Demonstration in München:Europa: Eine Idee und viele Anhänger

Pulse of Europe Odeonsplatz

Tausende haben am Sonntagnachmittag am Münchner Odeonsplatz für ein solidarisches, menschlicheres Europa und gegen Nationalismus und Ausgrenzung demonstriert.

(Foto: Florian Peljak)

Tausende Menschen demonstrieren eine Woche vor der Wahl für ein tolerantes, offenes und vielfältiges Europa. Vor allem der Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer und der Rechtsruck treiben die Teilnehmer auf die Straße.

Von Tom Soyer

Ein Europa für alle, ein buntes, vielfältiges Europa - dafür haben sich an diesem Sonntagmittag auf dem Odeonsplatz mehrere Tausend Menschen versammelt. Von der Bühne ruft gerade jemand: "Ein guter Tag für Europa!", und an der Seite, vor der Theatinerkirche, gestikuliert eine Dame im ziemlich bunten Kleid vor einigen Frauen im Ordens-Habit: Die Bunte ist eine bekannte Grüne und genießt es, mit Klerikerinnen einig über Solidarität und europäische Offenheit zu reden, und die Klosterschwestern wiederum finden es schön, mal mit einer prominenten Politikerin wie Claudia Roth über Menschenwürde in der europäischen Praxis des Jahres 2019 zu diskutieren. Die eine kämpft fürs Asylrecht, die anderen haben Mitstreiterinnen unter sich, die Geflüchteten Kirchenasyl gewähren.

Die Grünen-Abgeordnete verabschiedet sich fast entschuldigend wieder zurück "zu meiner Bezugsgruppe", also zu den Grünen. Aber irgendwie scheinen heute alle eine einzige Bezugsgruppe zu sein vor der Feldherrnhalle: Gegen Nationalismus und Ausgrenzung, für ein friedliches Miteinander. "Meine Haltung? Gegen Spaltung!" steht auf Tafeln, oder: "Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte".

Allerdings grassieren da auch ein paar scheußliche Ideen in diesem aktuellen Europa, geschuldet einem "Schulterschluss zwischen rechtem Straßenterror und Justiz". Seefrau Kathrin Schmitt von "Jugend rettet" macht das in ihrer emotionalen Rede deutlich. 14 000 Menschenleben habe das Schiff "Iuventa" gerettet - seit zwei Jahren verrotte es im Hafen von Trapani auf Sizilien, wo es Italiens Behörden festgesetzt hätten. Dem Personal drohten nun "20 Jahre Haft", und das nur, weil sie sich alle gegen ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Mittelmeer" gestemmt hätten. "Aktuell stirbt eine von zehn Personen auf der Flucht im Mittelmeer", so Schmitt, "das Mittelmeer ist die tödlichste Grenze der Welt."

"Seid viele, seid laut - und seid verdammt noch mal unbequem!", ruft sie der Menge zu, die die Polizei anfangs auf 4000 bis 5000 Zuhörer, gegen Ende auf 8000 Teilnehmer und beim anschließenden Demonstrationszug durch die Stadt sogar auf mehr als 10 000 Unterstützer hochrechnet. Die Veranstalter dieser Europa-Kundgebung gegen Nationalismus und Rassismus, die es in gleicher Weise am Sonntag auch in Hamburg, Köln, Leipzig, Stuttgart, Berlin und Frankfurt gibt, sprechen von 20 000 Menschen in München und rund 150 000 Teilnehmern bundesweit. Auch in Augsburg und Nürnberg gab es Demonstrationen für ein tolerantes Europa, zu denen das Kulturbündnis "Die Vielen" aufgerufen hatte.

Am Münchner Demo-Bündnis wirken viele Organisationen und Parteien mit, darunter die Grünen, die SPD und die Linke, aber auch andere Verbände. Am Rednerpult weist beispielsweise Simon Strohmenger von "Mehr Demokratie" darauf hin, dass Europa "leider auch eine Festung ist, mit Videokameras und Stacheldraht", und geißelt den Umgang mit Flüchtlingen in Seenot. Wie bei Seefrau Schmitt zuvor schon setzt es dröhnende Buh-Rufe, als das Thema der ertrinkenden Flüchtlinge angesprochen wird. Zuspruch erfährt auch die Journalistin Laura Meschede, die sich ein feministischeres Europa wünscht. "Frauen bekommen 50 Prozent weniger Rente als Männer", da sei noch Luft nach oben für mehr Gerechtigkeit im Staatenverbund.

Der müsse schon deswegen mehr auf Einigkeit setzen, "weil sich kein einzelnes Land gegen China oder einen durchgeknallten amerikanischen Präsidenten durchsetzen kann", das gehe nur gemeinsam, findet Bayerns Gewerkschaftsbund-Vorsitzender Matthias Jena. "Die rechtsradikalen Abschottungsfanatiker, die vor der Türe des EU-Parlaments stehen, sind keine Option; die lassen Menschen ersaufen - was ist das für ein Menschenbild? Und was diese korrupten Vertreter von Demokratie und Pressefreiheit halten, haben wir gestern in Österreich erlebt. Deshalb zeigen wir klare Kante gegen Rechts!" Bei der Anspielung auf den gerade durch Süddeutsche Zeitung und Spiegel demaskierten österreichischen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der mittlerweile zurückgetreten ist, brandet Jubel auf. Den erntet auch Rapper Roger Rekless aus München, der von eigenen Erfahrungen der Ausgrenzung als Dunkelhäutiger berichtet. "Rassisten waren immer da, aber sie haben sich lange nicht getraut, das Maul so aufzureißen", sagt er. "Wir sind alle Menschen, die europäische Idee feiert das - wir dürfen die Welt nicht den Nationalisten überlassen!"

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