Fastenzeit:Es geht auch ohne

Fasten wäre gar nicht schlimm, wenn man sich aussuchen dürfte, was in den nächsten Wochen alles gestrichen wird. Es gäbe da ein paar Dinge, auf die München ganz gut verzichten könnte. 15 Vorschläge aus der SZ-Redaktion.

15 Bilder

Teileröffnung des renovierten Hauptbahnhof-Zwischengeschosses in München, 2014

Quelle: Florian Peljak

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Absperrbänder

Der Stachus, der Hauptbahnhof, derzeit der Marienplatz - für den regelmäßigen MVV-Nutzer ist die Passage der größten U-Bahn-Stationen seit Jahren in erster Linie ein Orientierungslauf: Wo gestern noch die Rolltreppe fuhr, versperrt heute signalrotes Trassierband den Weg, schnell hochgezogene Sperrwände führen den Fahrgast mehr in die Irre als zum Ziel, und hat er dann endlich das Zwischengeschoss erreicht, ist er von mehrfachen Richtungswechseln so wirr im Kopf, dass er mindestens einen Kompass bräuchte, um den richtigen Ausgang zu finden. Mag ja sein, dass die großen Bahnhöfe nach den Renovierungen schöner, heller, praktischer sind, am Hauptbahnhof ist das teilweise ja schon zu sehen. Aber: Werdet jetzt bitte mal fertig. Ihr baut da ja schließlich keinen Flughafen.

Stephan Handel

Gitarrenspiel im Winter

Quelle: dpa

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Schräge Akkorde

Natürlich gibt es sehr gute Musiker zu hören auf den Straßen Münchens, in der Fußgängerzone, hinten am Marienhof. Manchmal. Manchmal aber stehen da auch Menschen, die ein altersschwaches Akkordeon, eine verstimmte Gitarre zum Schrecken und Ärgernis der Passanten - und mehr noch: der Menschen, die in der Nähe leben oder arbeiten - malträtieren, die nur eine ungefähre Ahnung davon haben, wo die richtigen Töne denn liegen könnten, welche Akkorde angemessen sind und wie das Lied, das sie spielen möchten, eigentlich geht. Nichts gegen die Not der Leute, die ihr Geld auf der Straße verdienen müssen, weil ihnen unsere große reiche Stadt keine andere Möglichkeit bietet. Aber muss das unbedingt unter der Absonderung von Lärm geschehen? Für 40 Tage aufhören damit, sich so bemerkbar machen - das wäre ein Verzicht, für den wir sogar bezahlen würden.

Stephan Handel

Münchner Philharmonie

Quelle: dpa

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Konzertpause

Es geht nicht darum, ob München einen neuen Konzertsaal braucht oder nicht (natürlich braucht's einen). Es geht darum, wie viel Platz und Manpower diese unselige Debatte über Jahre (gefühlt Jahrzehnte) bindet. Würde man allein den Platz, den diese Zeitung dem Thema widmet, als Anzeigen (vielleicht zum selben Thema) verkaufen, könnte man (gefühlt) hundert neue Redakteure einstellen. Der Bayerische Rundfunk bräuchte keine katastrophal moderierte Bürgersprechstunde mehr senden und hätte mehr Platz für "Söder dahoam". Die städtischen Philharmoniker müssten sich in ihren Presseerklärungen nicht mehr verbiegen. OB Dieter Reiter wäre, statt Seehofers Hunderl, nach wie vor auf gutem Weg zu einem echten roten Löwen, obwohl er Bayern-Fan ist. Und die Frage, ob Seehofer an progredientem Kurzzeitgedächtnismangel leidet, stellte sich einmal (von hundert) weniger. Stattdessen könnte man diskutieren, ob man nicht die Olympiahalle entkernt und darin den ganzen Gasteig versenkt.

Karl Forster

Echo 2014 - Verleihung

Quelle: picture alliance / dpa

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Atemlose Nächte

Man soll in der Fastenzeit auf etwas verzichten, das richtig weh tut, so weh in etwa wie folgender Reim: "Alles was ich will, ist da, große Freiheit pur, ganz nah. Nein wir wollen hier nicht weg, alles ist perfekt." Und deshalb geben jetzt alle Münchner mal ganz flott ihre Karten fürs ausverkaufte Helene-Fischer-Konzert im Olympiastadion (am 13. Juni) zurück und spenden das Eintrittsgeld stattdessen. Für was Sinnvolles - den Deutschen Asthmabund zum Beispiel. Nicht nur dessen Mitglieder leiden seit Jahren schwer an "Atemlos durch die Nacht".

