Extremhindernisläufe:"Das ist das geilste Gefühl der Welt"

Lesezeit: 4 Min.

Beim Hindernislauf zählt nicht nur die Kraft in den Beinen. (Foto: Stephan Rumpf)

Durch den Matsch kriechen, Steine schleppen, über Feuer springen: Am Riemer See trainieren Sportler für Extremhindernisläufe. Kratzer oder blaue Flecken gehören dazu - und werden gerne gezeigt.

Von Christina Hertel

Ediceh Ebadzadeh hat lange schwarze Haare, dichte Wimpern, dunklen Teint. Sieht aus wie ein Mädchen aus einem Musikvideo. Oder wie eine unbekannte Schwester von Kim Kardashian. Schaut man auf ihr Facebook-Profil sieht man, wie sie über Feuer springt, Holzwände hochklettert - in schwarzen Leggins, mit geflochtenen Haaren, jede Strähne sitzt. Ediceh Ebadzadeh nimmt an sogenannten Obstacle Course Racings (OCR), also Extremhindernisläufen, teil.

Sie robbt unter Stacheldraht, kriecht durch Schlamm, hangelt sich an Seilen hoch, taucht kopfüber in Eiswasser. Eine Mischung aus Takeshi's Castle und Bundeswehr. Seit etwa zwei Jahren macht Ediceh Ebadzadeh alle paar Wochen bei so einem Rennen mit - wie ihre Freundin Nadine Radzuweit, Anfang 30, blonde Haare, Goldkettchen. Und Vasiliki Krigou, 60, auch blond, rosa lackierte Nägel.

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Die Frauen kennen sich vom Zumba, aber Aerobic zu Latinomusik reicht ihnen schon lange nicht mehr. Seit diesem Jahr trainieren sie in einem eigenen neuen Münchner Verein für Hindernisläufe, dem OCR Munich - gegründet von ihrem Zumba-Lehrer.

Montagabend, Riemer See. Am Ufer rauchen ein paar Jungs Shisha, trinken Bier, schauen in die Abendsonne. Für Ediceh Ebadzadeh und ihre Freundinnen ist Trainingszeit. Etwa 20 Leute sind da, die meisten in schwarzen Leggins, schwarzen Tops, die meisten mit Fitnessarmband - Kalorien, Herzfrequenz, Kilometer immer im Blick. Mehr als die Hälfte sind Frauen.

Keine einzige Typ Kugelstoßerin, sondern alle eher Typ Shopping Queen. Es geht los. Hampelmänner, Warmlaufen, Springen, Seitgalopp. Dann füllen alle einen Eimer voll mit Kieselsteinen. Die Männer machen ihre Eimer ganz voll, die Frauen halb, zehn oder 20 Kilo schwer. Sie müssen diese Eimer über den Strand tragen, dann den Rodelhügel hoch, wieder runter, wieder hoch und wieder runter, alles so schnell wie möglich. Warum tut man sich das an?

"Auf der Arbeit sagen alle immer: Du siehst aus wie eine Prinzessin", erzählt Nadine Radzuweit, die Blonde mit dem Goldkettchen. "Die können gar nicht glauben, dass ich so etwas mache." Und man sieht: Das gefällt ihr, irgendwie. Auch Sigi Kauntz, die Geschäftsführerin des Fitnessstudios, wo sich alle bei den Zumba-Kursen kennenlernten, meint: Frauen müssten immer schick sein, immer gepflegt.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Steine in den Eimer, dann geht es los: Laufen mit Gewichten gehört zum Training der Hindernisläufer des OCR Munich.

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Partner statt Stacheldraht: Einige machen eine Brücke,...

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...andere müssen unten durch kriechen.

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Beim Training geht es vor allem um die Kondition. Deshalb wird viel gelaufen und gerannt.

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Aber es zählt nicht nur die Kraft in den Beinen.

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Und am Ende: großer Jubel.

Perfekte Frisur, perfekte Nägel, perfektes Make-up. Auf Dauer ganz schön langweilig. Kauntz sieht aus, wie man sich eine Fitnesstrainerin vorstellt: unglaublich fit. Und unglaublich gut gelaunt. Sie glaubt, die Zeit der Bauch-Beine-Po-Kurse, der Yoga-Matten und Low-Carb-Diäten sei vorbei. Das Ziel junger Frauen laute nicht mehr: möglichst dünn, sondern möglichst fit, möglichst stark.

