Süddeutsche Zeitung

Atomkraftwerk:Isar 2 wird zum milliardenschweren Risiko für die Stadtwerke

  • Die Abwicklung des Atomkraftwerks Isar 2 wird zum Risiko für die Münchner Stadtwerke - und damit auch für den Haushalt der Stadt.
  • Vielleicht müssen die Stadtwerke die Stilllegung sowie die Entsorgung des Strahlenmülls ganz allein finanzieren.
  • Entschieden wird die Sache in Berlin - wieviel Geld einmal nachgeschossen werden muss, ist völlig unklar.

Von Dominik Hutter

Der bange Blick geht nach Berlin, dort entscheidet sich in den nächsten Monaten, ob das Atomkraftwerk Isar 2 zum milliardenschweren Risikofaktor für die Stadtwerke und damit auch für die Stadt München wird. Nach aktueller Rechtslage gilt für das kommunale Unternehmen, das 25 Prozent an dem Meiler hält, eine "gesamtschuldnerische Haftung".

Was bedeutet: Kann der Mehrheitsgesellschafter Eon seinen Beitrag nicht mehr aufbringen, müssen die Stadtwerke die Stilllegung des Atomkraftwerks sowie die Entsorgung des Strahlenmülls ganz allein finanzieren.

Für die Verluste der Stadtwerke wiederum müsste die Kommune geradestehen. "Die Auswirkungen wären gigantisch, für uns wie für die Stadt München", warnt Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach. Er hofft nun auf die Bundesregierung, die in Sachen Atomausstieg eine Expertenkommission eingesetzt hat.

Zwar kann sich Bieberbach "eine Insolvenz von Eon momentan nicht vorstellen". Dennoch könne niemand garantieren, "dass keiner der großen Vier in den nächsten 80 Jahren pleite geht". Mit solchen Zeiträumen müsse man aber rechnen, wenn es um die Abwicklung der Atom-Ära geht.

Den Atomkonzernen ging es schon einmal besser

Auch die Bundesregierung sieht ein gewisses Ausfallrisiko - nicht umsonst tagt an diesem Donnerstag erstmals eine hochkarätig besetzte Kommission, die sich explizit mit diesem Problem befasst. Den großen Atomkonzernen, das ist kein Geheimnis, ging es schon einmal besser. "Natürlich beschäftigen auch wir uns mit diesem Fall", erklärt Bieberbach, der vielsagend von "Restrisiko" spricht.

Das Thema wird auch im Rathaus besprochen - jedem ist klar, dass die Komplett-Abwicklung des 1988 in Betrieb genommenen Druckwasserreaktors die Stadtwerke überfordern würde. Finanziell wie technisch. Die Stadtwerke treten lediglich als Anteilshaber auf, für den Betrieb des Meilers ist allein Eon zuständig. "Wir haben kein Personal vor Ort", so Bieberbach.

Isar 2 soll spätestens 2022 heruntergefahren werden. Was der Abbau letztlich kostet, kann heute noch nicht exakt beziffert werden. Die Stadtwerke haben gerade erst beschlossen, ihre dafür reservierte Rückstellung von knapp 600 auf rund 700 Millionen Euro aufzustocken - weil der bisher für die Summe einkalkulierte Zinssatz von 4,38 Prozent als zu hoch gegriffen gilt.

Ob später noch mehr Geld nachgeschossen werden muss, ist unklar. Der Zinsgewinn wird in die Gesamtsumme über Jahrzehnte hinweg eingerechnet. Sinken also die Zinsen, muss der Sockelbetrag aufgestockt werden. Ein von der Bundesregierung initiiertes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die heutige Kostenprognose mit erheblichen Risiken behaftet ist.

Die Experten errechneten für die 17 deutschen Meiler eine Spanne zwischen knapp 30 und gut 77 Milliarden Euro. Derzeit stehen 38,3 Milliarden in den Bilanzen der Atomunternehmen.

Dass die Energiekonzerne ihre Atomaktivitäten in Tochtergesellschaften auslagern und so das Haftungsvermögen reduzieren, will die Bundesregierung per Gesetz verhindern. Es soll im Januar in Kraft treten - der Beschluss im Bundestag steht noch aus. "Das ändert aber noch nichts am Problem der gesamtschuldnerischen Haftung", warnt Bieberbach.

Die Stadtwerke wollten ihren Anteil loswerden

Anders wäre es, wenn Berlin einen von den Unternehmen unabhängigen Fonds beschließt, in den die Kosten für den Atomausstieg rechtzeitig eingezahlt werden. "Dann wäre unser Risiko praktisch weg." Dieses Thema soll in der Kommission besprochen werden, die von Ole von Beust, Jürgen Trittin und Matthias Platzeck geleitet wird.

Die Stadtwerke haben in der Vergangenheit zweimal versucht, ihren 25-Prozent-Anteil loszuwerden. 1999 wurde eine Anzeige geschaltet, es gab aber laut Bieberbach keine ernsthaften Kaufinteressenten.

2009 waren die Verhandlungen schon weit gediehen: Eon übernimmt den Meiler ganz, die Stadtwerke erhalten im Gegenzug die Eon-Wasserkraftwerke. Aber ein österreichischer Investor bot mehr für die Wasserkraft und erhielt den Zuschlag. Inzwischen gilt der Meiler als unverkäuflich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2722383
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.11.2015/doen
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.