Der Arbeitstag vieler Frauen beginnt mit der Frage: „Was ziehe ich an?“ Nicht so für Eva Jähner. Sie muss in ihrem Beruf viele wichtige Entscheidungen treffen, aber keine wesentlichen in Bezug auf ihre Kleidung. Als Pilotin trägt sie dunkelblaue Hosen zum passenden Jackett, dazu blütenweiße, knitterfreie Blusen. Wählen kann sie nur zwischen Halstuch und Krawatte. Und da greift sie gerne zum Schlips. Polizisten, Soldaten oder die meisten britischen Schulkinder kennen die Vorteile einer Uniform. Sie entbindet ihre Trägerinnen und Träger von der lästigen Frage am Morgen und gibt ihnen eine erkennbare Zugehörigkeit.
Der elegante Anzug von Eva Jähner, 43, zeigt, dass sie bei Lufthansa arbeitet. Der Edelweiß-Anstecker am Revers steht für München, einen der zwei Standorte der deutschen Airline. Wer Frankfurt als Heimatflughafen hat, trägt einen kleinen Bembel, also den hessischen Äppelwoi-Krug. Von solchen Feinheiten wissen nur die wenigsten. Die vier goldenen Streifen an den Ärmeln von Jähners Uniformjacke aber ziehen die Blicke auf sich. Viele Frauen gibt es nicht, die so wie sie dekoriert sind.
Seit März dieses Jahres glitzern diese vier Streifen an ihrem Sakko, sie stehen für ihren Rang als Kapitänin. Damit gehört sie zu den wenigen in Deutschland, die sich so nennen können. Bei den Medizinern haben die Frauen mit den Männern fast gleichgezogen. In wenigen Jahren werden sie voraussichtlich in der Überzahl sein, weil bereits mehr Frauen das Fach studieren. In der Luftfahrt dagegen sieht es noch ganz anders aus. Unter den aktuell etwa 6000 Lufthansa-Piloten sind acht Prozent Frauen, davon nur knapp drei Prozent Kapitäninnen. Entsprechend stolz erzählt Jähner von ihrem neuen Titel. Fünf Monate intensives Lernen und viele Prüfungssituationen liegen hinter ihr. 25 Mal sei sie dafür im Simulator gewesen und 70 Flüge habe sie an der Seite eines Supervisors absolviert, schreibt sie auf ihrer LinkedIn-Seite.
Im Gespräch wird sie sagen, dass Fliegen lebenslanges Lernen bedeute, denn Sicherheit stehe an oberster Stelle. Deshalb ist der Zusammenhalt der Crew bei einem Flug, vom Briefing davor bis zur Landung, so ungemein wichtig. Ihre Autorität als Frau in ihrer Position werde normalerweise nie angezweifelt. Und doch erinnert sie sich an einen Flug in den Nahen Osten vor etwa zehn Jahren, da sei die Kommunikation über Funk etwas schwierig gewesen. „Ich musste ein, zwei Mal nachfragen, bis ich eine Antwort bekam.“
Man trifft sich mit ihr im Cockpit eines Airbus 320 neo, der in der Wartungshalle des Münchner Flughafens steht. Seit dem 11. September 2001 dürfen Passagiere nicht mehr so einfach in die Nase eines Fliegers. Es ist ein besonderer Moment, sich neben sie in die grauen Lederschalensitze zu setzen. Jähner hätte eigentlich frei an diesem Vormittag, dennoch ist sie in ihre Uniform geschlüpft, hat sich die langen Haare zusammengebunden und dezent geschminkt. Wenig Beinfreiheit gibt es hier, man ist umgeben von Knöpfen und Hebeln. Jähner liebt es zu fliegen, schwärmt von dem Gefühl, über den Wolken zu sein, durch sie hindurchzufliegen, von Polarlichtern, die sie schon gesehen hat und den Erlebnissen in fremden Ländern. Sie hält Fliegen für eine gute Möglichkeit, Menschen zueinander zu bringen. Für sie „in diesen Zeiten wichtiger denn je“. Die Flugscham mancher Menschen kann sie verstehen. Die neuen Maschinen aber, sagt sie, werden immer leichter und verbrauchten weniger Treibstoff.
Auch ihr Vater war Pilot und für sie schon früh ein Vorbild. Auch ihr Mann fliegt. Seitdem sie zwei Kinder haben, müssen die Dienstpläne der beiden genau getaktet sein. „Das ist eine Herausforderung“, sagt Jähner.
Die Voraussetzungen für den Beruf bringt sie mit: technisches Verständnis, Spaß an Mathe und Physik, Durchsetzungsvermögen und Entscheidungsfreudigkeit. Mit Entscheidungen geht es schon vor dem Flug los, wenn die exakte Flugroute festgelegt und damit, wie viel Treibstoff geladen wird. Und noch eine Eigenschaft braucht man als Pilot, unbedingt: Geduld. Wenn etwa die Maschine fertig auf dem Rollfeld steht, der Start längst überfällig ist. Die Passagiere und die Crew über die Situation auf dem Laufenden halten, das findet Jähner ganz besonders wichtig. Gründe dafür gibt es viele: schlechte Witterungsverhältnisse, Nebel, Schneefall; Probleme mit Passagieren oder auch Protestaktionen von Umweltschützern. Wie sie zu letzteren steht? Ihr Arbeitgeber möchte nicht, dass sie sich öffentlich dazu äußert. Das will nicht recht passen zu einer Frau, die selbstbewusst und eloquent über ihren verantwortungsvollen Beruf erzählt. Es scheint Jähner aber nicht weiter zu stören. Und in der Luft hat sie ohnehin das Sagen.