Bei nächtlichen Überprüfungen in Münchner Pflegeheimen ist die Heimaufsicht auf Fälschungen gestoßen. Gleich mehrere Pflegekräfte hatten medizinisch nötige Leistungen unterlassen, aber schon im voraus als erledigt protokolliert. Die Stadt verhängte ein Beschäftigungsverbot und zeigte die Pflegekräfte an. Die Zahl solcher Fälle nimmt offenbar zu.
Sechsmal war die Heimaufsicht in diesem Jahr schon nachts unterwegs, einmal stieß sie dabei auf geradezu kriminelles Vorgehen: Als die Kontrolleure aus dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) um 3 Uhr nachts in ein Münchner Altenheim kamen, war die "Pflegedokumentation", das Protokoll der Nacht, bereits bis fünf Uhr morgens im Voraus ausgefüllt.
Die drei Heim-Mitarbeiter bescheinigten Leistungen, die es gar nicht gegeben hatte. KVR-Sprecher Christopher Habl bestätigte diese SZ-Informationen. Drei Pflegekräfte, die für 100 Bewohner zuständig waren, haben es sich einfach gemacht - und massive Gesundheitsschäden der Schutzbefohlenen riskiert. Da stand dann beispielsweise Bewohner "schläft" oder "verweigert" Trinken, in einem anderen Fall war eingetragen: "Hat 400 Milliliter getrunken."
Solche Trinkprotokolle sowie sogenannte Bewegungs- oder Lagerungspläne sollen bei schwerstbehinderten Menschen verhindern, dass sie zu wenig trinken und zu lange auf einer Seite liegen und sich so schmerzhafte Druckgeschwüre zuziehen. Aus eigener Kraft können sich die Betroffenen nicht mehr drehen. Die Pfleger müssen die alten Menschen daher in ein- bis dreistündigem Abstand anders legen und kontrollieren, ob diese tatsächlich genug getrunken haben. Gerade bei verwirrten alten Menschen ist dies besonders wichtig, um einer folgenschweren Austrocknung vorzubeugen.
In der Praxis ist es immer wieder vorgekommen, dass Pflegekräfte die Protokolle bereits zum Beginn für die gesamte Nachtschicht im Voraus abgezeichnet haben; auch im Vorjahr gab es einen ganz ähnlichen Fall. "Wir beraten die Einrichtungen", so Habl, "damit sie ihre eigenen Kontrollen verbessern." So gebe es etwa EDV-Systeme, die Fälschungen erschwerten. Grundsätzliches Problem bleibe aber die zumeist viel zu knappe Nachtbesetzung: "Der Gesetzgeber müsste einen Pflegeschlüssel für die Nacht festlegen."
Wegen des "gehäuften Auftretens von Dokumentenfälschungen" hat das Kreisverwaltungsreferat jetzt außerdem in einem Schreiben an alle Heime mit Nachdruck deutlich gemacht, dass es sich bei "vorsätzlich falsch datierten und inhaltlich falschen Eintragungen" um Urkundenfälschung und ein "gravierendes Betrugsdelikt" handele.
Die Behörde bringt diese Vorfälle zur Anzeige und geht mit Anordnungen gegen die Träger vor. Dies soll sicherstellen, dass die Heimleiter "auf die Einhaltung der fachlich notwendigen und formal korrekten Dokumentation, vor allem zur Nachtzeit", achten. Die ertappten Pfleger wurden entlassen; sie müssen nun außerdem mit einem Strafverfahren rechnen.
Während es in anderen Städten nächtliche Kontrollen bislang nur vereinzelt gibt, gehören sie für das Münchner Kreisverwaltungsreferat zum "Kurs konsequenten Schutzes der Bewohner". Die Heimaufsicht kommt unangemeldet, in der Regel zwei Mal im Jahr, zur Überprüfung am Tag.
Zusätzlich hat die Behörde damit begonnen, den Nachtdienst zu kontrollieren. Auch da werden die Beamten immer wieder fündig. So ist es schon vorgekommen, dass Klingeln, mit denen Bewohner im Notfall den Pfleger rufen sollen, einfach ausgesteckt oder alte Menschen durch Schlafmittel ruhiggestellt waren.
Die Heimträger dagegen fühlen sich von städtischen Kontrollen sogar gegängelt und klagen über den "bürokratischen Aufwand" für die Pflegedokumentation. Die städtische Heimaufsicht hält dagegen die Dienstprotokolle für das "Zeugnis der individuell geplanten und ausgerichteten Pflege". Schlampiges oder gar vorsätzlich falsches Protokollieren gefährde schließlich die Gesundheit der Bewohner.
Zwei Nachtdienst-Pfleger für 120 Bewohner
Den Pflegekritiker Claus Fussek überraschen die Ergebnisse der nächtlichen Kontrollen nicht. "Die Nachtschichten sind chronisch unterbesetzt, eigentlich müssten die Pflegekräfte Lücken in der Dokumentation lassen." Nur zwei Nachtdienst-Pfleger für 120 Bewohner seien keine Seltenheit, eine gesetzliche Mindestbesetzung gibt es nicht. Fussek: "Die Träger verteidigen die geringe Besetzung damit, dass ihnen sonst das Personal tagsüber fehle."
Viele Pfleger wären dabei schon froh, wenn sie nachts überhaupt zu zweit wären, es wäre, so hat Fussek von manchen gehört, "eine Traumbesetzung", weil sie schon mit sehr viel mehr schwerstpflegebedürftigen Bewohnern auf sich allein gestellt waren. Fussek fordert deshalb, sich nicht nur mit strafrechtlichen Konsequenzen solcher extremen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.
In vielen Städten werde nachts gar nicht kontrolliert, weil die Mitarbeiter der dortigen Heimaufsichtsbehörden ahnen, "dass sie bis zum Ende des Nachtdienstes dort mit anpacken müssten, weil sie sich sonst unterlassener Hilfeleistung schuldig machen würden, wenn sie nach der Kontrolle einfach wieder gehen".