aus der Mega-Magnum-Pulle. Für eine halbe Ewigkeit im Nachtleben hat sich der Frühfünfziger gut gehalten, und irgendwie freut man sich schon auf die Bilder, die es in den nächsten 25 Jahren von ihm und seinem Gastro-Silvester-Baby geben wird.

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