Fasching:Samba, Caipi und ein bisschen Heimweh

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Ob im Bayerischen Hof oder auf dem Marienplatz: In der närrischen Zeit haben Münchens Brasilianer Hochsaison.

Angela Köckritz

Mitten in München, dort, wo man es am wenigsten erwartet, gibt es einen Schatz. Versteckt zwischen Parkplätzen und Fabrikhallen, Dönerbuden und Litfaßsäulen, schillert, schimmert, strahlt er.

Brasilianischer Karneval im Sambadrom in Rio: Eine Tänzerin der Schule Caprichosos de Pilares. (Foto: Foto: ap)

Leuchtende Rubine, funkelnde Saphire, glänzende Diamanten. Echt sind sie nicht, aber das ist auch nicht so wichtig. Was zählt, ist der Moment. Der Moment, in dem der Rhythmus anfängt, tacktack, die Tänzer auf die Bühne treten, Beine, Hüften, Schultern wiegen, tacktacktacktack.

Ein Moment und so viel Arbeit. Manchmal dauert es Wochen bis eines der Kostüme fertiggenäht ist. Der federgeschmückte Kopfputz, das üppige Rückenteil, die knappen paillettenbesetzten Kostüme.

Brasilshow ist nicht nur Popowackeln

Mehr als 500 verschiedene Kostüme hängen im Fundus des Tropical Dance Studios auf dem Optimolgelände, "die meisten haben meine Mutter und Schwester Christine selber gemacht", sagt Studio-Leiterin Marta Rodrigues-Kaever, die aus Belo Horizonte stammt.

Ein Moment und so viel Arbeit. Zweimal die Woche trainiert Marta gemeinsam mit der Tanztruppe, feilt an den Choreographien, 15 bis 20 sind es insgesamt, vier oder fünf pro Show.

"Viele Leute denken bei Brasilshow, das sei nur Popowackeln. Dabei haben wir eine richtige Choreographie", sagt Marta. An der werde lange gearbeitet, schließlich sei sie eine "extreme Perfektionistin".

Das Tropical Dance Studio ist ein Familienbetrieb. Marta kümmert sich um die richtigen Tanzschritte, Schwester Christine und ihre Mutter um die Kostüme, und bald wird der Bruder aus Brasilien einreisen, zuständig für die Organisation.

Zu organisieren gibt es derzeit einiges, sagt Marta, Fasching und die Fußball-WM, da sei viel los. An Fasching zum Beispiel haben sie einen Auftritt in Salzburg und kurz darauf in Tschechien.

Wie das sei, Carnaval und so weit weg von Belo Horizonte? Eigentlich nicht schlimm, sagt Marta, denn "bei uns ist immer Karneval. Wir sind immer beschäftigt mit den Kostümen, der Show, der Stimmung, schließlich ist es das, was wir in eine Party bringen: den Karneval von Rio."

Alle denken bei brasilianischem Karneval an Rio und Samba, sagt Marcelo Costa e Silva, musikalischer Leiter der Escola de Samba de Munique, dabei habe Brasilien so viel mehr zu bieten als das, "schließlich ist Brasilien größer als Europa."

Und Europa habe sich einiges von der Karnevalskultur Brasiliens abgeschaut, die Love Parade zum Beispiel. "Die Lkws mit Musik sind eine Kopie der Trilectricos, mit denen in Salvador de Bahia Karneval gefeiert wird."

Wo er selber Fasching feiern wird, weiß er noch nicht, einen Ort, wo sich alle Brasilianer Münchens treffen, gibt es nicht. "Die Brasilianer hier sind so unterschiedlich, kommen aus sehr verschiedenen Landesteilen, da ist das mit dem Zusammenhalt schwierig."

Fasching als Kultur

Oft bekomme er um diese Zeit Heimweh, sagt Costa e Silva, der aus Rio stammt, schließlich seien der deutsche Fasching und der brasilianische Karneval zwei sehr unterschiedliche Dinge, "nicht besser, nicht schlechter, anders halt."

Das fange beim Klima an und höre bei der Stimmung auf. "Bei uns fehlt die Kälte und damit der Gedanke, die Geister auszutreiben."

Anny Schaphoff, Leiterin der Escola de Samba de Munique, sieht das ähnlich. Fragt man sie, welcher Nationalität sie angehöre, stutzt sie.

Wirklich beantworten kann sie die Frage nicht, also nur so viel: in verschiedenen Ländern Lateinamerikas aufgewachsen, seit 1975 in Deutschland lebend.

"Hier flippen die Leute an Fasching aus, weil es Gewohnheit ist. In Brasilien brauchen die Leute keine offiziell erlaubte Jahreszeit, um gut drauf zu sein."

Die Escola de Samba hat sich daher entschlossen, nicht am Faschingsumzug teilzunehmen, sagt Schaphoff: "Wir vertreten nicht Fasching, wir vertreten eine Kultur." Doch haben sie einiges für die Fußball-Weltmeisterschaft geplant.

Musik als Droge

Die Escola de Samba entstand aus dem Versuch, mit einer weltweiten Simultanpercussion den Guinness-Rekord zu brechen. Geklappt hat das nicht, doch immerhin wurde stattdessen die Escola gegründet.

Vorbild sind die Sambaschulen in Rio, die Jahr für Jahr ihre gesamte Show an einem Thema ausrichten. Dieses fließt nicht nur in das Enredo, den gesungenen Samba, ein, sondern auch in Kostüme und Tänze.

Ergebnis ist ein singendes, trommelndes, tanzendes Gesamtkunstwerk, das an Karneval im Sambadromo präsentiert und bewertet wird. Ein Jahr lang arbeiten die Schulen unter strikter Geheimhaltung auf diesen Moment hin.

Obwohl die hiesige Escola keine Show geplant hat, wird Schaphoff an Fasching in der Münchner Innenstadt sein. Und trommeln, trommeln, trommeln.

Eigentlich hat ihr das ja der Arzt verboten, ein Muskelbandriss an der Schulter, aber "das geht nicht". Eine Droge, diese Musik, sagt Schaphoff und schwärmt: "Ein Jugendelixier, Freiheit, Lebensfreude, Sinnlichkeit."

Erst die Beine, dann die Hüften

Brigitte Baumgartner von der afrobrasilianischen Initiative Xango bereitet sich schon lange auf den Karneval vor. Sie näht. Vier- oder fünfmal hat sie bereits den Kostümwettbewerb des brasilianischen Balls gewonnen, der am Faschingsmontag im Bayerischen Hof stattfindet.

Am Nachmittag feiern die Kleinen, am Abend die Erwachsenen. Auch Xango veranstaltet einen Kinderkarneval, am 18. Februar in Thalkirchen. Den ganzen Speicher hat Baumgartner, deren Mutter Brasilianerin ist, schon voller selbst genähter Kostüme, alles glitzernde bunte Federsachen.

"Schade nur, dass man die so selten anziehen kann", eben nur bei Festen, Shows und Wettbewerben. Die Wettbewerbsidee, sagt Baumgarnter, gehöre einfach zum Karneval dazu.

Das sagt auch Christine von Tropical Dance: "In Rio hat jeder einen Favoriten. Du willst einfach, dass deine Sambaschule gewinnt. Feuerst sie an und fieberst mit. Das ist wie beim Fußball."

Doch Wettbewerb hin oder her, wenn der Abend später wird und die Caipirinhas ihre Wirkung entfalten, dann geht es nur noch um die Musik, um den Rhythmus, um das Tanzen. Erst die Beine, dann die Hüften, dann die Schulter, Tacktacktacktack.

© SZ vom 18./19.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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