Susanne Hermanski

Cafe "Soda" in München, 2015

Quelle: lukasbarth.com

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Zapfenstreich

Die Eins scheint eine magische Zahl im Münchner Nachtleben zu sein, ein ungeschriebenes Gesetz, die Erlaubnis, jeden noch so geselligen Abend binnen Minuten zu beenden. Um ein Uhr nämlich schließen unter der Woche die meisten Kneipen. Rigoros. Ausnahmen sind selten. Wer danach noch Lust auf ein Getränk hat, wird mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern. Er wird von Tür zu Tür wandern, in dunkle Räume blicken und sich über die "Open-End"- oder "Täglich bis drei Uhr geöffnet"-Schilder ärgern. Liebe Lokale, die gesetzliche Sperrzeit gilt lediglich von fünf bis sechs Uhr morgens - und das schon seit mehr als zehn Jahren. Probiert es doch einfach mal aus und verzichtet die kommenden 40 Tage darauf, schon um ein Uhr jeden Gast in die Kälte zu jagen. Ein oder zwei Stunden länger gehen doch bestimmt.

Melanie Staudinger

Weinmarkt

Quelle: picture alliance / dpa

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Wichtig-Trinker

Der Klassiker: Von Aschermittwoch bis Ostern keinen Alkohol trinken. Das kann man machen, das schadet ganz bestimmt nicht, obwohl der Bayer ja sagt: Jeden Tag ein Rausch ist auch ein regelmäßiges Leben. Worauf die Stadt allerdings gut verzichten könnte, das sind diese Wichtigtuer, die zwar keine Ahnung haben, aber mit großsprecherischer Miene jeweils den Wein bestellen, von dem sie irgendwo gehört haben, dass er gerade en vogue ist. Das sind die Menschen, die immer noch glauben, Beaujolais primeur sei ein Qualitätsmerkmal (wo es doch nur eine Werbekampagne ist), die dann Chardonnay bestellten, später Riesling und jetzt gerade Lugana - das können alles gute Weine sein, aber nicht, weil der Wichtigtuer davon gelesen hat und weil sie so heißen: So wie nicht jedes Münchner Bier gleich gut ist, ist nicht jeder Lugana ein Spitzenwein. Das aber kann der Wichtigtuer nicht unterscheiden, weil er nichts weiß vom Wein, weshalb er doch jetzt bitte mal die Klappe halten soll, während er lernt, dass Tannin kein Toilettenreiniger mit Nadelholzgeruch ist.

Stephan Handel

FC Bayern Muenchen v Hamburger SV - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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Hamburger

Muss Verzicht eigentlich schmerzen oder darf er auch glücklich machen? Dann sei ein von Herzen kommender Verzicht für die nächsten Wochen, Monate oder gerne auch Jahre angeboten: der Verzicht auf weitere Besuche von Spielen des HSV beim FC Bayern. Die schmerzhafte Bilanz des vergangenen Samstags (aus Sicht einer Hamburgerin) waren erfrorene Füße, acht Tore für die Bayern, von dem dreistelligen Betrag für zwei Tickets ganz zu schweigen. Ach ja, und dann noch der Fangesang der offensichtlich aus Hessen stammenden und zum leidenschaftlichen FCB-Fan mutierten Nebensitzerin, Stern des Süüüüdens! Alles ganz verzichtbar. Genauso wie ein Blick auf die Bilanz der fünf vergangenen Gastspiele der Hamburger an der Isar: null Punkte für den HSV, 3:31 Tore. Gepriesen sei der Verzicht. Vielleicht wird es doch Zeit für den Abstieg in die zweite Liga - wobei, nein, halt, darauf sei doch lieber verzichtet!

