Familiennachzug von Flüchtlingen:Seit Jahren will ein Vater seine Tochter nach Deutschland holen - und scheitert

Familiennachzug von Flüchtlingen: Fatema lebt bei ihrem Onkel in Teheran. Ihre Beine kann sie kaum bewegen.

Fatema lebt bei ihrem Onkel in Teheran. Ihre Beine kann sie kaum bewegen.

(Foto: SZ-Grafik; privat, dpa)

Die Schülerin Fatema ist seit fünf Jahren von ihrer Familie getrennt. Seit drei Jahren versucht ihr Vater, das Mädchen von Teheran nach Pullach bei München zu holen. Die Familie ist mit ihren Nerven am Ende.

Von Anna Hoben

Er ist jetzt endlich bei ihr. Sie halten sich in einer Kellerwohnung auf, irgendwo in Teheran: Fatema, 16 Jahre alt, und ihr Vater, Adnan M. Sie warten, auf einen Stempel, der alles entscheidet. Mit dem Stempel könnte Fatema nach Deutschland fliegen, zu ihrer Familie. Sie könnte neuen Lebensmut schöpfen. Den Stempel könnte die deutsche Botschaft in Teheran auf das Papier setzen.

Fatemas Geschichte klingt wie ein Krimi, dessen Autor von allen Zutaten ein bisschen zu viel genommen hat. Aber die Geschichte ist kein Krimi, sie erzählt vom echten Leben und davon, was es bedeutet, in Zeiten der Flüchtlingskrise aufzuwachsen. Und sie wirft ein Schlaglicht auf die deutsche Politik des Familiennachzugs.

Im Jahr 2002 wird Fatema in Afghanistan geboren, als Kind einer organisierten Zwangsehe. Ihre Eltern sind unglücklich miteinander. Ihr Vater, so erzählt er es Jahre später, verliebt sich in eine andere Frau, Amina. Er nimmt sie zur zweiten Frau, in Afghanistan ist das möglich. Die Familie der ersten Frau ist damit nicht einverstanden. Verwandte überfallen Adnan M. und misshandeln ihn schwer. Als er erfährt, dass die Familie jemanden bezahlt hat, ihn zu töten, flieht er mit beiden Frauen nach Iran. Dort ziehen sie mehrmals um, um den Rächern zu entkommen. Adnan M.s erste Frau nimmt sich das Leben. Ihre Familie fordert von M., ihnen das Kind zu geben; er verweigert. Amina M. zieht Fatema als Stiefmutter groß.

Unterdessen wächst die Gefahr durch den Clan der ersten Ehefrau. 2013 macht sich Adnan M. nach eigenen Angaben mit seiner Familie auf den Weg in Richtung Türkei. An der Grenze gibt es einen Tumult, die elfjährige Fatema wird festgehalten, die Familie getrennt. Das Mädchen kommt zu seinen Großeltern und dem Bruder seines Vaters, die in Teheran leben. Der Onkel, der selber vier Kinder hat, sorgt für sie, so gut er kann. Adnan M. und seine Familie bleiben zunächst in der Türkei, immer in der Hoffnung, Fatema bald nachholen zu können. Weil der Familie droht, dass das Land sie wieder nach Iran abschiebt, setzen sie die Flucht fort. Im Jahr 2015 erreichen sie Deutschland.

Sie werden als Asylbewerber anerkannt, bekommen subsidiären Schutz. Die Familie lernt Deutsch und zieht aus der Gemeinschaftsunterkunft in Pullach in eine Wohnung. Der Vater findet einen Job als Küchenhilfskraft in einer Kinderkrippe. Deren Leiterin, Bettina Knitter, erfährt von Fatemas Geschichte. Zusammen mit Doris Thurner vom Helferkreis für Flüchtlinge in Pullach kämpft sie seitdem dafür, dass Adnan M. seine Tochter zu sich holen kann. 2016 bringt Amina M. ein weiteres Kind zur Welt, Fatema hat nun drei Halbgeschwister in Deutschland, zwei davon hat sie noch nie gesehen.

2017 macht der Clan von Adnan M.s erster Frau Fatema ausfindig. Die mittlerweile 15-Jährige soll verheiratet werden, ein potenzieller Mann ist schon gefunden, aus der Verwandtschaft, Ende 30. Adnan M. fliegt nach Iran, um das zu verhindern, er hofft, sein Kind mit nach Deutschland nehmen zu können. Doch Fatema bekommt kein Visum, er muss allein zurück. In Teheran verliert der Onkel seine Arbeit, er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Und er wird ungeduldig, ein fünftes Kind könne er nicht mehr lange ernähren, sagt er. Auch die Zwangsverheiratung könne nicht mehr lange verhindert werden.

Im Februar 2018 beschließt der Bundestag mit den Stimmen der Unions- und der SPD-Fraktion, dass der Familiennachzug nach Deutschland zu Flüchtlingen mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutzstatus, ausgesetzt bleibt. Nun soll "aus humanitären Gründen" monatlich insgesamt 1000 Ehepartnern, Kindern oder Eltern subsidiär Geschützter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können, die Regelung gilt seit Mittwoch. Für eine Aufnahme in dieses Kontingent hat Adnan M. sich beworben - ob es mit dem Nachzug klappt, ist allerdings bislang ungewiss.

