Familiensaga:Streng, schnell, nachlässig

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Eine Pumpgun, verlorene Augustinum-Millionen und Asyl für Schalck-Golodkowski: das Leben von Markus Rückert

Von Klaus Ott

Die Anhörung begann in aller Frühe, um 7.51 Uhr, und die Münchner Kriminalpolizei stellte jede Menge unangenehme Fragen. Was Markus Rückert an jenem Morgen erlebte, kurz vor Weihnachten 2015, gehört sicher zu den ungewöhnlichsten Erfahrungen im Berufsleben des evangelischen Pfarrers und damaligen Konzernchefs. Die Polizei wollte unter anderem hören, was der Leiter der christlich geprägten und gemeinnützigen Unternehmensgruppe Augustinum über fragwürdige Provisionen des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden, über ein Geldgeschenk in Höhe von 3000 Euro und über die Waffe eines ehemaligen Geschäftsführerkollegen wissen. Alles Themen, die nicht so recht zu einem Sozialkonzern passen, der sich um alte Menschen, Behinderte, Kranke und viele andere kümmert.

Rückert wirkte, so lässt sich das dem Protokoll der Anhörung entnehmen, offenbar etwas zerknirscht. Manches, was nun über fragwürdige Immobiliendeals herauskomme, sei unsäglich. Manches, was damals geschehen sei, würde er heute nicht mehr zulassen. Manches habe er nicht überrissen. Und die Waffe, die ihm ein Geschäftsführerkollege einmal in dessen Wohnung am Ammersee gezeigt und damit angegeben habe, sei eine Pumpgun gewesen. Ob die echt gewesen sei, oder nicht, wisse er nicht, gab der Geistliche beim Kriminalfachdezernat 7 zu Protokoll.

Pfarrer Rückert hat fast drei Jahrzehnte lang von Pasing aus das von seiner Familie errichtete Augustinum geleitet, das Seniorenstifte, Sanatorien, Schulen und einiges mehr betreibt. Diese Art von Sozial-Konzern gibt es nicht allzu häufig. Als Chef des Augustinums ist Rückert, 65, kürzlich in den Ruhestand gegangen. In der ereignisreichen Geschichte seiner Familie und ihres Lebenswerks kommt das einem großen Einschnitt, ja einer Zäsur gleich. Doch für den Kirchenmann, den die Münchner Industrie- und Handelskammer (IHK) einmal als sehr fordernden, fast ungeduldigen "Schnelldenker" beschrieben hat, bleibt noch einiges aufzuarbeiten.

Vor allem das, was bei der Anhörung im Dezember 2015 zur Sprache gekommen war. Die Polizei hatte sich bei dem damaligen Augustinum-Chef auch nach einer Mail erkundigt, in der er seinem Aufsichtsrat den "totalen Krieg" gegen einen missliebigen Geschäftspartner nahegelegt hatte. Das sei erstaunlich drastisch formuliert, sagte der Kirchenmann rückblickend über seine eigenen Worte - geschuldet gewesen sei der Ausspruch aber einem ärgerlichen Zusammentreffen mit diesem Geschäftspartner, der Immobilienfirma Nordic Kontor.

Markus Rückert, fast drei Jahrzehnte lang Chef des Sozialkonzerns Augustinum, gilt als direkt, meinungsstark und manchmal gar polemisch. (Foto: Wolf Heider-Sawall / laif)

Das Augustinum hat bei zahlreichen Seniorenstiften quer durch Deutschland Immobiliendeals mit Nordic Kontor im Wert von mehr als 700 Millionen Euro gemacht. Deals, bei denen die kirchlich geprägte Unternehmensgruppe übel hereingelegt worden sein soll. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrug, Korruption und anderen Vorwürfen. Rückert, ehedem einer der führenden Geistlichen in der Diakonie in Deutschland, dem evangelischen Gegenstück zur katholischen Caritas, hat bei diesen Deals eine eher unglückliche Figur gemacht. Was auch daran lag, dass das Augustinum mit seinen 4400 Beschäftigten lange wie ein Familienbetrieb geführt worden war. Die Strukturen für eine Unternehmensgruppe dieser Größe, für einen Konzern mit knapp 350 Millionen Euro Jahresumsatz, haben wohl einfach nicht mehr gestimmt.

Nun also der Wechsel an der Konzernspitze, der Ende März erfolgte. Die Familie ist mit Rückerts Sohn Johannes weiterhin in der Geschäftsführung vertreten. Der neue Chef freilich, Joachim Gengenbach, ist erst vor wenigen Jahren von außen dazu gestoßen. Die Zeit des Familienbetriebs neigt sich im Augustinum, in dessen Stiften, Schulen und Heimen mehr als 10000 Menschen leben oder betreut werden, offenbar dem Ende zu.

