Fall Mollath:Justizdrama in drei Akten

Mitten in der Aufführung von Verdis "Trovatore" regnet es in der Bayerischen Staatsoper plötzlich Flugblätter auf das Publikum: Unbekannte fordern damit "Freiheit für Gustl Mollath". Eine ähnliche Aktion kündigen die Unterstützer auch für eine andere Oper an.

Von Jutta Czeguhn

Verdis Opern sind die perfekte Kulisse und Begleitmusik für politische Manifestationen - an dieser Legende wird immer wieder gestrickt. So lässt etwa der große Luchino Visconti in der Eröffnungssequenz seines Films "Senso" (1954) im Teatro La Fenice zu Venedig Flugblätter aufs Parkett regnen, kaum dass Trovatore Manrico seine Arie "Di quella pira" zu Ende geschmettert hat. Tumulte auf den Rängen, "Viva Italia!". Und die österreichischen Besatzer im Parkett gucken bedröppelt aus ihrer weißen Uniform-Wäsche.

Am Wochenende war der "Trovatore" auch an der Bayerischen Staatsoper Schauplatz eines Störmanövers. Tenor Jonas Kaufmann war gerade als Pausenfüller in zwei Hälften zersägt und wieder zusammengesetzt worden, das Publikum hatte - Käfersekt im Blut - für die zweite Halbzeit Platz genommen, das Licht war erloschen, Dirigent Paolo Carignani hatte das Orchester wieder unter Spannung gesetzt, der Chor sang, da ertönte von weit oben auf der Galerie ein Einruf, der ganz offensichtlich weder zum Libretto noch zu Olivier Pys Inszenierung gehörte: "Freiheit für . . .!" Getragen von Verdis wunderbarer Musik flatterten Flugblätter nach unten auf die teuersten Plätze.

Wem dieses "libero subito!" galt, war schon auf den oberen Rängen nicht mehr zu verstehen gewesen. Im Parkett, wo die Protestnoten gelandet waren, bückten sich die Neugierigen nach den Zetteln und begannen bei Schummerlicht zu lesen: "Freiheit für Gustl Mollath!" wurde da gefordert und ein "bayerisches Justizdrama in drei Akten" als "k(l)eine Programmänderung" angekündigt. Zu der kam es dann aber nicht, das Bayerische Staatsorchester spielte ungerührt weiter.

Gustl Mollath

Seit sieben Jahren in der Psychiatrie: Gustl Mollath.

(Foto: dpa)

Justizdrama in drei Akten

Zusammengefasst ist dem Münchner Opernpublikum Folgendes entgangen oder erspart geblieben: "1. Akt. Ein Prozess in Bayern - Justiz in Bayern, Rechtsbeugung, Urkundenfälschung, Unterdrückung von Beweismitteln, Strafvereitelung im Amt, Amtsanmaßung (alles mutmaßlich), copy&paste FerngutachterInnen." Im 2. Akt ist von Wahnvorstellungen und Bayreuth die Rede, und die Handlung kulminiert in dem widerlichen Satz "Früher kamst Du nach Dachau - heute kommst du in den Psychiatrie!". Der 3. Akt schließlich erzählt vom "Korpsgeist der Justiz".

Auch eine Besetzungsliste liefert der anonyme Opernkomponist mit: Neben dem Helden Gustl Mollath agieren Richter Otto Brixner und Mollaths Ex-Frau, die Hypo Vereinsbank, Rotarier, "Geldwäscher & Steuerhinterzieher", und nicht zuletzt Bayerns Justizministerin Beate Merk, die allerdings nur als "Zweitbesetzung" genannt ist.

Wer nach den letzten Vorhängen für die Sänger neugierig hinunter ins leere Parkett eilte, fand dort nur noch wenige Flugblätter am Boden liegen. Offensichtlich hatten viele die Pamphlete zum vertieften Nachlesen für Daheim eingesteckt. Nicht aufgegangen ist die Rechnung des Flugblatt-Werfers, wenn er sich von der Live-Stream-Übertragung des "Trovatore" an diesem Abend weltweite Beachtung für sein Anliegen erwartet hatte. Daheim vor den Rechnern hatten die Opernfans schier gar nichts mitbekommen von der Aktion.

Doch die Welt der Oper wird Protestraum für die "Mollathianer" bleiben. Im Internet kündigen sie für die Festspiele in Bayreuth Interventionen an. Dann mit Wagner statt Verdi.

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