Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Ein streitbarer Geist

Erwin Eisch, großartiger Künstler und Mitbegründer der internationalen Studioglasbewegung, ist im Alter von 94 Jahren gestorben.

Von Sabine Reithmaier, Frauenau

Konfrontationen hat Erwin Eisch nie gescheut. Das ging schon los, als der 1927 im niederbayerischen Frauenau geborene Pionier der Glaskunst mit seiner späteren Frau, der Bildhauerin Gretel Stadler, und Max Strack in München die Gruppe Radama gründete. Gleich mit der ersten Schau gelang ein bundesweiter Skandal, als sich herausstellte, dass die Bolus-Krim-Gedächtnisausstellung einen fiktiven Künstler würdigte (die ausgezeichnete Ausstellung im Neumarkter Lothar-Fischer-Museum über die Gruppe Radama läuft noch bis 13. März).

Schon damals - das ging in der Aufregung über den Skandal unter - setzte Eisch vor allem in der Folgeausstellung "Schöner Wohnen" Glas als künstlerisches Material ein, präsentierte nicht "Formschönes", sondern "Geformtes": Schiefe Vasen, seltsame Gläser, zerknautschte Krüge, Skulpturen mit künstlerischer Aussage, aber ohne Funktion.

Eines dieser Objekte entdeckte der amerikanische Keramikprofessor Harvey K. Littleton während seiner Deutschlandreise 1962. Er besuchte dessen Schöpfer in Frauenau, wohin der frisch mit Gretel Stadler verheiratete Eisch im selben Jahr zurückgekehrt war, um in der von seinen Eltern gegründeten Glashütte Eisch weiter mit seinem Werkstoff zur experimentieren. Das Treffen war nicht nur der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, sondern auch die Geburtsstunde der internationalen Studioglasbewegung.

Eisch, der sich selbst mehr als Maler sah, schuf großartige Skulpturen, oft mit viel hintergründigem Humor, die bald weltweit ausgestellt wurden. Mit internationalen Glassymposien machte er seinen Heimatort als Zentrum der Studioglasbewegung weit über die Region hinaus berühmt, gründete auch das 1975 eröffnete Glasmuseum Frauenau mit. 1987 rief er, inzwischen fünffacher Vater, mit Gretel Eisch die freie Akademie Bild-Werk ins Leben, ein Forum für Glas und Bildende Kunst mit Workshops in allen Sparten. Auch einer der Gründe, warum er und seine Frau für ihr Lebenswerk im Herbst 2021 mit dem Kulturpreis Bayern ausgezeichnet wurden.

Lebenslang blieb Eisch widerständig. Er engagierte sich gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und für den Nationalpark Bayerischer Wald, unbeeindruckt von Anfeindungen und Morddrohungen. 2007 würdigte ihn sein Heimatort zum 80. Geburtstag mit der Ehrenbürgerwürde. Zwei Jahre später gab er sie zurück, als ihm wegen der stark gestiegenen Kosten beim Neubau des Glasmuseums der Bürgermeister eine Mitverantwortung zuwies.

Am 25. Januar ist der Meister der Glaskunst, 94 Jahre alt, in Zwiesel gestorben. Sein streitbarer Geist wird fehlen.

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