Erste Haube im Gault&Millau:Mit Grünzeug punkten

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Aus dem Gemüse Überraschendes rausholen: Das ist Christoph Mezgers Rezept für die Küche des Tian. (Foto: Robert Haas)

Christoph Mezger ist Chefkoch im Restaurant Tian am Viktualienmarkt und hat es in nur einem Jahr zum besten vegetarischen Lokal der Stadt gemacht

Von Franz Kotteder, München

Vegetarier haben es oft nicht leicht mit der gehobenen Küche. Zwar sind sich Sternerestaurants nicht zu fein, auf Wunsch (und nach Vorwarnung) ihre Menüs für Vegetarier abzuwandeln. Aber es gibt auch welche, bei denen wird anstelle der Fleisch- und Fischgänge dann eben schon mal Süßkartoffelpüree, Süßkartoffelgratin, Ofensüßkartoffeln und Süßkartoffelstroh auf die Karte gesetzt. Das gibt es tatsächlich.

Wenn auch nicht bei Christoph Mezger. Der 33-Jährige ist Küchenchef im Ende 2014 eröffneten Tian am Viktualienmarkt, dem Restaurant im Derag Livinghotel. Das ist dem Namen nach ein Ableger des Wiener Restaurants Tian, unter Gourmets weithin bekannt als eines der wenigen vegetarischen Lokale in Europa, das mit einem Stern im Michelin vertreten ist. Das Münchner Tian ist zwar ein Ableger, hat aber eine völlig eigenständige Küche - freilich auch auf vegetarischer Basis - und es eifert dem Wiener Mutter-Unternehmen durchaus nach. Ende 2015 gab es die erste Haube im Gault & Millau sowie 14 von 20 möglichen Punkten. Das einzige andere vegetarische Lokal im deutschen Gault & Millau ist das Cookies Cream in Berlin. "Eine schöne Auszeichnung für uns", sagt Mezger, "und das gleich im ersten Jahr."

Klar, da ist er schon ein bisschen stolz drauf. Ist ja auch gut nachvollziehbar; schließlich ist es keine Kleinigkeit, in der stark auf Fleisch und Fisch fixierten Haute Cuisine mit Grünzeug zu punkten. Zu sagen, pflanzliche Nahrung würde in der Sternegastronomie stiefmütterlich behandelt, wäre zwar auch nicht richtig. Aber berühmte Köche haben unter ihren sogenannten "signature dishes" - also jene Gerichte, mit denen sie bekannt geworden sind - in aller Regel keine mit Gemüse als Hauptprodukt.

Bei Mezger wären diese Gerichte übrigens auch gar nicht so einfach zu benennen. Er hat es nämlich nicht so mit jener Form von Lyrik, wie sie manche der ambitionierteren Köche pflegen, bei ihm gibt es keine "Variationen von der Süßkartoffel an einer feinen Jus mit Trüffeln", im Gegenteil. Die Speisekarte im Tian liest sich fast wie ein Einkaufszettel für den nahen Viktualienmarkt. Aktuell steht da zum Beispiel für ein Hauptgericht: "Schwarzer Reis / Broccoli / Grüner Pfeffer / Rote Bete" oder für eine Vorspeise "Blumenkohl / Kakao / Passionsfrucht / Junger Lauch". Das klingt ziemlich unspektakulär und benennt lediglich die Hauptkomponenten des Gerichts. Damit will er schon einmal verdeutlichen, dass es ihm auf die Produkte ankommt, mit denen er arbeitet, und aus denen er alles herauskitzeln will, was in ihnen steckt.

