Süddeutsche Zeitung

FDP-Politikerin:Hamm-Brücher hatte die Kraft, unbequem zu sein

Sie war liberal und eigensinnig: Hildegard Hamm-Brücher galt als "Grande Dame der FDP". Dann gab sie nach 54 Jahren aus Protest ihr Parteibuch zurück. Eindrücke aus ihrem Leben.

Von Melanie Staudinger

Die Grande Dame der Liberalen ist tot: Hildegard Hamm-Brücher ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Über Jahrzehnte prägte sie die Politik der FDP, sie war Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Und sie war eine streitbare Politikerin: Nach 54 Jahren Mitgliedschaft gab sie 2002 ihr Parteibuch ab - aus Protest gegen die Politik von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle. Bayerns FDP-Chef Albert Duin würdigte Hamm-Brücher als Politikerin mit festen Überzeugungen und der Kraft unbequem zu sein - auch für ihre Partei. "Wir behalten sie als unabhängigen Geist und leidenschaftliche Liberale in Erinnerung."

Schwierige Kindheit und eine Leidenschaft für den Sport

Hildegard Brücher wird am 11. Mai 1921 in Essen geboren. Sie wächst in Berlin-Dahlem auf. Weil ihre Eltern früh sterben, lebt sie mit ihren vier Geschwistern bei der Großmutter in Dresden. 1937 kommt sie in das Internat Schloss Salem am Bodensee. Weil ihre Großmutter Jüdin ist, muss sie die Schule schon bald wieder verlassen. Hildegard Brücher liebt Skifahren und Schwimmen. Im Alter von zwölf Jahren wird sie bayerische Kraulmeisterin. (Hildegard Hamm-Brücher am Rande des Wahlkongresses der FDP im Schneefernerhaus auf der Zugspitze 1970)

Stiller Widerstand

Nach dem Abitur 1939 studiert Hildegard Brücher Chemie an der Universität in München. Sie zählt zum erweiterten Kreis um die Widerstandsgruppe der Geschwister Scholl. Zeitlebens setzt sie sich für eine, wie sie sagt, "menschenwürdige staatliche und gesellschaftliche Ordnung" ein. (Vor dem Eingang zum Hauptgebäude der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sind die Flugblätter der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" als Denkmal in den Boden eingelassen.)

Mentor Theodor Heuss

Nach dem Krieg arbeitet die inzwischen promovierte Chemikerin als wissenschaftliche Redakteurin bei der Neuen Zeitung in München. 1946 interviewt sie den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, der sie dazu ermuntert, Politikerin zu werden - mit der burschikosen Aufforderung "Mädle, Sie müsset in die Politik". Zwei Jahre später tritt Brücher in die FDP ein und sitzt von 1948 bis 1954 im Münchner Stadtrat. (Theodor Heuss bei seiner Vereidung zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, 1949)

Ehe mit einem CSU-Politiker

1956 heiratet Hildegard Brücher den Juristen und Münchner Stadtrat Erwin Hamm - einen CSU-Politiker. Er ist bis zu seiner Pensionierung 1974 Betriebs- und Krankenhausreferent in der Landeshauptstadt. Die beiden haben einen Sohn, Florian (geboren 1955), und eine Tochter, Verena (geboren 1959). Erwin Hamm stirbt 2008 mit 98 Jahren. (Hildegard Hamm-Brücher mit ihrem Mann und ihrer Tochter Verena 1970)

Kampf gegen Alt-Nazis

Als FDP-Landtagsabgeordnete entlarvt Hildegard Hamm-Brücher die nationalsozialistische Vergangenheit von Kultusminister Theodor Maunz (CSU). Der Staatsrechtler hat den Nazis gedient. "Das sind Tendenzen, die in Deutschland nicht greifen dürfen", sagt Hamm-Brücher und löst 1964 den Rücktritt von Maunz mit aus.

