Erstmals seit 50 Jahren im Tierpark Hellabrunn::Mutterfreuden im Elefantenhaus

Die Pfleger rätseln, wie der Jungbulle Gajendra das Kunststück zustande brachte: "Er hat doch immer nur geübt"

Von Astrid Becker

Es muss ein schöner Herbsttag mitten im September gewesen sein. Wie immer dreht Robert Müller, Ober-Elefantenpfleger im Tierpark Hellabrunn, an diesem Tag seine Runde durch das Warmhaus, in dem die sechs Elefanten untergebracht sind. Eigentlich will er ein paar Abmessungen für das geplante neue Gehege machen, in dem künftig der pubertierende Elefantenbulle Gajendra leben wird. Doch dann fällt sein Blick auf das Gesäuge von Panang, einer 14 Jahre alten indischen Elefantenkuh. Der Pfleger stutzt: Dick ist es geworden, und die Zitzen drehen sich nach außen - normalerweise Indizien für eine Trächtigkeit.

Doch Panang, so denkt Müller, kann gar nicht schwanger sein. Von dem kleinen Gajendra? Wohl kaum. Also vergisst der Pfleger seine Beobachtung ganz schnell wieder, bis er zwei Wochen später von seinem Kollegen auf das pralle Gesäuge aufmerksam gemacht wird. Die beiden Elefantenexperten stehen vor einem Rätsel. Die Gewissheit kommt erst Ende Januar. Eine Ultraschalluntersuchung des Tieres ergibt zweifelsfrei: Panang ist tatsächlich schwanger. Für die Pfleger und ihren Chef, Professor Henning Wiesner, die schönste Nachricht seit langem: "Ein Wunder." Immerhin ist es die erste Elefantenschwangerschaft in Hellabrunn seit mehr als 50 Jahren. Und die Chancen auf ein Elefantenbaby im Münchner Zoo galten bisher als denkbar schlecht.

Denn Gajendra, knapp elf Jahre alt und der einzige männliche Elefant im Münchner Zoo, nimmt seit Jahren an einer Studie des Berliner Institutes for Zoo and Wildlife Research (IZW) teil, die sich mit dem Erwachsenwerden dieser Tiere beschäftigt. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind bis zum heutigen Tag eher niederschmetternd: Die Wahrscheinlichkeit, dass Gajendra Nachwuchs zeugen kann, liegt bisher gerade mal bei 20 bis 30 Prozent. Zwar würde die Menge der produzierten Spermatozoen bereits ausreichen, doch sie bewegen sich noch viel zu langsam, zum Teil sogar gar nicht, weil ihnen das dafür nötige Schwanzstück fehlt. "Panang konnte also nicht schwanger sein. Wir haben auch nie einen richtigen Deckungsakt beobachtet - Gajendra hat immer nur ein bisschen geübt", erzählt Müller. Und das, so wissen die Pfleger und berichten auch die Biologen, reicht normalerweise nicht aus, um eine Elefantenkuh zu befruchten.

Erschwerende Umstände also. Und das beim Elefanten, bei dem Schwangerschaften sowieso als relativ problematisch und selten gelten. Eine Kuh kann im Laufe ihres Lebens nur vier bis sechs Junge gebären - weil sie 20 bis 24 Monate trächtig ist. Hinzukommt, dass viele Geburten der durchschnittlich einen Meter großen und rund 100 Kilogramm schweren Babys tragisch verlaufen - wie die letzte in Hellabrunn, im Jahre 1951. Damals brachte die sehr kleine Elefantenkuh Rani ein totes Kalb zur Welt. Weil sie selbst von der Geburt so geschwächt war, starb das Muttertier nur wenig später. In ihrem Leib wurde ein zweites totes Kalb gefunden. Es war der erste bekannt gewordene Fall einer Zwillingsgeburt bei einem Elefanten, der in Menschenobhut aufgewachsen ist.

Doch schon in den Jahren zuvor hatten die Elefantengeburten in Hellabrunn immer wieder für Aufsehen gesorgt. Wie etwa 1935, als der Zoo gleich zwei tot geborene Kälber zu verkraften hatte. Oder Adam, der im April 1943, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs geboren wurde - als das erste weltweit in einem Zoo geborene Kalb einer afrikanischen Elefantenkuh. "Was war man damals stolz auf diesen Erfolg!", sagt Müller, der diese Geschichte aus den Aufzeichnungen des Zoos kennt. Doch dann starb die Mutter nur wenige Monate nach der Geburt. Das Kalb musste künstlich ernährt werden. Ein halbes Jahr nach seiner Geburt wurde die Kuppel des Elefantenhauses bei einem Bombenangriff zerstört. Das Kalb erkältete sich, zog sich zudem noch eine schwere Darmerkrankung zu - Adam war nicht mehr zu retten.

Als Müller das erzählt, bekommen seine Augen einen traurigen Ausdruck. Doch die Sorge verschwindet, als Panang ihren Rüssel um seine Beine wickelt. "Sie ist auf einem absoluten Kuscheltrip", erzählt er. 1995 war die Kuh aus dem Zoo Zürich nach München gekommen, seither kümmern sich Müller und seine Kollegen um sie. Doch Panang mit den schönen bernsteinfarbenen Augen blieb immer zurückhaltend: "Eigentlich war sie eine Zicke - doch das ist jetzt vorbei." Und auch ihr Status innerhalb der Herde habe sich verändert, sagt Müller "Panang bezog immer die meiste Prügel. Jetzt rührt sie keiner mehr an."

In Hellabrunn lebt man nun das Prinzip Hoffnung: "Es wird alles gut - die Umbauten der Anlage haben sich immerhin schon mal gelohnt, sonst wäre Panang nicht trächtig", sagt Müller. Er träumt jetzt von Kameras, um die Kuh rund um die Uhr beobachten zu können. Müller setzt dabei ganz auf die Hilfe von der Bürgermeisterin und Zoo-Aufsichtsratsvorsitzenden Gertraud Burkert, die die Schutzherrschaft über das Ungeborene übernommen hat. Und Müller wünscht sich natürlich, dass das Kalb gesund zur Welt kommen wird - auch wenn der Geburtstermin noch unklar ist. "Die Größe des Embryos von rund 30 Zentimetern deutet auf den achten Monat hin. Die Gestalt der Mutter aber auf den 12." Ende des Jahres könnte das Baby demnach vielleicht schon auf der Welt sein.

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