"Schau, so sieht man aus, wenn man bei dem Lauf mitmacht", sagt sie und deutet zuerst auf ihre Wade: ein Schnitt. Und dann auf ihren Oberarm: lauter kleine Kratzer. "Du hast auch noch blaue Flecken, oder Ediceh?" Aber die sind schon wieder verheilt. Zum Glück. Oder leider. Denn irgendwie, so scheint es zumindest, sind die Frauen auch ein bisschen stolz auf ihre Blessuren.

Beim Training geht es vor allem um die Kondition. Denn ohne hält man so einen Hindernislauf nicht aus. Deshalb wird viel gelaufen und gerannt, zehn Kilometer, mindestens. Ediceh Ebadzadeh wird immer langsamer. Aus Laufen wird Joggen, aus Joggen Gehen. Und plötzlich sind die anderen in der Ferne verschwunden. "Nicht meine Stärke. Aber dafür bin ich im Klettern gut." Als sie das erste Mal bei einem Hindernislauf mitmachte, dachte sie nicht, dass sie es schaffen würde. Aber sie hielt durch. "Das ist das geilste Gefühl der Welt."

Das Adrenalin, der Stolz, die Freude. "Leute klopfen dir auf die Schulter, feuern dich an. Hieven dich über irgendein Hindernis drüber." Und dann am Schluss: der Schlamm. Und danach die Fotos. In der Gruppe, einzeln, jubelnd, matschverschmiert mit Medaille.

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Die Bilder seien, meint Uwe Kauntz, der Trainer, Zumbalehrer und ehemaliger Marathonläufer, ein Grund dafür, warum der Sport immer beliebter werde. Sie würden geteilt, geklickt, geliked auf Facebook und Instagram. Und die, die sie sehen, denken, sie müssten auch einmal dabei sein.

"Und dann wird daraus eine Art Sucht", sagt Kauntz. Im vergangenen Jahr machte er bei 32 Rennen mit, gründete im Januar den Verein und baut gerade ein eigenes Trainingsgelände in Kirchheim auf, nordöstlich von München. Mit eigenen Hindernissen, mit denen so ein Lauf möglichst gut nachgestellt werden kann. Etwas zum Hangeln, Ziehen, Durchkrabbeln und Drüberklettern. Wann es ganz fertig ist, weiß Kauntz noch nicht. Denn die Hindernisse sind teuer.

Solche Rennen werden tatsächlich immer populärer. Es ist zwar schwer zu schätzen, wie viele Anhänger der Sport in Deutschland wirklich hat - es gibt keinen Verband, kaum Vereine -, aber schon die Anzahl der Hindernisläufe verrät einiges: Mehr als 45 finden dieses Jahr in Deutschland statt.

Allein in Bayern könnte man sich im Juli jedes Wochenende in einem anderen Ort im Schlamm suhlen - beim Rats-Runners bei Aschaffenburg zum Beispiel. Oder beim Wrestling Run in Fürth. Oder beim Rock Race in Würzburg. In München ist der nächste Termin die Xletix Challenge am 24. Juni.

Auch die Frauen vom OCR Munich werden starten. Doch für sie ist dieser Hindernislauf nur einer von vielen: Vorher noch ein Start in Barcelona und ein Trainingscamp in Bilbao. Danach werden einige von ihnen nach Kanada reisen - zu den Weltmeisterschaften nach Toronto. Manche nehmen fast jedes zweite Wochenende an einem anderen Lauf teil. Sie alle investieren viel Zeit, aber auch viel Geld. Die Tickets kosten immer zwischen 50 und 100 Euro.

Hinzu kommen Fahrt, Flug, Unterkunft. Sparen oder auf etwas verzichten würde Ediceh Ebadzadeh deshalb nicht. Sie wohnt noch bei ihrer Mutter, zahlt keine Miete. Für andere sind die Rennen der Urlaub. Vasiliki Krigou, eine 60 Jahre alte Griechin mit blond gefärbtem Haar und rauer Stimme, meint: "Alle Hobbys sind teuer." Und sie habe kein anderes. Na ja, außer: "Handtaschen kaufen."

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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