"Eine Behörde am Abgrund" vom 3. März:
Bei der Superbehörde "Europäisches Patentamt" (EPA) - jedenfalls, was die Zentrale angeht - handelt es sich um eine Einrichtung auf Münchner Boden. Über den lokalen Aspekt hinaus und jenseits des Aufmerksamkeitspotentials, das mit den Allüren eines offenbar machtversessenen Behördenchefs verbunden ist, sind die Machtspiele im EPA aber von weit über München, Bayern und sogar Deutschland hinausgehendem Interesse - und von hoher (europa-)politischer und verfassungsrechtlicher Bedeutung. Ursprung und Kern des skandalträchtigen Spektakels am Ufer der Isar liegen nämlich augenscheinlich in der "Immunität", die dem EPA, das ausdrücklich keine EU-Behörde ist, im Gründungsakt der sie tragenden Staaten zugestanden wurde. Oder darin, wie EPA-Präsident Benoît Battistelli diese "Immunität" ungehindert durch seinen Verwaltungsrat, in dem auch der Bundesjustizminister sitzt, auslegt, nämlich offenbar als totale Autonomie unter Befreiung nicht nur von allen einfach-gesetzlichen Regelungen des Gastgeber-/Standort-Landes (zum Beispiel Kündigungsschutzgesetz, Arbeitsgerichtsgesetz, und anderes), sondern sogar unter Befreiung von allem Grundrechtsschutz, wie er in der Bayerischen Verfassung, im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und in den Europäischen Verträgen und Statuten festgeschrieben ist.
Es ist schon befremdend genug, dass sich mitten im verfassungsstolzen Bayern, wie von der SZ beschrieben, eine präsidiale Willkürherrschaft etablieren konnte, die unter anderem Artikel 9 Abs. 3 GG (Freiheit der Bildung und Betätigung von Gewerkschaften) offensiv missachtet; gänzlich unerträglich ist aber, dass gegen aus diesem Geist heraus getroffene und im Einzelfall existenzvernichtende Entscheidungen des Präsidenten nicht einmal ein effektiver externer, sprich unabhängiger Rechtsweg eröffnet ist.
Jedem deutschen Politiker wird bei Reisen in totalitäre oder sonst verdächtige Staaten allseits und mahnend mit auf den Weg gegeben, das westliche "Exportgut Rechtsstaatlichkeit" mit Nachdruck zu bewerben. Gleichzeitig werden erstaunlicherweise die Augen davor geschlossen, dass auf eigenem Boden eine Institution existiert, deren Tausenden von Mitarbeitern wesentliche Bestandteile der Rechtsstaatlichkeit - wie Rechtswegegarantie und Grundrechtsschutz - vorenthalten bleiben. Damit wird bei aller Kompliziertheit internationalen Rechts der Zustand am EPA zu einer Frage der Ehre für alle, die zur Aufgabe haben, Rechtsstaatlichkeit nicht nur im Ausland zu fordern, sondern erst recht im eigenen Territorium zu pflegen und, falls notwendig - wie hier -, herbeizuführen. Dazu gehören vorrangig Kraft Amtes Justizminister. Aber auch jeder andere Verfassungspatriot ist gefordert - nicht zuletzt in den Medien. Selbst wenn die aktuelle Situation durch einen möglicherweise teuer erkauften (die SZ kolportiert eine Abfindungssumme von 18 Millionen Euro) oder erzwungenem Abgang von Präsident Battistelli "bereinigt" werden könnte, darf es nicht dabei bleiben, dass die Mitgliedsstaaten ihr EPA außerhalb der europäischen und einzelstaatlichen Verfassungsgrundsätze operieren lassen. Dr. Hans-Joachim Frieling, München
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