Superheld oder Superheldin müsste man sein. Dann hätte man eine Superkraft. Die Musical-Studentinnen und -Studenten sind sich weitgehend einig, welche übernatürliche Fähigkeit ihnen gerade an der Münchner Everding-Akademie nutzen würde: „Teleportieren – an jeden beliebigen Ort“, sagt Amy Sellung. Es sei immer zu wenig Zeit im Studium, erklärt sie in einer Pause bei der Probe zum Stück „The Toxic Avenger“. Manchmal würde sie „gerne einfach mal kurz nach Hause Kaffee trinken – und nie wieder Deutsche Bahn fahren müssen“.
Teleportation würde sicher viele Probleme auf der Welt lösen. Das wäre schade. Also, das müsste man jetzt erklären: Denn ohne die vielen Probleme von Korruption über körperliche Beeinträchtigungen bis Giftmüll gäbe es die Geschichte „The Toxic Avenger“ nicht, und damit nicht die zahllosen darauf basierenden Filme, Fortsetzungen, Zeichentrickserien und Comics, und letztlich auch nicht das Musical. Und die sind alle ein rechter Spaß, oder Blödsinn, je nach kulturellen Vorlieben.
Die so schleimige wie blutige Superhelden-Parodie „The Toxic Avenger“ drehte der umtriebige Regisseur Lloyd Kaufman nach seiner Mitarbeit am Boxer-Drama „Rocky“ schon Anfang der Achtziger. Das Thema eines Hänflings, der in eine Giftmülltonne gesteckt wird und als „Rächer der Verstrahlten“ daraus entsteigt, brodelt seitdem weiter, eher im kulturellen Untergrund. 2025 jedoch soll eine weitere Neuverfilmung mit Peter Dinklage („Game of Thrones“) in der Hauptrolle und Co-Stars wie Elija Wood („Herr der Ringe“) groß in die Kinos kommen, berichtet Tillmann Schmuhl aus der Musical-Masterclass der August-Everding-Akademie. Im Stück spielt er als „Typ 1“ etliche Rollen vom Kleinstadtschläger über den unbesorgten Bürger bis zum besorgten Bürger, er hat sich umfassend mit der Stückhistorie beschäftigt.

Comics liebte Schmuhl („Meine Superkraft: Ich würde gerne Geister sehen können und mit ihnen kämpfen“) schon immer: „Eher die Antihelden wie The Punisher, The Crow oder Batman“, sagt er. Da ist Amy Sellung, die etwa eine singende Nonne oder die geldgierige Bürgermeisterin von Traumaville spielt, gleich in seinem Team. Sie habe eine „Deadpool“-Phase gehabt, sagt sie, das ist jener absurd komische, oft unappetitliche und doch knuffige Psycho-Schuft aus dem Marvel-Universum. „Dieser Humor vom Arme-Ausreißen gefällt mir. Der wird bei uns auch voll bedient.“
Tatsächlich liegen Leichenteile im Raum zwischen Atom-Müll-Fässern (Bühne und Kostüme: Adriana Mortelliti). Gleich in einem Szenenanspiel wird eine Bauchspeicheldrüse herausgerissen, eine süße Amsel fliegt tot zu Boden. „Alles ist permanent unter der Gürtellinie“, sagt Amy Sellung begeistert. Das hebt das Stück ab von den üblichen Gut-gegen-Böse-Storys im Marvel-Universum. Darin verhindert oft ein durchtrainierter Strahlemann den Weltuntergang. Hier ist es ein verstrahlter Schlaffi.
Um die Liebe der Stadt-Bibliothekarin zu gewinnen, die ihn nicht einmal schön findet, obwohl sie blind ist (böser Humor!), will er den Giftmüllskandal im Rathaus aufdecken. Liebe ist sein Kryptonit, Akten sind seine Superwaffe. Als er deswegen in die Gift-Tonne gesteckt wird, kriecht er komplett verwandelt heraus: „Es sieht jetzt noch schlimmer aus als vorher“, sagt Christian Sattler, die „humoristische Allzweckwaffe“ des Jahrgangs, der diesen Melvin Mark von Quark spielt. „Aber als Toxie ist er unglaublich stark – nur dass der die Stärke einfach nicht in den Griff bekommt.“ Also Obacht. Er singt: „Lebenslang war ich ein Pazifist, doch jetzt bin ich wirklich angepisst.“

Eine schön stinkende Parabel auf die Pubertät. Fünf Studentinnen und Studenten können sich in dieser Coming-of-Age-Klamotte austoben, in turbulenten Choreografien (Anna Angelini) ebenso wie in der munteren Musik (Christian Weinhart), die in der Urfassung von 2008 Bon Jovi-Mitglied David Bryan komponierte. Der erfahrene Schauspieler und Dozent Thomas Maria Peters bemüht sich, ihre Energien herauszukitzeln und zu bündeln. „The Toxic Avenger“ eignet sich ziemlich gut als Reifezeugnis, können die Studenten doch sehr viele Fähigkeiten zeigen: Der Stil ist retro, etwa wie bei der „Rocky Horror Show“ oder „Little Shop Of Horrors“ im Look amerikanischer B-Movies, und voller Zitate aus allen großen Entertainment-Epochen.
In all diesen Zeiten gab es eine Konstante: Superhelden. Auch Regisseur Peters träumte sich als junger Mann in solche Figuren hinein: „Ich habe vor allem die Spiderman-Comics geliebt. Da ist einer, der die Kräfte hat, uns alle zu retten, und das könnte jeder sein, auch man selbst. Die Geschichte ist noch nicht auserzählt.“