Europawahl:Was München mit der EU zu schaffen hat

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Am 26. Mai ist Europawahl. In einer Serie ist die SZ der Frage nachgegangen, was die EU für München bedeutet.

(Foto: Florian Peljak; Bearbeitung: SZ)

Wenn am 26. Mai ein neues Europaparlament gewählt wird, hat das auch auf München enorme Auswirkungen, auf diese so international geprägte Stadt. Wo profitiert sie von der EU? Wo bekommt man sie hier zu Gesicht? Und was denken junge Münchner über Europa? In einer Serie hat sich die SZ diesen Fragen gewidmet. Ein Überblick über die einzelnen Teile.

Von Kassian Stroh

Sieben Kandidaten für Europa

Bernd Posselt saß 20 Jahre lang im Europaparlament und ging weiter zu dessen Sitzungen, auch nachdem er 2014 rausgeflogen war. Henrike Hahn will sich dort bald für ein ökologischeres Europa einsetzen. Und Korbinian Rüger macht Haustürwahlkampf, auch wenn er kaum Chancen hat. Sie und vier weitere Münchner Kandidaten im Kurzporträt - sie alle stehen bei jenen Parteien auf der Liste, die bereits im Europaparlament vertreten sind. Und hier die wichtigsten Zahlen und Fakten zur Wahl im Überblick.

Europawahl: Bernd Posselt tritt für die CSU an.

Bernd Posselt tritt für die CSU an.

(Foto: Catherina Hess)

Wo die EU in München zu finden ist

Verbietet die EU bald Bier aus Steinkrügen? Müssen Wirte Wasser kostenlos ausschenken? Und warum sagt eigentlich niemand etwas gegen den Brexit? Mit Mythen und Unterstellungen wie diesen ist Joachim Menze nahezu jeden Tag konfrontiert. Er leitet die Regionalvertretung der EU-Kommission in München und soll hier einerseits Vorurteile abbauen, andererseits in Brüssel über die Situation in Bayern informieren.

Ihren Sitz hat die Kommissionsvertretung im Europäischen Patentamt, das in seiner Zentrale in München fast 4000 Menschen beschäftigt. Dieses ist formal zwar keine Institution der EU, als Hüter der Patente und des geistigen Eigentums aber sehr wichtig für die europäische Wirtschaft. Und es vergibt einen Erfinderpreis, der 2017 auch an den Münchner Vermessungswissenschaftler Günther Hein ging - für die Entwicklung der Signaltechnik, die beim Satellitennavigationssystem Galileo zum Einsatz kommt.

Wie München von der EU proftiert

Donald Dingwell erforscht Vulkanausbrüche, die Firma Temedica entwickelt eine Beckenbodentrainings-App, die Stadt stellt Lichtmasten auf, die auch Schadstoffe messen - für all das zahlt die EU Zuschüsse. Davon profitieren nicht nur Unternehmen, sondern auch soziale Organisationen und Wissenschaftler, auch wenn es manchen dabei ein wenig zu bürokratisch zugeht. Sieben Beispiele aus München.

Überzeugte Europäer im Wahlkampf

In München hat Volt gerade einmal 150 Mitglieder, eine Mini-Partei. Aber sie rechnet sich dennoch Chancen aus, in das Europaparlament einzuziehen - als erste Partei, die in mehreren Ländern der EU mit dem gleichen Programm antritt. Eine der zwei Spitzenkandidatinnen ist die 28-jährige Münchnerin Marie-Isabelle Heiss. Ihr Wahlkampf soll ein Gegenpol sein zum überall aufkeimenden Populismus, wie sie sagt.

Was junge Münchner über Europa denken

Sie kennen es nicht anders: Reisen und Arbeiten im EU-Ausland ist für die Generation der unter 30-Jährigen selbstverständlich. Auch in München gibt es viele Gelegenheiten, mit der EU in Kontakt zu kommen - ob an der Haustür, im Klassenzimmer oder in der Berufsschule der Bäcker und Konditoren, die im April zu einer Erasmus-Backstube geworden ist.

