Der europäische Einigungsprozess müsse viel mehr im Alltag gelebt werden, fordern Politiker immer wieder mal gerne. In München wird das demnächst aber öfter passieren, als das den S-Bahn-Fahrgästen lieb sein dürfte: An jeder Station wird sie ein lang gezogenes Piepen an das Projekt Europa erinnern.
Denn spätestens zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember wird in allen S-Bahnen beim Halt am Bahnhof erst ein akustisches Signal ertönen, ehe sich die Türen öffnen lassen. Der Zweck des lauten Pieps: Blinde sollen wissen, wann sie auf den Türknopf drücken können.
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Damit rettet der Verbund aber das Semesterticket für Studenten. Die Kritik der Fahrgastvertreter fällt scharf aus.
Damit setzt die S-Bahn München die EU-Richtlinie über "Technische Spezifikationen für die Interoperabilität im europäischen Eisenbahnsystem" um, kurz TSI. Dahinter verbirgt sich nicht anderes als der berechtigte Brüsseler Wunsch, den Bahnverkehr in ganz Europa möglichst einheitlich behindertengerecht zu machen. Deshalb hat auch das für Deutschland zuständige Eisenbahnbundesamt TSI übernommen. Nicht nur im Fern-, auch im Regional- und Nahverkehr soll es bald bundeseinheitlich piepen. "Wir setzen nur um, was bald EU-Standard sein wird", heißt es bei der S-Bahn München.
Die ersten piependen Züge sind schon unterwegs, bis zum 11. Dezember, dem Datum, an dem der Winterfahrplan in Kraft tritt, sollen alle 238 S-Bahnen mit der neuen Software ausgestattet sein, die für den Piep zum grünen Licht an den Türen sorgt. Technisch und finanziell sei das verhältnismäßig unaufwendig, sagt ein Sprecher der S-Bahn.
Die Richtlinie regelt sogar Taktfrequenz und Dezibelzahl
Ganz unproblematisch ist die Aktion dennoch nicht. Bei der S-Bahn Rhein-Main, die bereits vor einigen Jahren das regelmäßige Piepen eingeführt hat, gab es bald Beschwerden. Fahrgäste fühlten sich akustisch belästigt, weil Tonfrequenz und -lautstärke anfangs als unangenehm empfunden wurden.
Unter Bahnexperten setzte eine Debatte ein, ob das Piepen in Zügen ohne abgetrennte Abteilen, also S-Bahnen, wirklich genauso laut sein müsse wie etwa in Intercitys. Die Brüsseler TSI-Richtlinie regelt aber sogar Taktfrequenz und Dezibelzahl, sodass es ein spezielles Münchner Piepen wohl nicht geben wird.
Aus den Zügen, die in der Region bereits akustisch umgestellt sind, seien bislang keine Beschwerden bekannt, heißt es bei der S-Bahn München. Pendler dürften sich allerdings auch weniger wegen den Tonfrequenzen Sorgen machen, sondern vor allem wegen einer Frage: Kostet das Piepen womöglich zusätzlich Zeit? Ausgelöst wird das Tonsignal nämlich erst dann, wenn der Fahrer in seinem Führerstand den Knopf drückt, mit dem er alle Türen freigibt.
Sollten aber zwischen Tonsignal und Türfreigabe Bruchteile von Sekunden vergehen, könnte sich das allein schon bei den vielen Haltestellen auf der Stammstrecke schnell summieren. Doch die S-Bahn München versucht hier schon mal zu beruhigen: Wenn es piepe, seien gleichzeitig auch alle Türen frei. Verspätungen wegen unplanmäßigen Piepens seien nicht zu erwarten.