Katholische Kirche und LGBTIQ:"Das ist einfach so von Gott geschaffen"

Katholische Kirche und LGBTIQ: Beim monatlichen Queer-Gottesdienst in St. Paul liegt die Regenbogen-Fahne vor dem Altar.

Beim monatlichen Queer-Gottesdienst in St. Paul liegt die Regenbogen-Fahne vor dem Altar.

(Foto: Catherina Hess)

Um sich mit der queeren Community zu versöhnen, schafft das Erzbistum die "Regenbogenpastoral" mit Michael Brinkschröder als Leiter. Und damit Pfarrer nicht erschrecken, wenn zwei schwule Väter ihr Kind taufen lassen wollen.

Von Andrea Schlaier

Sabine Estner ist eine der wenigen Frauen bei dieser "After Hour". Die 56-Jährige ist akkurat geschminkt, ihre dunklen langen Haare trägt sie offen, überm schwarzen Pulli hängt ein schwarzes Kreuz. Sie sucht ein freies Plätzchen auf dem Tresen neben der Eingangstür, um ihr leeres Sektglas abzustellen. Der kleine Raum hinter ihr ist voll, vor allem mit Männern. In feierlicher Heiterkeit stehend oder an schlichten Tischen sitzend sind sie ins Gespräch vertieft, umarmen sich zur Begrüßung.

"Eine Heimat" wird die Diplom-Ingenieurin die Gemeinschaft später im Gespräch nennen. Hier im Keller des katholischen Pfarrheims treffen sich an diesem Sonntagabend wie immer einmal im Monat Menschen, die nebenan gerade den Münchner "Queer-Gottesdienst" gefeiert haben. An diesem Sonntag einen ganz besonderen. Der katholische Religionslehrer Michael Brinkschröder ist offiziell als Leiter der neuen Projektstelle "Regenbogenpastoral" vorgestellt worden.

"Aufklärung", sagt Sabine Estner, das ist die große Qualität, die von diesem im Erzbistum München und Freising geschaffenen Novum ausgehen soll. So viele Menschen in der Kirche wüssten nicht Bescheid über die Themen Homosexualität, Transidentität, Intergeschlechtlichkeit. "Ich wünsche mir, dass eine Inklusion stattfindet und wir dabei sein dürfen und nicht Christen zweiter Klasse sind." 14 Jahre lebte sie als Mönch im Kloster. Heute führt Sabine Estner das Leben einer transidenten Frau. "Das hat man sich nicht selber rausgesucht, das ist einfach so von Gott geschaffen."

Katholische Kirche und LGBTIQ: Michael Brinkschröder (re.) ist im Gottesdienst als neuer Leiter der "Regenbogenpastoral" vorgestellt worden.

Michael Brinkschröder (re.) ist im Gottesdienst als neuer Leiter der "Regenbogenpastoral" vorgestellt worden.

(Foto: Catherina Hess)

Um diese Vielfalt gestalten zu können, brauche es in allen Bereichen der Pfarrgemeinden Mitarbeitende, die damit umgehen können. Ruth Huber hat das während des Einführungsgottesdienstes gesagt. Sie ist im Ordinariat verantwortlich für das Projekt, das die "Versöhnung der Kirche mit der LGBTI-Community" vorantreiben will. "Damit den Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht, wenn zum Beispiel zwei Väter ihr Kind zur Taufe anmelden wollen, die Kinnlade runterfällt."

Alte Denkmuster müssten zwischen Berchtesgaden und Scheyern, zwischen Mühldorf und Oberammergau aufgebrochen, Gesprächsformate entwickelt werden. Zum Beispiel, "wo jemand eine Lesbe, einen Schwulen fragen kann, wie lebst du eigentlich?" Viele ihrer Kollegen, so Huber, seien noch nie mit einem geouteten Menschen ins Gespräch gekommen.

Beschäftigte der Kirche müssen mit der Kündigung rechnen, wenn sie sich outen

Mit Brinkschröder hat sich das Ordinariat einen geholt, der mit den Leuten reden kann, sich was traut und weiß, was zum Thema in der Bibel steht und wie das zu deuten ist. Thema seiner Doktorarbeit: "Sodom als Symptom." Er wollte wissen: Woher kommt die Antihomosexualität in der katholischen Kirche? Während des Theologiestudiums in Münster hatte Brinkschröder sein Coming-out und gründete die Arbeitsgemeinschaft für Schwule und Lesben in der Theologie. Ein Karrierekiller für einen Job in der katholischen Kirche.

Auch deshalb arbeitet der 55-Jährige als Religionslehrer in einer Berufsschule der Stadt München. Brinkschröder engagiert sich bei der Initiative "OutInChurch" und zeigte Anfang 2022 Gesicht und Haltung beim größten Coming-out in der Geschichte der katholischen Kirche, dem ARD-Projekt "Wie Gott uns schuf". Hier zeigten sich Menschen, die bei der katholischen Kirche angestellt sind und deren Lehre verbreiten - und die mit einer Kündigung rechnen müssen, weil sie queer sind .

"Auf lange Sicht muss das Ziel die Versöhnung zwischen der queeren Community und der katholischen Community sein." Brinkschröder eröffnet damit seine Ansprache vor dem Tresen im Keller. Dafür brauche es eine Aufarbeitung der kirchlichen Schuldgeschichte, es brauche viel Umkehr, es brauche "viel Auseinandersetzung, und das nicht nur bei einem Kardinal, der schon mal angefangen hat und sorry gesagt hat, sondern bei allen, die in der Seelsorge arbeiten". Im Frühjahr zelebrierte Kardinal Reinhard Marx erstmals den Queer-Gottesdienst in St. Paul und entschuldigte sich für die Diskriminierung Homosexueller durch die katholische Kirche.

Auf zwei Jahre ist das pastorale Regenbogen-Projekt befristet - als halbe Stelle. Netzwerken lautet für Brinkschröder das Gebot der Stunde: Ängste in den Pfarreien abbauen, Mitarbeitende sensibilisieren und sprachfähig machen für Begrifflichkeiten. Überall liegen neuerdings Flyer. "Manchmal hilft schon eine E-Mail-Adresse, bei der mir jemand weiterhelfen kann", sagt bei der "After Hour" Florian Heinritzi von der AG Queerscouting der Pfadfinder, der zuvor in St. Paul gepredigt hat. "Viele trauen sich nicht, ihren Pfarrer anzusprechen, weil sie nicht wissen, wie reagiert der."

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