Süddeutsche Zeitung

Fasten mit Kleidern:Mut zur Modelücke

Die Textildesignerin Lenka Petzold hat das Klamottenfasten ins Leben gerufen. Anstatt auf Fleisch oder Süßigkeiten zu verzichten, misten die Teilnehmer ihren Schrank aus und benutzen nur noch 50 Kleidungsstücke - inklusive Socken, Unterwäsche und Schuhe. So mancher fühlt sich damit überfordert

Von Franziska Gerlach

Dass etwas fehlt, fällt nicht gleich auf. Auch wenn der Kleiderschrank von Lenka Petzold irgendwie anders aussieht als bei den meisten anderen Frauen. Überschaubarer, und so schön aufgeräumt. Sie muss hier nicht in der Schublade wühlen, um unter zahllosen Strumpfhosen diejenige mit dem Rautenmuster herauszufischen, und auch die allmorgendliche Qual der Wahl bleibt der 32-Jährigen in diesen Wochen erspart. Es ist trotzdem alles da, was man so braucht, Hosen, Oberteile, Socken. "Die Klamottenkur soll für viele umsetzbar sein", sagt Petzold, "nicht nur für die, die eh schon minimalistisch unterwegs sind."

Zur Fastenzeit ruft die Textildesignerin und Wahl-Münchnerin Petzold gemeinsam mit der Kölnerin Annika Cornelissen nun schon zum fünften Mal zu einer sogenannten Klamottenkur auf; die deutschlandweite Initiative ist Teil der Kampagne Modeprotest, die der Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung im vergangenen Jahr mit einem Qualitätssiegel ausgezeichnet hat. Andere verzichten in der Fastenzeit auf Fleisch, auf Schokolade, meist auf jeden Fall auf irgendetwas Essbares. Beim Kleiderfasten dagegen wird bis Ostern die Garderobe über sieben Wochen hinweg auf 50 Kleidungsstücke reduziert, Strümpfe, Unterwäsche und Schuhe inklusive.

Ziel der Klamottenkur ist es, den Umgang mit einer kleineren Garderobe zu üben. "Man kann nicht einfach aussteigen aus der Konsumwelt, daher ist es immer ganz gut, einen Punkt zu haben, an dem man sich zurück besinnt", sagt Petzold. Auf ein Teil mehr oder weniger kommt es dabei nicht an, auch gibt es keine strikte Vorgabe zur Zusammensetzung der Garderobe in dieser Zeit. "Wir hängen das zwar an der Zahl auf, um ein bisschen zu provozieren", sagt Petzold. Das Wichtigste aber sei die Reflexion, sich mal wieder mit dem eigenen Kleiderschrank zu beschäftigen. Und in Zukunft vielleicht keine voreiligen Shoppingtouren mehr zu unternehmen, sondern in Kleidungsstücke zu investieren, die einem wirklich gefallen.

Ob man die vorgegebenen 50 Teile als viel oder wenig erachtet, hängt offenbar auch vom bisherigen Modekonsum ab. "Bei einer Menge an Klamotten, die ich auf über 200 schätze, war die Kur sehr extrem für mich", schreibt eine Teilnehmerin bei Facebook - nach dreieinhalb Wochen gibt sie auf. Dennoch profitiere sie von der Aktion, schreibt sie, sie habe dadurch festgestellt, dass sie manche Stücke gar nicht vermisse und wolle diese nun guten Gewissens weggeben. Melissa Michel dagegen, eine 29-jährige Münchnerin, kommt mit ihrem abgespeckten Kleiderschrank gut zurecht. Sie bestreitet das Experiment mit alltagstauglichen Stücken wie Jeans, T-Shirts und Cardigans, die sich miteinander kombinieren lassen. Sommerröcke sowieso, aber auch schicke Blazer hat sie derweil in einer Kiste unter dem Bett verstaut. "Mich hat das eher erleichtert", sagt sie, "in meinem Kleiderschrank hängen ja trotzdem noch meine Lieblingsteile." Nach Ostern will sie ihre Garderobe begutachten und sich dabei fragen. "Macht dieses Teil mich glücklich? Oder kommt es weg?"

Die Fastenzeit soll im besten Fall nachdenklich machen und die Menschen inne halten lassen. Das steht in krassem Gegensatz zum Überfluss in Supermärkten und Restaurants, aber natürlich auch zur Modebranche, die sich zu berauschen weiß an Trends, die über die großen Ketten immer schneller den Weg von den Laufstegen in die Schränke der Konsumenten finden. Eine von Greenpeace beauftragte Umfrage hat jüngst ergeben, dass der durchschnittliche Deutsche 95 Kleidungsstücke besitzt - Socken und Unterwäsche nicht eingerechnet. Wenig überraschend haben Frauen mehr zum Anziehen als Männer, aber auch Einkommen und Bildung sind Faktoren, die zu mehr Klamotten im Schrank führen. Manche haben mehr als 300 Teile im Schrank, heißt es in der Studie. Und: Jedes fünfte Kleidungsstück wird so gut wie nie getragen.

Gekauft aber wird trotzdem. Hier ein T-Shirt, da eine Hose. Und vielleicht noch ein Paar neue Schuhe? Sich zurück zu nehmen mit der Shoppinglust ist schwierig, in einer auf Selbstoptimierung getrimmten Stadt wie München vielleicht noch ein wenig mehr. Als Petzold die Klamottenkur zu Beginn der Fastenzeit bei einer Kleidertauschparty von Green City vorstellt, trifft sie aber auf aufgeschlossene Menschen, wie sie erzählt. Insgesamt sei es natürlich einfacher, diejenigen zu erreichen, die sich bereits mit Nachhaltigkeit befasst haben. Vor allem junge Leute, für die Einkaufen oft ein Hobby sei, würde sie gerne verstärkt in Aktionen wie die Klamottenkur einbinden.

Wie der Greenpeace-Studie zu entnehmen ist, wissen viele der befragten Jugendlichen sogar "von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken Asiens"; trotzdem "überwiegen beim eigenen Kauf dann meist das Design, der Preis und die Marke - und nicht die nachhaltige Produktionsweise". Bei der 17 Jahre alten Sarah zum Beispiel, die an einem Abend mit ihrer Freundin durch die Münchner Fußgängerzone bummelt, müssen es schon zwei, drei Teile pro Monat sein. Klamottenfasten? Die Mädchen kichern. "Lieber nicht", sagt Sarah und schaukelt ihre Einkaufstüte. Da verzichte sie doch lieber auf Schokolade.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2016
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