Nina Bovensiepen

Gerhard Polt

Quelle: dpa

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Misstöne

Dem wahren Münchner geht das Granteln leicht von den Lippen, man kann sich ja über so vieles beschweren. Baustellen nerven, Schlaglöcher aber auch. Die S-Bahn kommt zu spät. Und kommt sie, gibt es keinen Sitzplatz. Schon wieder Regen, herrgottnocheins, wird denn nie Frühling? Hunde legen ihre Haufen wirklich überall hin, was hilft da eine Leine! Granteln kommentiert, was ohnehin nicht zu ändern ist. Für Karl Valentin, den Urgrantler, hatte der Grant etwas Surreales, Harry G und Gerhard Polt bringen auch den inbrünstigsten Grantler zum Schmunzeln, obwohl - oder gerade weil - sie diese selbst aufs Korn nehmen. Wer über sich selbst lachen kann, sollte kein Bühnenstück brauchen, um positiv gestimmt durch den Tag zu kommen. 40 Tage den Grant Grant sein lassen: eine echte Herausforderung. Könnte doch aber ganz heiter werden. Und Fasten soll ja auch Entbehrung sein, dann grantelt es sich nach Ostern umso ausgelassener.

Anne Kostrzewa

´Schull- un Veedelszöch" in Köln

Quelle: dpa

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Luftnummern

So ganz aufgeklärt sind die Fälle noch nicht. Beobachter vermuten, dass es unter Umständen Narren waren auf ihrem Nachhauseweg, die ihre Luftballons in den Tunneln unter der Innenstadt haben steigen lassen - und dann prompt nicht nur einen Kurzschluss, sondern gleich den Komplettzusammenbruch des gesamten S-Bahn-Systems verursacht hatten. Ja, darauf kann München in den nächsten Wochen locker verzichten. Aber nicht dass jetzt einer auf die Idee kommt, mit Luftschlangen in den diversen S-Bahnhöfen zu experimentieren. Das kann auch böse enden. Am besten ist es, einfach sämtliche Partyutensilien aus dem Münchner Untergrund fernzuhalten. Das ist ja auch eine Art von Verzicht. Bier und Schnaps sind seit einigen Jahren eh verboten in der Münchner S-Bahn.

Marco Völklein

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Luftschlösser

In der Fastenzeit geht es um Mäßigung, und die würde auch den Bauträgern und Maklern dieser Stadt nicht schaden. Was die Preise angeht sowieso, aber nicht nur. Auch auf die Großmäuligkeit könnte man ganz gut verzichten, mit der in München jeder noch so triste Neubau zum Luxusobjekt frisiert wird. "IsarBelle" oder "Karree Monte Venezia" klingt doch gleich ein paar hundert Euro pro Quadratmeter teurer, unter HöfePalaisGärtenParkSuiten machen es die wenigsten. Nur, wenn sich gar nichts davon anbietet, muss es auch eine total kreative Kombination aus Straßennamen und Hausnummer tun: "Sisi91" in der Elisabethstraße zum Beispiel oder "Engl 245" an der Englschalkinger Straße. Immer urbanes Traumwohnen auf höchstem Niveau, versteht sich.

Martin Hammer

Paulaner am Nockherberg, 2010

Quelle: Stephan Rumpf

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Delirien

Animator, Demolator, Triumphator, Rollator, Maximator, Atomreaktor, Optimator, Eigentor, Salvator oder wie die Gebräue alle heißen, mit denen sich diese Stadt zwischen Faschings- und Biergartenzeit betäubt - sie alle machen dick. Und träge. Schon aufgefallen? München erträgt sich selbst nicht mehr, wenn es nüchtern ist. Es müssen dann gleich Bock-Delirien sein. Erfinderisch, wie die Stadt ist, verbrämt sie ihre Starkbieranstichsfeiern als traditionelle Kulturveranstaltungen. Dabei sind sie nichts anderes als Ausdruck ultrapostmodernen Eskapismus'. Das Starkbier wiederum ist dazu da, sich solche Abende schönzusaufen - insofern erfüllt es auf seine hinterfotzige Art einen Zweck. Wir stoßen mit Starkbier auf Starkbier an, damit wir vergessen, wie übel uns Starkbier bekommt. Das Putzpersonal hat dann die Bescherung. Warum dann nicht gleich Schnaps? Und Magenbitter hinterher?

Rudolf Neumaier

allparteiliches Konfliktmanagement in München (akim). Silencer, Streetworker gegen Lärm, nachts am Gärtnerplatz. Sie weisen das Feiervolk darauf hin, etwas leiser zu sein.

