Erzieherstreik:"Wer nicht zuhört, muss fühlen"

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Tausende Erzieher kämpfen für eine bessere Bezahlung. Und um Respekt. Mit Bussen fahren Münchner Beschäftigte nach Stuttgart, um dort Alarm zu schlagen. Wenn es nicht bald zu einer Einigung mit den kommunalen Arbeitgebern kommt, drohen mehrtägige Streiks

Von Melanie Staudinger

Plötzlich versagt die Stimme. Doro Moritz räuspert sich kurz und lacht. "Berufskrankheit", sagt eine Erzieherin, die Moritz gerade in Stuttgart zuhört. Wer den ganzen Tag mit 25 Kindern allein in einer Gruppe sei, kämpfe häufig mit Heiserkeit. Gerade hat Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), klar gemacht, was sie vom bisherigen Verlauf der Tarifverhandlungen im Erziehungs- und Sozialdienst hält: nicht viel. Tausende Beschäftigte hätten sich seit Ende Februar für eine Aufwertung ihrer Jobs eingesetzt. "Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände zeigt sich jedoch weiterhin unbeeindruckt", klagt sie - und begrüßt ihre Kollegen aus Bayern, im Speziellen jene aus München und Freising.

Die hatten sich schon früh am Morgen auf den Weg in die baden-württembergische Hauptstadt gemacht. An diesem Montag demonstrieren Erzieher, Kinderpfleger, Sozial- und Kindheitspädagogen sowie Schulsozialarbeiter aus Bayern und Baden-Württemberg gemeinsam für mehr Geld. Es soll ein deutliches Zeichen an die kommunalen Arbeitgeber sein. Ein lautstarkes Zeichen. Mehr als 12 000 Streikende ziehen mittags durch die Stuttgarter Innenstadt, unter ihnen mehr als 100 von der GEW aus München und Freising. Die Wut der Beschäftigten auf ihre Arbeitgeber ist deutlich zu spüren.

Erzieher machen mehr, als nur Händchen zu halten: 12 000 Streikende ziehen am Montag durch die Stuttgarter Innenstadt. (Foto: dpa)

Ganz reibungslos aber verläuft der Ausflug für die Münchner Gewerkschaft nicht. Bevor es richtig losgeht, muss die Gruppe schon am Lenbachplatz stoppen. Einer der Busse hat einen Unfall, schnell muss Landesgeschäftsführerin Elke Hahn die Mitfahrer umsetzen. So groß ist das Problem dann aber doch nicht: Ursprünglich hatte die Gewerkschaft mit vier bis sechs Bussen aus München gerechnet, am Ende jedoch reichen zwei. "Wir haben viele Teilzeitbeschäftigte mit Kindern, die nicht mit nach Stuttgart fahren konnten", sagt Hahn. 500 Kollegen seien zum Streik in München geblieben. So finden alle Platz, spätestens im Freisinger Bus, der an einer Raststätte wartet.

Schon auf der Hinfahrt wird eifrig diskutiert. Unfair finden es viele, dass Grundschullehrer so viel mehr als Erzieher verdienten und gleichzeitig auch noch so viel länger Urlaub hätten. Ungerecht sei auch, dass große Teile der Bevölkerung immer noch denken würden, Erzieher würden Kinder nur tätscheln und nicht pädagogisch arbeiten. Und als nervig empfinden sie es, dass in so gut wie jeder Münchner Einrichtung Personal fehle: Überlastung, nicht mehr abschalten zu können, Krankheit und manchmal sogar Unlust seien die Folge. "Junge Kollegen wechseln doch lieber gleich den Beruf, bevor sie sich das antun", sagt eine Erzieherin.

Am GEW-Haus in Stuttgart trifft die Münchner Delegation dann mit ihren Kollegen aus Baden-Württemberg zusammen. "Wer nicht zuhört, muss fühlen", sagt der bayerische GEW-Landesvorsitzende Anton Salzbrunn. Wen er damit meint? Die Arbeitgeber natürlich. Die hätten seit Ende Februar in vier Verhandlungsrunden kein Angebot vorgelegt. Die Gewerkschaften fordern im Schnitt zehn Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten. Das soll durch eine Höherstufung in den Tarifgruppen erreicht werden, denn in den aktuellen Gesprächen geht es nicht um die Gehaltstabelle für den öffentlichen Dienst an sich. Damit aber argumentieren auch die Arbeitgeber: Sie könnten, so sagte unlängst der Münchner Personalreferent Thomas Böhle, deshalb gar kein Angebot vorlegen, sondern nur über Höherstufungen in einzelnen Berufsgruppen reden. Das wiederum will GEW-Chef Salzbrunner nicht akzeptieren: "Die Arbeitgeber wollen uns hinhalten, aber auch wir können hinhalten." Tut sich bei den Verhandlungen in Offenbach an diesem Dienstag wieder nichts, wollen die Erzieher erstmals länger als einen Tag streiken. "Wir können die Kitas zumachen und die Freizeittreffs", ruft er ins Mikrofon. Applaus.

Später, bei der Hauptkundgebung, wird Verdi-Chef Frank Bsirske beklagen, dass zu wenig Geld in die frühkindliche Bildung gesteckt werde, obwohl sämtliche Studien zu dem Schluss kämen, dass sich jeder Euro lohne. "Riesiger Nutzen, enorme Bedeutung: Das Ansehen der Erzieher müsste also groß sein", sagt Bsirske. Eltern schätzten die Arbeit von Erziehern, gesamtgesellschaftlich sei das aber nicht der Fall: "Das zeigt sich in der geringen Bezahlung." Besonders ärgere ihn, dass die Kommunen noch nicht mal einen Handlungsbedarf erkennen würden, sondern im Gegenteil behaupteten, dass Erzieher ohnehin mehr verdienten als Beschäftigte mit vergleichbarer Ausbildung im öffentlichen Dienst. Als Bsirske das sagt, pfeifen 12 000 Demonstranten. Die Stuttgarter unterstützen den Protest. Passanten klatschen oder filmen den Zug mit ihrem Smartphone. "Natürlich sollten Erzieher mehr verdienen", sagt eine Frau mit ihrer kleinen Tochter an der Hand. "Sie kümmern sich schließlich um unsere Kinder."

Die Rede des Verdi-Chefs beginnt knapp eine halbe Stunde später als geplant. Die Demonstrationszüge zum Schlossplatz verzögern sich. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Kohle klaut!", ruft der 600 Menschen umfassende GEW-Tross. Auf einem Plakat steht: "Gute Bildung ist unser Verdienst. Gute Bezahlung ist unser Recht." Gleich zweimal müssen die GEWler auf die Kollegen von Verdi warten, die von ihrem Gewerkschaftshaus starten und wesentlich mehr Teilnehmer zählen. Verdi gibt den Ton an in dieser Tarifrunde, doch nun will auch die GEW stärker in die Öffentlichkeit drängen. Hahn und Salzbrunn haben stets Mitgliedsanträge zur Hand. Sie haben sogar Verdi-Mitglieder im Bus mitgenommen.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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