Im Auftrag der Bildung

Hildegard Hamm-Brücher initiiert 1966 das erste Volksbegehren der bayerischen Nachkriegsgeschichte: Vehement setzt sie sich für die Einführung der Gemeinschaftsschule in Bayern ein, kann sich aber nicht durchsetzen. 1976 zieht Hildegard Hamm-Brücher über die Landesliste der FDP in den Bundestag ein und wird parlamentarische Staatssekretärin im Auswärtigen Amt (Hildegard Hamm-Brücher mit dem Bayerischen Landtagspräsidenten Rudolf Hanauer)

Streitbare Politikerin

Als die FDP 1982 ein Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) anstrebt, macht Hildegard Hamm-Brücher nicht mit: "Ich kann dem Bundeskanzler nicht mein Misstrauen aussprechen, wo ich noch vor zwei Wochen vertrauensvoll mit ihm zusammengearbeitet habe - vielleicht eine typisch weibliche Reaktion." Sie verliert dadurch ihren Posten als parlamentarische Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Bis Ende 1990 bleibt sie einfache Abgeordnete im Bundestag. (Hildegard Hamm-Brücher spricht auf dem Sonderparteitag der Bayerischen FDP in München)

Eine Frau als Bundespräsidentin?

1991 zieht sich Hildegard Hamm-Brücher aus der aktiven Politik zurück, drei Jahre später kehrt sie kurz zurück. Als Kandidatin der FDP für das Amt des Bundespräsidenten sieht sie sich den Konkurrenten Roman Herzog (CDU) und Johannes Rau (SPD) gegenüber. Hamm-Brücher erzielt achtbare Ergebnisse, muss sich aber im dritten Durchgang Roman Herzog geschlagen geben. (Hildegard Hamm-Brücher mit Johannes Rau, dem Anwärter der SPD auf das Amt des Bundespräsidenten. In der Mitte: Amtsinhaber Richard von Weizsäcker, ganz hinten CDU-Kandidat Roman Herzog)

"Grande Dame" der FDP

Obwohl Hildegard Hamm-Brücher seit 1991 keine politischen Ämter mehr bekleidet, gilt sie lange weiterhin als gefragte Interviewpartnerin und unbequeme Kommentatorin. Hamm-Brücher ist längst zur "großen alten Dame der FDP" geworde. (Hamm-Brücher 1998)

Kontroversen und endgültiger Bruch mit der FDP

Im September 1998 tritt Hildegard Hamm-Brücher aus Protest aus der bayerischen FDP aus - einen Tag, nachdem die Liberalen sich zu einer Koalitionsaussage für die CSU entschieden haben. Bis 2002 hat sie eine "bundesmittelbare Mitgliedschaft", die eigentlich für im Ausland lebende Liberale vorgesehen ist. 2002 kommt es zum endgültigen Bruch mit der FDP. Als Grund für ihren Austritt nennt Hildegard Hamm-Brücher die "andauernde, rechtspopulistische, antiisraelische und tendenziell Antisemitismus schürende Agitation" des damaligen stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Jürgen Möllemann. Sie kritisiert zudem die Führungsschwäche des liberalen Chefs Guido Westerwelle, der zu den Fehltritten Möllemanns zu lange geschwiegen habe. (Jürgen Möllemann, links, und Guido Westerwelle 2002)

Späte Anerkennung aus der CSU

Auch als Parteilose äußert sich Hildegard Hamm-Brücher immer wieder zu politischen Themen. Sie setzt sich für Frauenrechte ein, kämpft gegen Antisemitismus und kritisiert das Bildungssystem. 2009 sorgt CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer für einen Skandal, indem sie sagt, dass der ehemalige CSU-Chef Franz Josef Strauß für sie kein Vorbild sei, dafür aber Hamm-Brücher. Gerade die Politikerin, die von Strauß einst als "Krampfhenne" bezeichnet wurde. Haderthauer wird für diese Aussage beinahe aus dem Kabinett geworfen.

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