Quelle: Florian Peljak

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Wohlstandsgenöle

Natürlich fällt es schwer, ausnahmsweise auch einmal fünfe gerade sein zu lassen. Und zumindest für einige Wochen nicht herumzumotzen, weil andere Leute nachts ihren Spaß haben wollen anstatt verdrossen vor dem Fernseher dahinzudämmern. Anwohnerbeschwerden sind zur Wohlstandsplage geworden, seit Langem schon, selbst 20-Jährigen ist nichts so wichtig wie die wohlverdiente Ruhe im trauten Nest. Erst ins hippe Szeneviertel ziehen, um dann Totenstille einzuklagen - das ist gerade so, als sei mit dem Gebot von den landesweit vergleichbaren Lebensverhältnissen ein Einödhof in einem nie besungenen Tal des Bayerischen Waldes gemeint. Ein Verzicht aufs nölende Anwohnerdasein ist gleichbedeutend mit einem Ja zum Leben. Und zur Urbanität.

Dominik Hutter

Anti-Bagida-Demonstration

Quelle: dpa

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Hetzer

Es gibt Theologen, die die Fastenzeit "eine Art Trainingslager der Menschlichkeit" nennen. Vielleicht könnten die famosen Abendlandsverteidiger von der Bagida die Zeit bis Ostern der inneren Umkehr widmen, "in der man nicht immer nur an sich denkt, sondern Verzicht übt zugunsten anderer", wie die katholische Kirche Sinn und Zweck des Fastens erklärt. Hieße im konkreten Fall: Verzicht auf Kundgebungen, die Neonazis und Rechtspopulisten als Bühne dienen; Verzicht auf Kundgebungen, die Hetze gegen Andersdenkende und -gläubige zum alleinigen Inhalt haben. "Früher war München schöner", hat Bagida-Organisatorin Birgit Weißmann vor einer Woche getönt. Irgendwie hat sie da schon recht: früher, als noch nicht jeder Montagabend von einer winzigen Minderheit für antiislamische Tiraden genutzt wurde. Wer gerne mit Kreuzen hantiert und auch schon mal eine Vatikanflagge schwenkt, dürfte gegen ein Trainingslager der Menschlichkeit doch eigentlich nichts einzuwenden haben.

Martin Bernstein

Neubaugebiet Domagkpark in München, 2014

Quelle: Florian Peljak

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Schuhkartons

Von innen sind diese Wohnungen mit Sicherheit ganz wunderbar, wer will das bestreiten: Bestimmt haben sie geräumige, helle Zimmer, sind großzügig geschnitten und ungeheuer praktisch. Energie verbrauchen sie sowieso kaum, und durch ihre großen Fenster haben die Bewohner die ganze Nachbarschaft im Blick, mindestens. Aber. Liebe Architekten, warum immer dieses Déjà-vu? Muss es wirklich jedes Mal ein Terrassen-Flachdach sein? Zum Beispiel neulich zwischen zwei Gründerzeit-Villen in Bogenhausen: Muss tatsächlich auch hier die immergleiche Schachtel-Ästhetik her, die von außen so wirkt, als hätte der Architekt beim Entwerfen einfach auf Copy und Paste gedrückt? Müssen es Häuser sein, die genau so auch in Riga stehen könnten, am Genfer See oder in Fukushima? Und muss dann wirklich auch die weiße Fassade sein, auf der man den Dreck von der Straße schon nach kurzer Zeit besonders deutlich erkennen kann? Zweifellos, das ist alles sehr, sehr modern und aller Ehren wert. Aber vielleicht könnten wir darauf doch auch einmal verzichten, der Abwechslung halber, nur für 40 Tage - und ein Wohnhaus bauen mit einem Walmdach, mit einer runden Veranda und einem Holzbalkon. Und dann streichen wir es knallorange.

Jakob Wetzel

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Quelle: Imago

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Verzicht

Am einfachsten fällt der Verzicht - auf den Verzicht. Warum sollte man bis Ostern fasten, nur weil dies vor Urzeiten irgendjemand mal festgelegt hat? Und es seitdem jedes Jahr Leute tun, viel weniger freilich, als es der unvermeidbare Medienhype vermuten lässt. Selber denken lautet das erfolgreiche Lebensprinzip der freien Welt, Befehle von der Kanzel haben da keinen Platz mehr. Man muss ja nicht auf Teufel komm raus völlern, bis die Schwarte kracht. Aber ohne Fasten geht es auch, das ist erlaubt. Ganz ehrlich. Genauso wie jeder an Ostern Fisch essen darf und am Karfreitag Schweineschnitzel.

Dominik Hutter

© SZ vom 18.02.2015/vewo
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