Fall Demjanjuk:"Lasst ihn in Frieden sterben"

Der mutmaßliche KZ-Wächter Demjanjuk hat einen neuen, deutschen Verteidiger eingeschaltet. Auch dieser fordert den Stopp der Abschiebung.

Alexander Krug

Im Fall des mutmaßlichen KZ-Wächters John (Iwan) Demjanjuk bahnt sich eine neue Entwicklung an. Der 89-Jährige hat in Deutschland einen zweiten Anwalt eingeschaltet. Ulrich Busch, Strafverteidiger aus Ratingen, fordert die Staatsanwaltschaft und das Bundesjustizministerium auf, die beabsichtigte Überstellung Demjanjuks nach München sofort zu stoppen.

Fall Demjanjuk: John Demjanjuk wird vorgeworfen, während des zweiten Weltkriegs im Vernichtungslager Sobibor Juden in Gaskammern getrieben zu haben.

John Demjanjuk wird vorgeworfen, während des zweiten Weltkriegs im Vernichtungslager Sobibor Juden in Gaskammern getrieben zu haben.

(Foto: Foto: AP)

Busch sieht nicht nur die Menschenwürde des 89-Jährigen verletzt. Er hält das Prozedere für eine "Umgehung" der Gesetze. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung kündigte er an, die Staatsanwaltschaft und das Bundesjustizministerium vor dem Verwaltungsgericht zu verklagen, sollte die Abschiebung nicht verhindert werden.

Für Anwalt Busch ist die Überstellung Demjanjuks nicht nur Sache der USA. Die deutschen Behörden könnten sich nicht einfach aus ihrer Verantwortung stehlen, indem sie auf ein förmliches Auslieferungsgesuch verzichteten. Ein solches biete Demjanjuk aus rechtlicher Sicht viele Einspruchsmöglichkeiten. Bei einer einfachen Abschiebung aus den USA könne er dagegen in Deutschland keine Rechte geltend machen.

"Der fällt der Staatsanwaltschaft hier in den Schoß wie eine reife Frucht", kritisiert Busch. Für seinen "schwerkranken" Mandaten gelte die Unschuldsvermutung. Dazu gehöre die Einhaltung seiner Rechte und seiner Menschenwürde. "Was passiert denn, wenn er hier freigesprochen wird, die USA ihn aber nicht mehr zurücknehmen?", fragt Busch. "Ich fordere die Behörden auf, ihn in Frieden sterben zu lassen."

Entscheidung in Virginia

Am heutigen Mittwoch wird sich im fernen Falls Church im US-Staat Virginia das weitere Schicksal von Demjanjuk entscheiden. Bis Mitternacht Ortszeit müssen seine Anwälte ihre Einwände gegen die vorläufig nur aufgeschobene Abschiebung Demjanjuks dem Ausschuss für Einwanderungsfragen (Board of Immigration Appeals, BIA) mit Sitz in Falls Church vorlegen. Das BIA ist sozusagen die Berufungsinstanz, seine Entscheidungen, gefällt von einem elfköpfigen Richter-Gremium, sind formal endgültig. Als letzte Instanz stünde unter Umständen noch der Weg zum obersten Gericht (Court of Appeals) offen.

Demjanjuks amerikanische Anwälte hatten zunächst einen Einzelrichter in Virginia angerufen, und dieser hatte die für vergangenen Montag geplante Abschiebung gestoppt. Am selben Tag revidierte er seine Meinung und erklärte sich für nicht zuständig. Gleichzeitig gewährte er den Anwälten eine Frist bis zum 8. April. "Da stehen einem ja die Haare zu Berge", kommentiert ein erfahrener deutscher Strafverfolger den Vorgang. Der Ermittler, der nicht genannt werden will, hält es für nicht nachvollziehbar, dass ein "eigentlich nicht zuständiger Richter trotzdem eine Frist festlegt".

Vorbereitungen zur Aufnahme abgeschlossen

Demjanjuks US-Anwälte zielen in ihren Anträgen in zwei Richtungen. Zum einen wollen sie einen weiteren Aufschub der Abschiebung erreichen, zum anderen greifen sie das gesamte Abschiebeverfahren an und fordern seine Revision. Das BIA hatte sich schon einmal, 2006, mit dem Fall Demjanjuk befasst. Damals ging es allerdings nicht um die Abschiebung nach Deutschland sondern in die Ukraine. Seit 2008 ist die Abschiebeverfügung rechtskräftig.

Mit der Bereitschaft Deutschlands, Demjanjuk aufzunehmen und hier ein Verfahren gegen ihn zu führen, ändert sich aus Sicht der US-Anwälte die Situation. Sie bemängeln, dass zum Zeitpunkt der Abschiebeverfügung Deutschland als Aufnahmeland noch gar nicht zur Diskussion stand und auch von einem Prozess keine Rede war.

Wenn das BIA am Mittwoch entscheidet, Demjanjuk keinen weiteren Aufschub zu gewähren, könnte er unter Umständen sofort in ein Flugzeug gesetzt werden. "Sobald eine Entscheidung gefallen ist, werden wir Herrn Demjanjuk außer Landes schaffen", sagt eine Sprecherin der amerikanischen Einwanderungsbehörde, die ebenfalls ungenannt bleiben will.

Die Vorbereitungen für die Aufnahme Demjanjuks in München sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bereits abgeschlossen. Bei dem Flugzeug soll es sich nicht um eine Linienmaschine handeln, sondern um eine Maschine mit besonderer Einrichtung zum Transport von Kranken. Die Maschine soll in einem abgesicherten Bereich des Münchner Flughafens abgestellt werden, die Vorbereitungen dazu sind abgeschlossen.

Der von der Münchner Staatsanwaltschaft im März ausgestellte Haftbefehl würde Demjanjuk wahrscheinlich noch im Flugzeug überreicht. Der Vorwurf lautet auf Beihilfe zum Mord in 29000 Fällen. Als 23-Jähriger soll 1943 im Vernichtungslager Sobibor (Polen) als Aufseher Juden in die Gaskammern getrieben haben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: