Europas schnellster Computer:Superhirn aus München

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Er gilt als der schnellste Rechner Europas: An diesem Freitag geht der Hochleistungscomputer "SuperMUC" am Rechenzentrum in Garching in Betrieb - und schafft drei Billiarden Rechenvorgänge pro Sekunde.

Martina Scherf

Vor dem Eintritt ins Allerheiligste geht es am Kontrollzentrum vorbei. Zahlenreihen laufen über ein Dutzend ordentlich gereihter Bildschirme, alles ist weiß, blitzsauber und still. Rund um die Uhr wachen hier Spezialisten über die Hochleistungsrechner, sieben Tage die Woche. Sollte einer der Monitore plötzlich eine Störung melden, würde in Sekundenschnelle ein Notfallprogramm abgespult, ähnlich wie im Schockraum einer Klinik: Welches Körperteil ist betroffen? Welchen Spezialisten muss man rufen? Können wir den Patienten stabilisieren, indem wir einzelne Computer runterfahren und Programme umleiten, braucht er mehr Kühlung oder müssen wir an Herz und Lunge operieren, also an die Hardware gehen?

Eine Halle mit lauter Schränken voller Computer - und dazwischen zwei der Väter von SuperMUC: Arndt Bode (links) und Heinz-Gerd Hegering. (Foto: Johannes Simon)

Heinz-Gerd Hegering zieht einen Chip aus der Jackentasche und öffnet die Sicherheitsschleuse. Der Professor liebt solche Vergleiche aus der Medizin. Und der SuperMUC ist so etwas wie sein Riesenbaby, an dessen Zeugung er beteiligt war. Würde er kränkeln, ginge das auch ihm an Herz und Nieren. Zu einem unlösbaren Notfall ist es aber noch nie gekommen, "und dazu kann es auch nicht kommen", sagt der Informatiker im Brustton der Überzeugung.

Die Sicherheitssysteme sind so aufwendig, dass sie einen Totalausfall praktisch unmöglich machen. Das gilt für alle Bereiche des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ), das Hegering lange Jahre geleitet hat. Denn der SuperMUC, der an diesem Freitag unter den Augen prominenter Gäste in Betrieb gehen wird, ist nur ein Teil davon. Er ist zurzeit der schnellste Rechner Europas, und er ist für Sonderaufgaben da, die nur wenige Rechner in diesem Umfang bewältigen: Simulationen von Erdbeben, Modelle vom Urknall oder komplexe Berechnungen von Gehirnfunktionen. Solche Erkenntnisse kann man nur hier gewinnen.

Hegering hat die Tür zum Allerheiligsten geöffnet. Er ist einer von drei Herren mit universeller Schlüsselgewalt, LRZ-Leiter Arndt Bode ist der zweite; der dritte Schlüssel liegt bei der Feuerwehr. Alle anderen Mitarbeiter haben nur begrenzte Zugangscodes. Aus Sicherheitsgründen, aber auch, um Staub und Feuchtigkeit draußen zu halten.

Auf einer ganzen Etage im Garchinger Doppelwürfel stehen die Schrankreihen mit den Recheneinheiten. Darüber laufen in leuchtend gelben Kanälen die Datenleitungen. In Petaflops ("floating-point operations per second") wird die Leistung hier gemessen, der SuperMUC schafft drei Billiarden Rechenvorgänge pro Sekunde.

Professor Hegering öffnet einen der Schränke und deutet auf die schwarzen Rohre, die sich immer weiter verzweigen und im Mikrometerbereich bis ins Innere der Prozessoren vordringen. "Eine Weltneuheit", verkündet er. Die neue Kühlung spart eine Menge Geld. Denn das Rechenzentrum verbraucht so viel Strom wie die Stadt Garching, was fünf bis zehn Millionen Euro pro Jahr kostet. Weil aber jede neue Rechnergeneration nur noch einen Bruchteil der Energie ihrer Vorgängers braucht, ist die "grüne" Technik eine der größten Herausforderungen bei der Entwickler der Superrechner, wie Hegering sagt.

