Fahrrad-Stadtführung:Vom Drückebergergasserl zum Plattensee

München mit dem Rad zu erkunden ist eine nette Abwechslung zu Rundgängen und Umherfahren in vollbesetzten Doppeldeckerbussen.

Julia Häglsperger

"Alles mir nach!", ruft Gertraud Zettler und schwingt sich auf ihr Fahrrad. Knapp über 20 sportlich anmutende Touristen und Münchner folgen der zierlichen, braungebrannten Fremdenführerin. Jedes Jahr kommen Tausende von Touristen nach München. Großartige Bauwerke und das Flair der Metropole an der Isar locken sie an. Daher gibt es auch ein breites Angebot an Stadtführungen, zu Fuß, mit dem Bus oder der Tram. Mit dem Rad machen sich die wenigsten auf den Weg. Doch warum eigentlich?

Fahrrad-Stadtführung: Eine gute Möglichkeit München besser kennenzulernen: Rauf aufs Fahrrad und in die Pedale treten.

Eine gute Möglichkeit München besser kennenzulernen: Rauf aufs Fahrrad und in die Pedale treten.

(Foto: Foto: Häglsperger)

"Spurwechsel" veranstaltete 1993 die erste organisierte Fahrradtour durch München und noch heute radeln die Fremdenführer der Firma mit Touristen durch die Stadt. So startet auch diese Gruppe zur "München Highlights Tour" und radelt unter weiß-blauem Himmel von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten.

Vor dem Denkmal am Max-Joseph-Platz versammelt sich die Gruppe und die Teilnehmer hören Zettler, nur noch mit einer Pobacke auf ihren Satteln sitzend, zu. Sie erzählt nicht nur trockene Fakten: Das Denkmal zeigt den ersten König Bayerns sitzend, einer Pose, die er schon zu Lebzeiten abgelehnt hatte. Als das Monument zehn Jahre nach seinem Tod enthüllt wurde, hat es heftig geblitzt und gedonnert: "Da hat er von oben nochmal protestiert!", kommentiert Zettler.

Vorzüge des fahrbaren Untersatzes

Die große Radler-Gruppe braucht viel Platz, nimmt ganze Abbiegespuren in Beschlag und viele Autofahrer gewähren dem Radlerpulk, der von der Stärke her einer kleinen Ausreißergruppe während der Tour-de-France gleicht, sogar Vorfahrt. Allerdings geht es viel gemütlicher zu. In gemäßigtem Tempo geht es von einer Station zur nächsten, denn schließlich will man ja auch was sehen und keinen Geschwindigkeitsrekord aufstellen.

Der Pulk radelt weiter Richtung Residenz, an deren Eingang die zwei bronzenen Löwen-Statuen stehen. Die Berührung der Schilde soll Glück bringen und die glänzenden, abgeschmirgelten Stellen verraten, dass viele Besucher diesem Glauben anhängen. Einige Radler steigen ab, um das Schild zu berühren, andere fahren knapp daran vorbei, um kurz drüberzustreichen. Für was hat man schließlich einen fahrbaren Untersatz?

Insgesamt hat das Fahrrad zu anderen Fortbewegungsarten einige Vorteile. Wenn man die Stadt zu Fuß erkundet, hat man abends schmerzende Wasserblasen, obwohl man längst nicht alles gesehen hat. Sich in vollbesetzten Doppeldeckerbussen durch die Stadt karren zu lassen und dabei im Vorbeifahren die Sehenswürdigkeiten zu fotografieren, ist auch nicht Jedermanns Geschmack. Mit dem Rad ist man an der frischen Luft und kann in ein paar Stunden die wichtigsten Attraktionen besichtigen.

Der nächste Zwischenstopp ist an der Viscardigasse, die viele Münchner unter einem anderen Namen kennen, dem "Drückebergergasserl". Die nahegelegene Feldherrnhalle wurde nach der Machtübernahme Hitlers zu einem Ort der NS-Propaganda. Die SS hielt hier Wache und jeder Passant musste den Hitlergruß zeigen. "Der erste Widerstand der einfachen Leute war, sich genau davor zu drücken", erklärt Zettler. So gingen viele Passanten von der Residenzstraße über die Viscardigasse hinter der Feldherrnhalle in die Theatinerstraße und gelangten so ohne Hitlergruß zum Odeonsplatz. Die Gruppe radelt allerdings nicht durch.

Beinahe-Karambolagen

An der Feldherrnhalle angekommen, genießen die Teilnehmer den Blick über die Prachtstraße. Am Ende sieht man auf das Siegestor und dahinter schießen die Highlight-Towers in die Höhe. Die zwei im Jahr 2004 fertiggestellte Bürotürme, die sich durch ihre moderne Architektur mit den glatten Glasfassaden auszeichnen, sind ein Dorn im Auge vieler Münchner Bürger. "Die Hochhäuser verschandeln den ganzen Ausblick", beschweren sich manche. "Fahren wir weiter", ruft Zettler, als ein Teilnehmer noch wissen möchte, was das denn nebenan für eine Kirche sei. "Ja mei, jetzt hätte ich beinahe die Theatinerkirche vergessen", sagt Gertraud entsetzt und schießt sofort ihr ganzes Wissen über den barocken Bau nach, bevor es dann weitergeht.

Auch Dieter Dirolf steigt wieder auf seinen Drahtesel. Er kommt aus Darmstadt und nimmt zum ersten Mal an einer geführten Fahrrad-Stadtführung teil: "Ich bin sowieso gern mit dem Rad unterwegs. Wenn dann jemand vorausfährt, der sich auskennt und man nicht noch nebenbei selbst mit einem Stadtplan kämpfen muss, ist das super", sagt er. Obwohl Zettler die Führung übernimmt, sollte man nicht komplett abschalten und blind hinterher fahren. Sonst bekommt man es mit dem Münchner Temperament zu tun, wenn man einem entgegenkommenden Fahrradfahrer in die Quere kommt: "Hast du denn keine Augen im Kopf?", ruft einer.

Kleine Abkühlung? Aber nicht im Plattensee

Am Königsplatz wird die Gruppe mit Informationen über Propyläen und Glyptothek versorgt, erfährt aber auch warum manch Münchner sich hier am Plattensee wähnt. Während der Nazi-Zeit wurde der Platz bei einer Umgestaltung mit Granitplatten ausgelegt, die das Regenwasser nicht gut ablaufen ließen. Aus dieser Zeit stammt der Spitzname.

"Können wir ein bisschen überziehen?", fragt die Leiterin in die Runde, "dann gehen wir noch in den Brunnen!" Gemeint ist der interaktive Wasserpavillon auf dem Musemsplatz neben dem Lenbachhaus und einstimmig wird beschlossen sich dort eine kleine Abkühlung zu verschaffen. Schnell die Radl abgestellt und schon tummelt sich die ganze Gruppe auf der Platte, aus der immer wieder Wasserfontänen in die Höhe schießen.

Durch den größten Stadtpark der Welt, den Englischen Garten, geht es zurück zum Ausgangspunkt und die feuchten T-Shirts trocknen wieder im Fahrtwind. In gut zwei Stunden wurden knapp zehn Kilometer zurückgelegt, eine gute Vorraussetzung für den nächsten obligatorischen Tagesordnungspunkt im Besucherkalender: den Schweinebraten.

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