Süddeutsche Zeitung

Es wird eng:"Wir müssen den Ballungsraum München entschleunigen"

Wie soll die Stadt mit dem Wachstum umgehen? Heimatminister Markus Söder befürchtet eine Überhitzung der Metropole und will den ländlichen Raum stärker fördern. Oberbürgermeister Dieter Reiter dagegen sieht keine sinnvolle Möglichkeit der Begrenzung; die Stadt müsse stattdessen die negativen Folgen des Booms lindern

Von Heiner Effern

Fast alle Regionen träumen davon. Viele vergeblich, andere aber verfügen in solchem Ausmaß darüber, dass sie sich die Frage stellen, wie viel sie noch vertragen können. Von diesem Wachstum, das München gerade so prägt, dass Politiker und Planer sich entscheiden müssen: Wollen sie das noch befeuern oder sollen sie es bremsen? Davor müssen sie allerdings noch eine grundsätzliche Frage beantworten: Haben sie überhaupt die dafür nötigen Mittel? Oder bleibt ihnen nichts anderes, als zu versuchen, das Wachstum für möglichst viele erträglich zu gestalten?

Wie sehr München prosperiert, zeigen zwei Werte. Die Stadt korrigiert in ihrem aktuellen Demografiebericht ihre Prognosen für die Zahl der Einwohner nochmals nach oben. Mehr als 1,8 Millionen Bürger sollen im Jahr 2030 in München leben. Gleichzeitig weist der Kämmerer im Haushalt 2016 Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer von mehr als 2,5 Milliarden Euro aus. München prescht voran, das aber so sehr, dass Politiker und Bürger kaum mehr hinterherkommen. Denn sie leben in einer Stadt, die für so viele Menschen nicht ausgelegt ist. Bei den Wohnungen nicht, den Bussen und Bahnen nicht, den Straßen nicht. Nirgends.

Das spürt auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Doch er warnt davor, Wachstum zu dämonisieren. Dieses trage ganz wesentlich dazu bei, dass München eine florierende Stadt sei, die "sich viele Dinge leisten kann, die die Bürger auch zurecht erwarten". Dazu habe es in der Stadt schon lange nicht mehr so wenig Arbeitslose gegeben wie im Moment. Natürlich zeigten sich auch Schattenseiten, wenn sich zum Beispiel Menschen ihre Miete nicht oder kaum mehr leisten könnten. Solche "Wachstumsschmerzen" müsse die Stadt mit ihren Programmen lindern, sagt Reiter. Diese seien ihm aber lieber als die Schmerzen vieler Kollegen, die in wirtschaftlich nahezu handlungsunfähigen Kommunen nur die Mängel verwalteten.

Eine Möglichkeit, Wachstum "sinnvoll" zu begrenzen, sieht der OB derzeit nicht. Wenn die Stadt keine Bau- und Gewerbegebiete mehr ausweise, "werden die Preise explodieren". Das würde die angestammten Münchner sehr schnell aus der Stadt vertreiben. Zwei Punkte führt der OB aber dann doch an, wie die Politik eingreift. München betreibe keine aktive Akquise von Unternehmen und habe nichts dagegen, wenn manches sich im Umland ansiedele. Region und Stadt müssten lernen, "gemeinsam als Lebensraum zu wachsen".

Das sei "das Gebot der Stunde", sagt auch Münchens oberste Planerin, Stadtbaurätin Elisabeth Merk. "Die größte Herausforderung wird nun sein, kluge Kooperationen mit der Metropolregion einzugehen." Die Stadtplanung könne das Wachstum nicht aktiv steuern, das sei Aufgabe der Politik. Allenfalls bliebe die Möglichkeit, für eine möglichst schlechte Infrastruktur zu sorgen, das werde aber niemand ernsthaft erwägen. Also sei es ihre Aufgabe, das Wachstum "so verträglich wie möglich" zu gestalten. Dazu gehöre der Bau von Wohnungen, Straßen und Schulen. Gerade Wohnungen, aber auch für die Versorgung wichtige Unternehmen wie die Stadtwerke müssten in der Hand der Kommune bleiben. "Wenn eine Stadt komplett von Privaten aufgekauft wird wie London, dreht sich die Spirale noch viel schneller. Dann entsteht eine Stadt nur für Reiche."

Für Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, läuft die Stadt mit ihrem Wohnungsbau dagegen gerade ein aussichtsloses Rennen, durch das sie ihre Attraktivität zu verlieren droht. "Sie wird dem Bedarf auf dem Wohnungsmarkt immer hinterher sein, auch wenn sie noch die letzten Grünzüge als Baugebiet ausweist." Langsam erwache zwar auch die Erkenntnis, dass die Stadt nicht alle Zuzügler aufnehmen könne, doch mit der Region alleine über mehr Wohnungen zu reden, reiche nicht, sagt Magel. Eine gemeinsame Entwicklung insgesamt müsse das Thema sein. Und dazu gehöre eine viel größere Bereitschaft, bei der Neuansiedlung attraktive Unternehmen in die Region zu schicken. "Die Schwerkraft Münchens saugt sonst alles ab." Die vielen Initiativen von Bürgern gegen Neubauten und für den Erhalt von Grünflächen seien keine Kleingeisterei, sondern ein Alarmzeichen: "Die sind wegen der Entwicklung ihrer Stadt hochnervös."

Auch aus Landessicht könnte und sollte München sein Wachstum durchaus begrenzen. "Es ist gut, dass München eine so attraktive Stadt ist, aber wir spüren eine Überhitzung der Metropole. Das sieht man nicht nur auf dem Mietmarkt, sondern auch an der angespannten Verkehrssituation", sagt Heimatminister Markus Söder (CSU). Die Politik müsse für die richtige Balance zwischen der Metropole und dem Land sorgen. "Wir müssen den Ballungsraum München entschleunigen und den ländlichen Raum beschleunigen." Dieser müsse gestärkt werden, durch eine bessere Infrastruktur, Breitbandförderung, Behördenverlagerung und Regionalisierung der Hochschulen, Förderung der kleinen Kommunen. Das entlaste auch die Straßen und Bahnen. "Wir wollen Wohnen und Arbeit noch näher zusammenbringen."

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SZ vom 27.04.2017
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