Weiter geht es in die nächste Etage mit den anderen Teilen des LRZ. Hier laufen alle Fäden des "Münchner Wissenschaftsnetzes" zusammen. Mehr als 120.000 Nutzer an 540 Standorten hängen daran, alle Münchner Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie Max-Planck-Gesellschaft oder das Helmholtz-Zentrum.

Jede Studentin, die sich über ihr Smartphone ins Hochschulnetz einloggt, jeder Arzt an der Uniklinik, der Patientendaten aufruft, alle bayerischen Bibliotheken und sogar die Wetterstation auf dem Wendelstein erhalten von hier aus Zugriff auf Datendienste, Archive und das Internet. Das LRZ in Garching ist quasi Herz und Lunge eines riesigen Organismus, der die Münchner Wissenschaft am Leben hält.

In einer weiteren Etage stehen die Archivschränke. Roboter surren durch die Regalreihen, in denen Magnetbänder das Wissen des Forschungsstandorts München speichern. Jedes Mal, wenn ein Nutzer der Staatsbibliothek ein bestimmtes Buch sucht, fährt ein Roboter durch die elektronischen Datenregale und klickt das richtige Laufwerk an.

Auch die Daten aller anderen bayerischen Bibliotheken und der Institute des Münchner Wissenschaftsnetzwerks lagern hier. Und auch wenn der SuperMUC soeben etwas ausgerechnet hat, werden die Ergebnisse schnell hier abgelegt. Und dann kommt noch ein neues Studio zur Visualisierung komplexer Rechenmodelle hinzu. Wenn jemand durch das 3D-Modell eines menschlichen Gehirns reisen oder sich in der Stadt der Zukunft bewegen will - hier wird es möglich sein.

All die Computer mit ihren blinkenden Leuchtdioden, ihrem Netz aus Tausenden Kilometern Kabel in bunten Farben und ihren surrenden Kühlaggregaten nehmen aber nur ein Drittel der Fläche im Garchinger Doppelwürfel ein. Doppelt so viel Platz braucht die Klimatechnik. Denn Rechner sind sensible Wesen. Sie mögen es nicht zu kalt und nicht zu heiß, nicht zu trocken und nicht zu feucht. Wer durch das Gebäude wandert, treppauf, treppab durch Stahltüren und Hallen voller Röhren, Turbinen und Generatoren, wähnt sich im Maschinenraum eines Ozeandampfers.

Tonnenschwere Schwungräder dröhnen, während sie den "unreinen" Strom von draußen in absolut schwankungsreinen Strom, wie ihn Supercomputer fressen, verwandeln. Riesige Sauger holen Frischluft vom Dach, Kältemaschinen kühlen sie herunter, Filter befreien sie vom Staub, Ventilatoren blasen sie in die Computerschränke, damit die künstlichen Gehirne nicht überhitzen.

In großen Kesseln gurgelt Wasser, das entkalkt, entsalzt und von Bakterien befreit wird, bevor es ins feingliederige Netz des Kühlsystems fließt. Für den Fall eines Brands erzeugen Maschinen Sprühnebel im Technikbereich, in den Rechnerräumen stehen dafür Batterien voller Spezialgas bereit. Und der Sicherungskasten für den Stromkreislauf ist so groß wie eine Reihenhausetage.

Professor Hegering hat Planung und Bau des Garchinger Doppelwürfels in jeder Phase überwacht. Er kennt sich nicht nur mit Bits und Bytes und komplexen Algorithmen aus. In seinem Nebenberuf war er viele Jahre Feuerwehrkommandant. Ein Spezialist für besondere Fälle - aber Notfälle gibt es, wie gesagt, am SuperMUC ja nicht.

© SZ vom 19.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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