Die Europa-Begeisterung endet allerdings oft beim Wählen: Auf europäischer Ebene ist die Beteiligung der Jungen meist schwach. Sie begegnen nicht dem Projekt Europa mit Skepsis, sondern dem politischen System. "Sie sind nicht überzeugt, dass ihre Stimme etwas bewirkt", sagt der Wissenschaftler Andreas Kalina.

Lisa Springer und Cornelia Revellé verzieren Torten.

Lisa Springer und Cornelia Revellé (rechts) verzieren in der Erasmus-Backstube der Berufsschule Torten.

(Foto: Steffen Leiprecht)

Grenzenlos studieren und forschen

Cornelia Nissen brennt für Europa: Sie wuchs im Norden Deutschlands auf, gleich an der Grenze zu Dänemark. Sie erinnert sich gerne an den Schüleraustausch mit Frankreich, wurde Flugbegleiterin, studierte Wirtschaft, zeitweilig auch in Kopenhagen, und jetzt Politik in München. Und nebenbei engagiert sie sich ehrenamtlich als Karrierebotschafterin der EU: Sie wirbt für Jobs in Brüssel - die Stellen dort sind begehrt.

Auch Killian McGrath studiert derzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität, er schreibt seine Doktorarbeit in Philosophie. McGrath ist halb Ire, halb Deutscher - und er sagt, verschiedene Länder und Kulturen kennenlernen zu können, habe auch seine Ausbildung sehr bereichert. "An meinem Lehrstuhl spürt man tatsächlich Europa."

Grenzenlos arbeiten

Alexandra Iosif ist 29. Sie ist in Rumänien geboren, hat in Italien Pflege studiert, in Spanien während ihres Erasmus-Jahres ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert, und seit fast einem Jahr arbeitet sie beim städtischen Altenheim-Betreiber Münchenstift. "Deutschland hat sehr gute Perspektiven für eine Pflegekraft", sagt Iosif. Der Bedarf ist groß: Die Münchner Träger werben im In- und Ausland um Pflegekräfte, auch der Markt für osteuropäische Haushaltshilfen boomt.

Von der Freizügigkeit in Europa profitieren auch Start-ups wie die junge Münchner Firma Konux. Gäbe es die EU nicht, hätte sein Unternehmen "kaum eine Chance auf Wachstum", sagt der Gründer Andreas Kunze.

Europawahl: Alexandra Iosif arbeitet als Pflegerin im Münchenstift-Haus an der Rümannstraße.

Alexandra Iosif arbeitet als Pflegerin im Münchenstift-Haus an der Rümannstraße.

(Foto: Catherina Hess)

München - eine multinationale Stadt

Europawahl: Der Bulgare Dimitrov Nalov (Mitte) versucht, sich in München durchzuschlagen.

Der Bulgare Dimitrov Nalov (Mitte) versucht, sich in München durchzuschlagen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eigentlich gilt München als eine Stadt, in der Integration hervorragend funktioniert. Von den gut 1,5 Millionen Einwohnern sind 435 000 ausländische Mitbürger, die Hälfte von ihnen stammt aus der EU, weitere 250 000 Münchner haben einen Migrationshintergrund. Nicht nur ihr rechtlicher Aufenthaltsstatus ist höchst unterschiedlich, auch ihre Lebenssituation: Auf der einen Seite locken Unternehmen hoch qualifizierte Mitarbeiter an, die sich auch teure Mieten locker leisten können. Auf der anderen Seite schlafen Tagelöhner wie der Bulgare Dimitrov Nalov auf der Straße oder in Notunterkünften. Eine Reportage über diese ganz verschiedenen Lebenswelten in einer Stadt.

Die Briten in München

In instabilen Zeiten ist es gut, stabile Routinen zu haben: Freitag ist Stammtischtag. Immer. Seit 40 Jahren trifft sich in München jede Woche eine Gruppe englischer Muttersprachler zum "Friday Beer Garden". Ein Besuch dort zeigt: Als Brite hat man es zurzeit nicht leicht, aber in der Gemeinschaft lässt sich der Brexit-Spott besser ertragen. Etwa 5000 Briten sind in München gemeldet. Ihr Interesse, eingebürgert zu werden, ist seit dem Brexit-Referendum sprunghaft gestiegen. Im Kreisverwaltungsreferat gibt es für sie jetzt Sondertermine.