Christoph Mezger kann von sich auch nicht behaupten, dass es ihn schon immer zum Kochen ohne Fisch und Fleisch hinzog. Im Gegenteil. In einem der beliebten Gastro-Fragebögen hat er einmal "schwäbischen Zwiebelrostbraten" als sein Lieblingsgericht angegeben. Und dann hat er eine grundsolide Ausbildung in gehobener Küche, ja sogar eine sehr gute. Geboren in Heilbronn, was man dem jungenhaften, schlanken Mann auch nach etlichen Jahren in München noch deutlich anhört, begann er sich bald fürs Kochen zu interessieren. Das liegt bei ihm ein bisschen in der Familie; der Vater war zwar Manager und die Mutter Sportlehrerin, aber ihren Kindern müssen sie die Liebe zum guten Essen doch mitgegeben haben. Denn Christophs älterer Bruder Steffen erkochte im Atelier des Bayerischen Hofs vor vier Jahren seinen ersten Michelin-Stern, jetzt arbeitet er als Küchenchef in Heinz Winklers Residenz in Aschau, die zwei Sterne hat. Christoph hat ebenfalls schon eine recht ansehnliche Karriere hinter sich, war in der Villa Hammerschmiede Pfinztal, im Löwen in Eggenstein, im Alten Amtshaus Ailringen, im Dresdener Restaurant VEN Innside und zuletzt in den Südtiroler Stuben von Alfons Schuhbeck am Platzl - lauter erste Adressen also. Der Weg war mithin vorgezeichnet zur Sterneküche. "Klar wollte ich immer schon da hin", sagt Mezger, "sonst hätte ich doch nicht in solchen Restaurants gelernt und gearbeitet."

Ein bisschen ist es also schon ein Umweg, dass er jetzt ausgerechnet "beim Vegetarier" gelandet ist. Auf der anderen Seite hat das Tian - eben wegen Wien - aber auch einen Ruf wie Donnerhall. Und mit vegetarischen Gerichten fällt man als Koch vielleicht sogar mehr auf als mit normaler Sterneküche. Weil die in hoher Qualität eben doch selten sind: Meistens begnügen sich vegetarische oder vegane Restaurants ja merkwürdigerweise damit, Fleisch- oder Fischgerichte mittels Soja, Tofu oder Seitan so nachzubasteln, dass selbst Carnivoren, also Fleischfresser, dankbar sagen: "Schmeckt ja fast wie das Original!"

Das aber ist Christoph Mezgers Sache ganz und gar nicht: "Es ist doch viel schöner, aus einem pflanzlichen Produkt das rauszuholen, was in ihm steckt, anstatt etwas zu imitieren." Und da lerne er beinahe jedes Mal wieder etwas Neues, sagt er, trotz seiner Ausbildung. Am vermeintlich einfachen Gemüse lässt sich immer wieder etwas entdecken, und deshalb nimmt er sich mit seinem Team viel Zeit, ein Gericht zu entwickeln, bis es auf die Karte kommt.

Davon hat der Gast eine ganze Menge an Genuss, und selbst hartgesottene Fleischesser vermissen nichts - was sonst beim Vegetarier ja leicht einmal vorkommt. Da hat man dann zum Beispiel eine vermeintlich unscheinbare Rübe auf dem Teller, knapp bissfest gegart, gerahmt von feinen Urkarottestücken, Rote-Bete-Schaum und einer Schnittlauchcreme. Auch optisch ist das ein Erlebnis, umso mehr noch auf dem Gaumen. Das Spiel mit Aromen beherrscht Mezger aus dem Effeff, und in seiner Küche kommen sie besonders gut zur Geltung, weil sie ja nicht vom Fleisch übertönt werden.

Besonderen Spaß macht es ihm, Überraschendes mit scheinbar banalen Produkten auf den Tisch zu bringen. Mit einer tropischen Yamswurzel ist leicht Eindruck schinden, mit einer Steckrübe ist das zwar schwieriger, dafür aber auch sehr effektvoll. Und obendrein ist es noch regional, und mit Erzeugern aus der Umgebung arbeitet Mezger ohnehin gern zusammen. Da hat er schon eine ganze Reihe an der Hand, den Viktualienmarkt vor der Haustür braucht er dazu nicht. Über den geht er trotzdem von Zeit zu Zeit, zur Inspiration: "Das ist mein Spielplatz, sag' ich immer."

Und wo soll es nun hingehen, nach den ersten Erfolgen? Mezger gibt sich erst einmal bescheiden: "Am wichtigsten ist, dass dieses Restaurant hier gut funktioniert." Erst wenn man einwendet, dass das ja wohl schon der Fall sei, gibt er zu: "Natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde, ich will die nächste Stufe nicht erreichen." Schließlich habe er ja nicht umsonst in der Sterneküche gelernt, und als Koch strebe man eben nach Höherem: "Den einen oder anderen Punkt im Gault & Millau möchte ich zu den 14 schon noch draufpacken. Und vielleicht noch einen Michelin-Stern dazu."

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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