Süddeutsche Zeitung

Erziehung:Kinderleicht

Zweisprachig aufzuwachsen, ist fast immer ein Gewinn

Von Silke Lode

Wer mehrsprachige Erziehung für ein Nischenphänomen oder ein Luxusproblem überambitionierter Eltern hält, der hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu Münchner Schulen oder Kindergärten. Denn die Realität sieht so aus: Jedes zweite Kind unter 14 Jahren hat einen ausländischen Pass, die meisten von ihnen wachsen mehrsprachig auf.

Die Bildungslandschaft ist erstaunlich schlecht auf diese gesellschaftliche Veränderung eingestellt. Bilinguale Kindergärten zum Beispiel sind immer noch etwas Besonderes. Oft genug handelt es sich um teure Privateinrichtungen, die als Schmankerl Englisch oder Chinesisch anbieten. Griechisch, Türkisch, Kroatisch, Polnisch oder Spanisch - Sprachen also, die so mancher Erzieher viel eher als Muttersprache beherrscht - werden hingegen kaum in den Kitas gesprochen. "Das hat etwas mit dem Sprachprestige zu tun", meint Edgardis Garlin vom Münchner Zentrum für kindliche Mehrsprachigkeit. "Die Eltern sagen: Englisch ist wichtiger als Türkisch. Dabei bringt das eine ganze Menge, auch wenn vielleicht nur ein passives Sprachwissen angelegt wird", sagt Garlin.

Auch Julia Blanco, Mitarbeiterin an der Internationalen Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit der LMU, sagt, dass es nie ein Fehler sei, Kindern den Zugang zu anderen Sprachen zu ermöglichen: "Eine zweite Sprache ist immer ein Gewinn." Wer allerdings will, dass sein Kind mehrsprachig aufwächst, müsse konsequent sein und einen langen Atem haben. "Sein Kind drei Jahre in einen bilingualen Kindergarten schicken, aber danach geht es nicht weiter . . . da kann man schon fragen, was das außer hohen Kosten bringt", meint Blanco.

Die Frage, was zu tun ist, wenn die Sprengel-Grundschule kein Chinesisch anbietet, stellt sich im Alltag eher selten. Vielmehr müssen Eltern sich überlegen, wie sie damit umgehen, wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. "Wir raten Eltern, sich für ein Konzept zu entscheiden", erläutert Blanco. Sehr bewährt habe sich das Modell "Eine Person, eine Sprache". Das klingt zwar einfach, funktioniert aber nur bei Eltern mit zwei verschiedenen Nationalitäten wirklich gut. Wenn beide Eltern zum Beispiel spanisch als Muttersprache sprechen, kommt schnell die Frage auf, ob sie nicht auch deutsch mit ihren Kindern sprechen sollen. Blanco rät eher ab: "Das funktioniert nicht, außer ein Elternteil ist im Deutschen wirklich kompetent und hat auch eine große emotionale Nähe. Sonst gehen typische familiäre Gespräche zwischen Eltern und Kindern - Verniedlichungswörter zum Beispiel - verloren."

Und noch einen Fehler sollten Eltern nicht machen: Sprachen im Gesprächsfluss mischen. "Für ein Kind ist das ein riesiger Nachteil", sagt Blanco. Besser sei es, Routinen zu entwickeln. Zum Beispiel eine Sprache beim Abendessen zu sprechen, die andere beim Vorlesen. Oder zwischen zu Hause und draußen zu wechseln.

Deutsch können Kinder, die in der Familie nur eine andere Sprache sprechen, trotzdem fast wie eine Muttersprache lernen - nämlich im Kindergarten. Alle Experten empfehlen deshalb Krippen und Kindergärten wärmstens: "Der Kindergarten ist eine Chance", rät zum Beispiel das Staatsinstitut für Frühpädagogik in seinem Elternbrief, der in mehr als 20 Sprachen auf der Webseite abgerufen werden kann. "Bis zum Schuleintritt hat das Kind genug Zeit, um in die deutsche Sprache hineinzuwachsen", heißt es dort. Ganz einig ist sich die Wissenschaft nicht, wie lange Kinder Sprachen spielerisch nebenbei lernen. "Aber bis ins Grundschulalter ist der Spracherwerb dem einer Muttersprache ganz ähnlich", sagt Blanco. Was man klassisch als das Erlernen einer Fremdsprache bezeichnet, beginne erst mit neun oder zehn.

Die Grundschule bringt noch einen anderen Einschnitt: Jetzt ist die Zeit gekommen, Kindern die gesprochenen Sprachen auch in der Schriftform beizubringen. Während das beim Deutschen ganz selbstverständlich die Schule übernimmt, sieht es für andere Idiome schlecht aus. Bayern hat vor gut zehn Jahren den Unterricht in Herkunftssprachen an Konsulate oder Vereine abgeschoben. Die können diese Aufgabe aber oft nicht stemmen, oder der Unterricht findet am Wochenende statt. Im Idealfall kümmern sich auch die Eltern darum, dass ihre Kinder eine andere Sprache schriftlich beherrschen. Im Alltag ist das jedoch mühsam, vor allem dann, wenn noch ein anderes Alphabet dazu kommt.

Vor einer babylonischen Sprachverwirrung muss sich aber keine Familie fürchten, in der mehr als eine Sprache gesprochen wird. Kinder lernen zwar vermeintlich langsamer zu sprechen, da sich der allmählich erlernte Wortschatz zunächst auf zwei oder mehr Sprachen aufteilt. Oft gibt es auch Phasen, in denen Kinder nur eine Sprache sprechen wollen. Verstehen können sie trotzdem beide, und der kognitive Nutzen von Mehrsprachigkeit gilt als erwiesen: "Wenn Kinder von Geburt an mehrsprachig aufwachsen, haben sie eine bessere Aufmerksamkeitskontrolle", sagt Blanco. Bestimmte Gehirnareale werden anders aufgebaut. Vor allem aber fällt es den Kindern später sehr viel leichter, neue Sprachen zu erlernen.

Beratung für Eltern bietet die Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit der LMU (www.ifm.daf.lmu.de) oder die Bildungsberatung International der Stadt (Telefon: 089/ 2 33 - 2 68 75). Kitas, Vereine und andere Multiplikatoren können sich beim Zentrum für kindliche Mehrsprachigkeit oder dem Staatsinstitut für Frühpädagogik informieren.

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SZ vom 12.01.2016
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