Die Ausländerbehörde im Landkreis München unterstützt die Familie, so gut es geht. Der Vater hat einen DNA-Test gemacht und viele Dokumente geliefert. Die Deutsche Botschaft in Teheran hat eine Sterbeurkunde von Fatemas leiblicher Mutter gefordert, doch für Flüchtlinge in Iran gibt es keine Sterbeurkunden. Mit großem Aufwand gelingt es schließlich doch, eine Bestätigung für den Tod der Mutter zu bekommen. Unterdessen wird Fatema immer verzweifelter. Sie wirft ihrem Vater vor, sie nicht zu lieben und nicht zu wollen, dass sie zu ihm komme.

In einem Abschiedsbrief an ihren Vater entschuldigt sich Fatema

Vor drei Wochen, am 12. Juli, erzählt Adnan M. in der Kinderkrippe, dass die Botschaft in Teheran versichert habe, ihm anderntags zu antworten. Er schöpft neue Hoffnung. Die Mitarbeiter der Krippe starten einen Spendenaufruf, damit er die Flugtickets bezahlen kann. Kurz darauf erfährt M., dass seine Tochter in der Nacht zuvor Tabletten ihrer Großmutter geschluckt hat und in einer Klinik in Teheran liegt. Fatemas Magen wurde ausgepumpt, sie musste wiederbelebt werden und liegt im Koma. In einem Abschiedsbrief an ihren Vater entschuldigt sie sich, sie halte die ungewisse Situation nicht mehr aus. Am nächsten Tag sitzt Adnan M. im Flugzeug nach Teheran.

Als Fatema am 14. Juli aus dem Koma erwacht, ist ihr Vater bei ihr. Sie erkennt ihn, hat aber Ausfälle beim Sprechen. Bis heute kann sie ihre Beine kaum bewegen, sie sitzt im Rollstuhl, vor ein paar Tagen ist sie zum ersten Mal kurz aufgestanden. Die Klinik entlässt das Mädchen nach zwei Tagen, da unklar ist, wer die Kosten trägt. Die Ausländerbehörde im Landkreis München verfasst mehrere Schreiben, die Adnan M. einen Termin in der Botschaft verschaffen sollen. Am 17. Juli kann M. endlich vorsprechen. Den Stempel kriegt er nicht.

Um Folgeschäden möglichst gering zu halten, braucht Fatema geeignete Therapien. Bettina Knitter hat Kliniken in der Region um München angeschrieben und mehrere gefunden, die gegenüber der deutschen Botschaft in Teheran zugesagt haben, das Mädchen zu behandeln. Am 16. August läuft ihr Pass ab, einen neuen zu beantragen, würde laut dem afghanischen Konsulat in Teheran ein bis zwei Monate dauern. In einer Woche endet Adnan M.s Aufenthaltsgenehmigung in Iran. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, wie die Chancen für Fatemas Einreisevisum stehen und wie schwer die humanitären Gründe in ihrem Fall wiegen, erklärt das Auswärtige Amt: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zu Einzelfällen schon aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen keine Stellung nehmen können."

Über das Internet ist Bettina Knitter mit Adnan M. regelmäßig in Kontakt. Er und seine Familie sind ihr, den Mitarbeitern und Kindern in der Krippe ans Herz gewachsen. Sie haben ein breites Unterstützernetzwerk. "Doch uns läuft die Zeit davon", sagt Knitter. "Jeder Tag, der verloren geht, ist ein verlorener Therapietag."

Fatema sei sehr niedergeschlagen, schreibt Adnan M., der nun mit ihr in einer Kellerwohnung lebt, über Whatsapp. Nicht nur die Tochter empfinde große Hoffnungslosigkeit, auch der Vater sei am Ende seiner Kräfte, sagt ein Psychiater, mit dem die beiden in Teheran gesprochen haben. Über die bayerische SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen hat der Unterstützerkreis Außenminister Heiko Maas einen Brief zukommen lassen. Sie haben erneut eine Spendenaktion gestartet, um die Behandlungskosten in Deutschland zu bezahlen (E-Mail-Kontakt: helft-fatema@gmx.de). 14 000 Euro hatten sie bis vor ein paar Tagen gesammelt. Dann überwies die US-amerikanische Onlineplattform Gofundme die Spenden zurück und löschte die Kampagne. Die Begründung: Sie verstoße gegen die Nutzungsbedingungen, "aufgrund von Sanktionen im Zusammenhang mit einem nicht unterstützten Land".

Die Namen von Fatemas Eltern sind geändert.

Zur SZ-Startseite
Dieses Bild würde ich nehmen von: Schwule Flüchtlingeim Zentrum Sub, Müllerstraße 14.

Verfolgung Homosexueller
:"Sie haben die Tür eingetreten, haben uns geschlagen"

Moses M. floh von Uganda nach München. Erst hier hat er erfahren, dass er offen über seine Homosexualität sprechen kann - ohne dafür verprügelt zu werden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: