European Championships:Wettkampf um die besten Plätze

European Championships: Klettern am Königsplatz: Ungewohnte Anblicke bieten sich derzeit an einigen zentralen Plätzen in München.

Klettern am Königsplatz: Ungewohnte Anblicke bieten sich derzeit an einigen zentralen Plätzen in München.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Als sich die Automobilmesse IAA in der Münchner Innenstadt breitmachte, hagelte es Kritik. Bei den European Championships beschwert sich niemand über Kletterwände vor den Propyläen. Warum?

Von Heiner Effern

Die Athletinnen scheinen an der überhängenden Wand förmlich zu kleben, ziehen sich nach oben, schweben mit dem Kopf nach unten in der Höhe, oft nur mit ein paar Fingern und Zehen Halt findend. Sie können es in diesen Momenten nicht selbst sehen, würden es wahrscheinlich wegen der enormen Anstrengung auch nicht wahrnehmen, aber den Zuschauern bietet sich eine besondere Kulisse. Hinter der künstlichen Wand am Königsplatz ragt das klassizistische Tor des historischen Ensembles in die Höhe, darüber der strahlend blaue Münchner Himmel. "Einfach nice", sagt Julia Berchtenbreiter, die gespannt verfolgt, wie die Athletinnen sich nach oben kämpfen und dann doch fast alle ins Seil stürzen. Klettern am Königsplatz, "das ist richtig gut gewählt".

Die European Championships, die neun Europameisterschaften, die gerade in München stattfinden, begnügen sich nicht nur mit klassischen Sportstätten wie Hallen oder dem Olympiastadion. Sie drängen auch in den öffentlichen Raum in der Innenstadt. Der Königsplatz dient nicht nur den Kletterern als Bühne. Direkt daneben ragen die mit blauer Plane verkleideten Stahlrohrgerüste für die Arena der Beachvolleyballer in die Höhe. Die Veranstalter haben ein schmuckes Stadion auf den Königsplatz gestellt, unten Sand, rundum an drei Seiten Sitze, an der vierten ragen die Säulen der staatlichen Antikensammlung empor.

Einen Kilometer weiter an der Ludwigstraße sind ebenfalls mobile Tribünen aufgestellt. Für den normalen Verkehr ist die Durchfahrt vom Odeonsplatz bis zum Altstadtring gesperrt. Radfahrer können von dort gemütlich losfahren und dann in etwa nachempfinden, wie sich die professionellen Kollegen und Marathonläufer fühlen werden, wenn sie am Ende ihrer Rennen die Ziellinie überqueren. An den Seiten die Prachtbauten, vor sich die Feldherrnhalle. Davor steht ein weniger schmuckes weißes Zelt, in dem sich der offizielle Shop befindet. Die European Championships sind keine Breitensportveranstaltung, da geht es auch ums Geschäft. Manche Besucher klagen über die teilweise hohen Ticketpreise.

Doch diese reichen bei weitem nicht aus, um die Unkosten für das Ereignis zu decken. Ein Budget von etwa 130 Millionen Euro wurde der Bewerbung zugrunde gelegt, etwa 30 Millionen sollen erwirtschaftet werden. Die verbleibenden 100 Millionen teilen sich Bund, Land und die Stadt, so ist es vereinbart. Die Stadt stellt aber nicht nur gut 30 Millionen Euro zur Verfügung, sondern auch zwei attraktive öffentliche Bereiche. Nicht zur Freude aller. Die berühmten Museen am Königsplatz, die Glyptothek und die staatliche Antikensammlung, sollen wenig begeistert sein von Kletterern und Volleyballern vor ihrem Haupteingang.

Die großen Fraktionen im Stadtrat sind sich trotzdem einig, dass die Sportwettkämpfe im öffentlichen Raum eine gute Idee sind. Wenn "dort was los ist, gerade in den Ferien, und das einigermaßen verträglich ist und von den Leuten gut angenommen wird", dann könne die Stadt Flächen zur Verfügung stellen, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Krause. Zu einer Überbelastung dürfe es aber nicht kommen. Wichtig ist für ihn, dass die Politik öffentliche Plätze nach ihren Prioritäten vergibt.

European Championships: Gleicher Ort, anderer Anlass: Bei der Internationalen Automobilausstellung wurde der Königsplatz ebenfalls bespielt.

Gleicher Ort, anderer Anlass: Bei der Internationalen Automobilausstellung wurde der Königsplatz ebenfalls bespielt.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Bei Sport und Kultur ist der Konsens meist groß, auch wenn diese durchaus einen kommerziellen Hintergrund haben. Bei der Internationalen Automobilausstellung IAA, die ebenfalls den Königsplatz, die Ludwigstraße und noch weitere Flächen belegte, ist sich die Koalition weniger einig. "Ein Sportevent ist schon etwas anderes, als wenn wir Plätze Unternehmen für Werbung zur Verfügung stellen", sagt Krause. Bei der IAA sei es zudem vor allem auch um die Massivität gegangen, mit denen sich die Autokonzerne im öffentlichen Raum breit gemacht hätten. Diese zumindest wollen die Grünen für die Ausgabe 2023 nicht mehr zulassen.

Gibt es also eine gute und eine böse Nutzung des öffentlichen Raums? Sport und Kultus top, Auto-Show ein Flop? Für die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner gibt es diese Kategorien nicht, für sie ist entscheidend, dass es attraktive Angebote gibt, die viele Menschen annehmen. Die Stadt müsse dabei aber schon schauen, was passt und was nicht. Die IAA liegt bei ihr im Toleranzrahmen wie Konzerte oder Sport. "Man darf nicht nur seinen eigenen Geschmack zum Maßstab machen", fordert sie.

Auf der anderen Seite sei die Kommune auch verpflichtet, öffentliche Plätze für nicht sehr demokratiefreundliche Demonstrationen wie die von den Querdenkern zur Verfügung zu stellen. Hübner legt Wert darauf, dass der öffentliche Raum die meiste Zeit des Jahres frei für alle ist. Mit der einmaligen Austragung der European Championships oder der IAA alle zwei Jahre fünf Tage lang hält sie "das Maß nicht für überschritten". Das gelte auch für die Theresienwiese, die gerade wegen des geplanten Silvesterkonzerts der Band Rammstein im Fokus steht: "Da geht es um ein Konzert, und nicht um fünf im Jahr."

Das sieht auch CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl so. Die Wettkämpfe in der Stadt würden gerade auch von jungen Leuten und Familien gut angenommen. Da müssten halt Verkehrsteilnehmer für eine gewisse Zeit akzeptieren, dass sie ein paar Minuten brauchen, um den gesperrten Königsplatz zu umkurven. Das gelte für verschiedene Nutzungen. "Es gibt den einen, der die IAA toll findet, den anderen, der Sport mag, und den dritten, der zur Kultur kommt."

Kritik an der zunehmenden Preisgabe des öffentlichen Raums kommt von kleineren Oppositionsparteien. Tobias Ruff von der ÖDP findet es "ärgerlich", dass Münchnerinnen und Münchner zunehmend in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt seien und ihre Erholungsflächen für Veranstaltungen hergeben müssten. Gerade für den Sport gelte, dass die Stadt viel Geld in Stadien und Hallen investiere, statt dort anzutreten werde zwei Wochen der Königsplatz "durchgewühlt".

Linken-Stadtrat Stefan Jagel hatte bei der Diskussion um das Großkonzert auf der Theresienwiese schon kritisiert, dass die Stadt ihren öffentlichen Raum zunehmend kommerzialisiere. Alle fordern, dass man für Veranstaltungen im öffentlichen Raum das rechte Maß finden müsse. Nur: Davon haben viele eine unterschiedliche Vorstellung.

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