Fall Böhringer:Die Macht der Indizien führt zu lebenslänglich

"Das ist Diktatur": Unter Tumulten ist Benedikt T. als Mörder seiner Tante Charlotte Böhringer verurteilt worden. Die Verteidiger kündigen Revision an.

Alexander Krug

Kaum hatte der Richter "im Namen des Volkes" seine Entscheidung verkündet, brachen im überfüllten Sitzungssaal Tumulte aus. Freunde und Verwandte des Angeklagten verließen unter lauten Protestrufen und türenknallend den Saal. "Sie machen sich schuldig, dass der Mörder noch frei herumläuft", tobte der Bruder des Angeklagten. "Das ist Diktatur", schrien andere.

Fall Böhringer: Nach 15-monatigem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt: Benedikt T.

Nach 15-monatigem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt: Benedikt T.

(Foto: Foto: Hess)

Benedikt T. selbst sprang zunächst auf und wollte den Saal verlassen. "Das ist ja unglaublich, lassen sie mich hier raus", brüllte er. Justizbeamte griffen ein und mussten sich als "Gestapo" titulieren lassen. Während der gesamten eineinhalbstündigen Urteilsbegründung lieferte sich Benedikt T. lautstarke Wortgefechte mit Richter Götzl, beschimpfte ihn als "Wurm" und kommentierte nahezu jede Äußerung als "lächerlich" oder "widerlich".

Mehrmals drohte Götzl mit der Räumung des Saals und der Abführung des Angeklagten. "Dann machen sie das doch", entgegnete der Angeklagte spöttisch. Doch diesen Gefallen tat die Kammer Benedikt T. nicht. "Vielleicht hören sie einfach mal zu, wir haben auch 15 Monate lang zugehört", meinte der Richter mit Blick auf den Teil der Zuhörer, der aber daran nicht interessiert zu sein schien.

Angesichts der Emotionen rückte die Begründung des Urteils fast in den Hintergrund. Nach mehr als 15 Monaten und 93 Verhandlungstagen besteht aus Sicht der Richter "kein Zweifel" an der Täterschaft von Benedikt T. Dieser habe sich seit Jahren als Nachfolger von Böhringer gefühlt und seine "Lebensplanung" darauf abgestellt, irgendwann die Parkgarage zu übernehmen und ein üppiges Erbe anzutreten. Dieser Plan aber sei in Gefahr geraten, als zu befürchten stand, dass die Tante seine Diebstähle aus Parkautomaten (mehrere tausend Euro) bemerkt und sein abgebrochenes Jura-Studium registriert.

"Er sah seine berufliche und wirtschaftliche Existenz in Gefahr", so Götzl. "Er wollte nicht als Versager dastehen, und so hat er sich entschlossen, seine Tante zu töten." Am 15. Mai 2006 habe Benedikt T. vor der Wohnung seiner Tante im vierten Stock der Parkgarage mit "Handschuhen und einem scharfkantigen Gegenstand" gewartet. Er habe gewusst, dass sie zu ihrem Stammtisch gehen wollte. Als Böhringer ihre Türe öffnete, habe er sofort zugeschlagen, mindestens 24 Mal.

Danach habe er noch ihr Büro nach einem Testament durchsucht und schließlich vier Fünfhundert-Euro-Scheine mitgenommen. Diesem Geld und einigen Spuren am Tatort kommt in der Beweisführung des Gerichts eine zentrale Rolle zu. Benedikt T. verdiente bei seiner Tante als Aushilfskraft gerade einmal 1000 Euro monatlich, nach Abzug aller Kosten blieben ihm 280 Euro. In seiner Wohnung und in seinem Geldbeutel fanden sich nach der Tat aber genau vier Fünfhundert-Euro-Scheine, an zwei Noten fanden sich DNS-Spuren vom Angeklagten und vom Opfer.

Die Macht der Indizien führt zu lebenslänglich

Eine weitere DNS-Spur des Angeklagten wurde am Sakko der Getöteten sichergestellt. Benedikt T. hatte dies mit dem Auffinden der Leiche erklärt. Dabei, so seine Version, sei eine Übertragung von genetischem Material, etwa einer Haarschuppe, jederzeit möglich gewesen. Die winzige Spur lag aber in einem Bereich des Sakkos, der nicht so leicht zugänglich war. Gegen die Version des Angeklagten spricht aus Sicht der Richter auch, dass einige andere intensiv mit der Leiche befassten Personen (Sanitäter, Ärzte) kein DNS-Material hinterließen.

Das Verhalten des Angeklagten nach der Tat lasse ebenfalls nur den Schluss zu, dass er seine Täterschaft vertuschen wollte. Am Tag nach der Tat sei er nach Augsburg gefahren, angeblich, um einen Freund zu besuchen. Auf dieser Fahrt habe er dann aber wieder umgedreht. Die Ermittler vermuten, dass er auf dieser Fahrt Tatwaffe und -kleidung verschwinden ließ. Außerdem soll er an einer Tankstelle einen 500-Euro-Schein aus der Beute gewechselt haben.

"Die Gesamtschau erbringt den Beweis"

Keine Bedeutung misst die Kammer jener DNS-Spur zu, die das Verfahren von Anfang an überschattet hatte. In Böhringers Wohnung war an einem Glas und einer Kommode DNS-Material entdeckt worden, das identisch ist mit einer Spur aus dem bis heute ungeklärten Mord an der Schülerin Ursula Herrmann im Jahr 1981. Für die Richter gibt es keinerlei Hinweis auf einen Zusammenhang beider Spuren.

"Jedes Indiz reicht für sich allein nicht aus, aber die Gesamtschau erbringt den Beweis", formulierte Richter Manfred Götzl. Die "große Zahl" der Indizien und "ihre Geschlossenheit" lasse keine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten aufkommen. Die Kammer stellte auch die "besondere Schwere der Schuld" des Angeklagten fest. Sollte das Urteil Bestand haben, ist damit eine vorzeitige Entlassung von Benedikt T. nach 15 Jahren Haft ausgeschlossen. Die Kammer ordnete auch den "Verfall des Erbteils" des Angeklagten an.

Verteidiger Stefan Mittelbach kündigte sofort nach Urteilsverkündung Revision beim Bundesgerichtshof an. Er bezeichnete das Urteil als "nicht nachvollziehbar". Die Emotionen des Angeklagten müsse man verstehen. Sein Kollege Peter Witting hatte sich das Urteil nicht angehört, er war schon nach wenigen Minuten aufgesprungen und hatte den Saal verlassen. Zufrieden mit dem Urteil zeigten sich Staatsanwaltschaft und Ermittler. Kommentar von Josef Wilfling, Leiter der Mordkommission: "Die Wahrheit hat gesiegt - und nicht das Geld."

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