Und das nach immerhin mehr als sechs Jahrzehnten, in denen die Rückerts in erster und zweiter Generation die Geschicke des Sozialkonzerns bestimmt haben. Und zwischendurch auch mal, gut drei Wochen lang, bei sich zu Hause in Pasing den früheren DDR-Wirtschaftsfunktionär und Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski versteckt haben. Im Januar 1990 war das, wenige Wochen nach dem Fall der Mauer in Berlin. Ein Kirchenmann hatte "Bruder Rückert" um Hilfe gebeten. Ob der einen "hochrangigen Vertreter des DDR-Regimes, der sich in Schwierigkeiten befindet, eine Zeitlang beherbergen" könne. Jemanden, der sowohl der Diakonie wie auch der Kirche selbst in beiden Teilen Deutschlands "unschätzbare Dienste" erwiesen habe.

Die Rückerts konnten. So hat das die Journalistin Sabine Rückert, eine Schwester des langjährigen Augustinum-Chefs, später in der Zeit beschrieben. Gespickt mit Anekdoten wie der Frage eines Verwandten damals: "Was macht denn der Schalck bei der Oma auf dem Sofa?" Offiziell waren Schalck-Golodkowski und seine Frau als Pastorenehepaar Gutmann aus der DDR bei den Rückerts einquartiert worden, im Keller. Das ist nur eine von vielen bemerkenswerten Begebenheiten aus dem Leben von Markus Rückert. Der evangelische Geistliche, von barocker Figur, ist des Wortes sehr mächtig, wovon diverse Predigten in der Himmelfahrtskirche in Pasing zeugen. Direkt, meinungsstark und manchmal gar polemisch, auch so hat ihn die IHK für München und Oberbayern in ihrem monatlichen Magazin Wirtschaft mal beschrieben.

Doch öffentlich will sich Rückert nicht zu seinem Wirken, dem Wechsel an der Spitze des Augustinums und zu den Immobiliendeals mit den Seniorenstiften äußern. Der Ermittlungen wegen, die noch nicht abgeschlossen sind und von denen sich der Sozialkonzern eine Anklage gegen die angeblichen Betrüger erhofft. Darunter Rückerts ehemaliger Geschäftsführerkollege in der gemeinnützigen Unternehmensgruppe. Der mit der Pumpgun.

Außer im Augustinum ist Rückert auch als Vorsitzender des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) zugange gewesen, des Unternehmensverbandes evangelischer Einrichtungen bei den sozialen Dienstleistungen. Auch dort hat der Geistliche kräftig Stellung bezogen, für einen "Dritten Weg" im Umgang mit den mehreren Hunderttausend Beschäftigten: keine einseitigen Vorgaben der Unternehmen, aber auch keine Tarifverträge mit der Gewerkschaft. Stattdessen sollten von Arbeitgeber und Arbeitnehmern paritätisch besetzte Kommissionen "einvernehmlich" die Arbeitsbedingungen beschließen, auf Basis des Kirchenrechts.

Rückert habe die Diakonie auf einen "neoliberalen Kurs" gebracht, schimpft Erhard Schleitzer, bis zum vergangenen Jahr Vorsitzender der Bundesfachgruppe Kirche in der Gewerkschaft Verdi. Schleitzer nennt Rückert einen "Hardliner", der "sehr gewerkschaftsfeindlich" agiert habe. Sein sogenannter "Dritter Weg" habe nur dazu gedient, die Löhne zu senken. Das alles passe überhaupt nicht zur kirchlichen Lehre. Rückert hat solchen Vorwürfen zu seiner Zeit als VdDD-Chef heftig widersprochen. Dumpinglöhne seien nicht sein Ziel gewesen. Der Geistliche machte aber auch klar: Arbeitskämpfe kämen für ihn nicht in Frage. Es sei "unerträglich", dass Verdi immer wieder mit aus seiner Sicht unzulässigen Streiks drohe. Diese Woche hat der Ex-Verbandschef in einer VdDD-Zeitschrift noch einmal nachgelegt gegen Verdi.

So streng Rückert bei der Diakonie agierte, so nachlässig war der Konzernchef bei den Immobiliendeals, bei denen er sich auf andere verließ. Auf den Geschäftsführerkollegen mit der Pumpgun und auf den Anfang 2014 verstorbenen Aufsichtsratschef Artur Maccari. Später, nach dem Verkauf vieler Seniorenstifte, war Rückert aus Schaden klug geworden. Rund 30 Millionen Euro hat das Augustinum verloren. Der Polizei berichtete der Geistliche bei seiner Anhörung Ende 2015, man habe ein neues Risiko-Management eingeführt und werde nun auch eine interne Revision einrichten. Und man habe das Rechnungswesen komplett umgestellt; auf eine neue Software für die Abrechnungen. Künftig werde vor der Auszahlung von Geldern geprüft, ob die entsprechenden Leistungen auch erbracht worden seien.

So sollte das in einem Konzern üblich sein, aber beim Augustinum war eben vieles anders. Bis hin zu dem Umstand, dass sich Aufsichtsratschef Maccari zu Rückerts 60. Geburtstag selbst eingeladen und dem Jubilar eine Reise nach Rom geschenkt habe. Als der Trip nicht zustande kam, hat Rückert nach eigenen Angaben von seinem Aufsichtsratschef Maccari stattdessen 3000 Euro erhalten. Auch das kam bei der Polizei zur Sprache. Das Geld, erzählte Rückert, habe er einem Missionswerk für ein Projekt im Kongo gespendet.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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