Britenstammtisch im Leib & Seele im Lehel, Oettingenstr. 36

Zum Stammtisch treffen sich Münchner Briten jeden Freitag - immer an einem anderen Ort.

(Foto: Florian Peljak)

Die Welt der Diplomaten

Etwa 100 Staaten unterhalten eine diplomatische Vertretung in München, ein Konsulat oder Generalkonsulat. Das slowenische leitet seit 2017 Dragica Urtelj. Ihre Arbeit ist vielseitig: So kümmert sie sich um Angelegenheiten ihrer Landsleute hier, wenn ein Pass gebraucht wird oder es Probleme mit Behörden gibt. Sie wirbt auch für die Wirtschaft ihrer Heimat, vermittelt Sprachkurse und will ganz generell Interesse für Slowenien wecken - und sei es, indem sie der Münchner Polizei ein Bienenvolk schenkt.

In vielen Sprachen lernen

Dass in München Menschen aus so vielen verschiedenen Nationen leben, stellt auch die Schulen vor besondere Herausforderungen. Am Adolf-Weber-Gymnasium gibt es Sprachvorbereitungsklassen: Innerhalb eines Jahres sollen die Schüler so gut Deutsch lernen können, dass sie danach dem regulären Unterricht folgen können.

In den vergangenen Jahren ist auch die Zahl der mehrsprachigen Schulen in der Stadt gestiegen. Drei Beispiele: 2013 hat die St. George's School geöffnet, eine britisch-internationale Ganztagsschule mit derzeit 450 Schülern. Im September soll der Campus di Monaco den Betrieb aufnehmen, eine mehrsprachige, inklusive Montessorischule im Ganztagsbetrieb. Und in Pasing gibt es seit 2010 eine dänische Schule - hier gibt es allerdings keinen regulären Unterricht, sondern nur Extra-Stunden am Samstag.

Sprachvorbereitungsklasse, Adolf-Weber-Gymnasium in Neuhausen, Kapschstraße 4

Erst Wortschatz, dann Textarbeit: Am Adolf-Weber-Gymnasium nimmt die Lehrerin Corinna Kremer "Die Küchenuhr" von Wolfgang Borchert durch.

(Foto: Florian Peljak)

In vielen Sprachen predigen

In München gibt es Gottesdienste auf Polnisch und Griechisch, auf Französisch, Portugiesisch, Rumänisch und in vielen anderen Sprachen. Auch jenseits der Mauern der Kirchen spielen die fremdsprachigen Gemeinden oft eine wichtige Rolle im Leben jener Menschen, die in der Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Denn die eigene Muttersprache vermittelt ihnen oft ein Gefühl von Zuhause. Pfarrer Matti Nikkanen predigt in München deswegen auch auf Finnisch. Doch eine Kirchengemeinde sollte kein Heimatverein sein, sagt er.

Die europäischen Partnerstädte

Schüler- und Lehreraustausch, gemeinsame Kulturveranstaltungen, persönliche Begegnungen der Bürger: München pflegt Partnerschaften mit sieben Städten in aller Welt, drei davon in der EU. Die erste davon schloss die Stadt 1954 mit Edinburgh. Sechs Jahre später folgte Verona, dessen Bürgermeister München seinerzeit als die "italienischste Stadt Deutschlands" pries. Und im Zuge der deutsch-französischen Aussöhnung wurde 1964 auch Bordeaux Partnerstadt Münchens - was mit einem opulenten Empfang gefeiert wurde.

Der Blick von außen

Europawahl: Auch Wahlplakate müssen für Protest herhalten - in diesem Fall gegen die Urheberrechtsrichtlinie der EU.

Auch Wahlplakate müssen für Protest herhalten - in diesem Fall gegen die Urheberrechtsrichtlinie der EU.

(Foto: Robert Haas)

In Nigeria sind Wahlplakate knallig, zeigen groß einen Kandidaten und haben kaum Text. In München ist das anders, wie unser Autor festgestellt hat. Vor allem musste er sich daran gewöhnen, dass sie hier meist nur angemalt werden - und nicht zerkratzt, zerfetzt oder gar verbrannt wie in seiner früheren Heimat.

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