Süddeutsche Zeitung

Eröffnungsvortrag der Opernfestspiele:Zorn - Europas erstes Wort

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Wie jedes Jahr wird der Eröffnungsvortrag der Opernfestspiele München von einer bekannten Persönlichkeit gehalten. Diesmal hat Jutta Limbach über Zorn gesprochen.

Wie jedes Jahr wird der Eröffnungsvortrag der Opernfestspiele München 2010 von einer bedeutenden Persönlichkeit der öffentlichen Lebens gehalten. Dieses Jahr war die Vortragende die Rechtswissenschaftlerin und Politikerin Jutta Limbach, die von 1994 bis 2002 als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes fungierte, und von 2002 bis 2008 als Präsidentin des Goethe-Instituts. Der folgende Text ist der Vortrag, den sie am Dienstag hielt.

Mein Thema ist der Zorn. Wer denkt bei diesem Wort nicht prompt an den Auftakt der Ilias. "Den Zorn des Achill" möge die Göttin besingen. So ruft Homer in der ersten Zeile der Ilias Pallas Athene an. Gewiss, er - Homer - will erzählen. Doch gemäß einem alten Sängerbrauch gibt er sich bescheiden.

Er stellt es so dar, als leihe er der Göttin seine Stimme, als sei er nur ein Medium ihrer Erzählkunst. Für Sloterdijk ist es der Zorn, mit dem im alten Westen alles anfing. In seinem 2008 veröffentlichten Buch "Zorn und Zeit" bezeichnet er den Zorn als Europas erstes Wort. Der Philosoph mag sich auf diese Weise sein Thema, seinen Gegenstand der Reflexion zuspitzen. Unbestritten ist die Ilias das erste große Werk der europäischen Kultur.

So kommt es auch nicht von ungefähr, dass ein Krieg, der Kampf um Troja, im Mittelpunkt der Erzählung steht. Diese handelt von Zorn und Wut, von Gewalt und Grausamkeit, von List und Tücke. Zorn plagt nicht nur den von einem schnell erregbaren Temperament gebeutelten Achill. Auch Agamemnon, seinem Widerpart im Streit um den Vorrang im griechischen Heer, steigt gern die Zornesröte ins Gesicht. Auch berichtet die Ilias von so mancher Raserei anderer Kampfgefährten. Man gerät eben schnell in Wallung im Streit um die Beute, zuweilen in Gestalt schöner Frauen. Die beleidigte Ehre, das geschändete Ansehen und der vorenthaltene Respekt erweisen sich als konfliktträchtige Motive männlicher Eitelkeit.

Zwar kennt die Ilias auch zürnende Göttinnen, die - wie Athene den aufgebrachten Achill - zu Selbstdisziplin mahnen. Doch zornige Frauen kommen in dem Epos nicht vor. Vorzugsweise die Trauer beherrscht ihr Gemüt. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Zorn in der altüberlieferten Geschichte dem männlichen Geschlecht vorbehalten gewesen sei. Wir kennen aus den griechischen und germanischen Sagen auch zornige Frauen, die wie Medea oder Kriemhild vor Mordtaten nicht zurückschreckten. An diesen Frauen lässt sich beispielhaft erkennen, dass der Zorn, wenn er sich mit Rachsucht oder Verzweiflung paart, selbstzerstörend wirkt.

Der Zorn und die Wut

Überhaupt plage der Zorn, so wird immer wieder gern behauptet, vor allem das weibliche Geschlecht. So beschreibt Francis Bacon den Zorn als eine Charakterschwäche, die sich am besten aus der "Haltlosigkeit" derjenigen erkennen lasse, die er beherrsche: "Kinder, Weiber, Greise, Kranke". Und schon Seneca, einer der großen Philosophen des alten Roms, betrachtete in seinem Buch "De ira" diesen Gemütszustand als "eine Störung" bei Frauen und kleinen Kindern. Wohl komme diese auch bei Männern vor, so muss er konzedieren. Doch finde man eben auch bei diesen kindische und weibische Anlagen.

Die Sagengestalt der Medea, die sich bis zum heutigen Tag auf dem Theater und in der Oper einer großen Popularität erfreut, erscheint auf dem ersten Blick als das probate Beispiel. Medea ist das Urbild einer leidenschaftlichen Frau, deren gnadenlose Rachsucht das Publikum noch immer erschauern lässt. Eine Bombenrolle fürwahr. So Reinhard J. Brembeck in seiner Rezension der Opern-Aufführung "Medea in Corinto" in der Bayerischen Staatsoper. Nadja Michael, so lesen wir, singe die Medea in ihrem Furor, wutkochend, schonungslos - auch gegen sich selbst.

Wann sprechen wir eigentlich von Zorn und wann von Wut? Sind beide Wörter gleichbedeutend, so dass man sie ohne Missverständnis wahlweise benutzen kann? Ich meine: nein. Die alten Lateiner gebrauchten gemeinhin allein das Wort "ira". So auch Seneca. Die Art, wie er die von ihm missbilligte Regung als etwas Zügelloses und Unbezähmbares charakterisiert, lässt eher an das Wort Wut denken. Seine Übersetzerin hat denn auch den Titel "De ira" in der Reclam-Ausgabe treffend mit "Über die Wut" übersetzt und konsequent diese Wortwahl im Text beibehalten.

"Ira" wird im Lexikon der lateinischen Sprache mit "Zorn, Empörung, Wut" übersetzt. Auch die deutsche Sprache kennt Wörter mit einer mehrfachen Bedeutung und man muss den Kontext verstehen, um den gemeinten Sinn zu entschlüsseln. Denken wir an ...

Wenn auch eine gewisse Verwandtschaft zwischen Zorn und Wut nicht zu leugnen ist, so handelt es sich doch nicht um Synonyma, die einander ersetzen könnten. Diese Einsicht wird durch die verbreitete Neigung erschwert, den Begriff Zorn eher durch seine Abarten - wie Jähzorn und Wut - zu definieren als durch seine Eigenart. Schon der Wutanfall macht deutlich, dass die Wut noch weiter von der Vernunft entfernt ist als der Zorn. Und laut dem Brockhaus Psychologie unterscheidet der Gehalt an rationalen oder normativen Komponenten den Zorn von der Wut. (2. Aufl. 2009, S. 699).

Ein Tier, ein Sturm kann wüten, gewiss auch ein Rasender, aber zürnen kann nur ein Mensch, von Gott ganz zu schweigen. Zwar können sowohl Zorn als auch Wut eine Antwort auf eine Enttäuschung oder eine Ungerechtigkeit sein. Doch ist sie beim Zorn mit Ernst und Nachdenklichkeit gepaart. Die Wut ist der Zorn der Hilflosen, so lesen wir bei Jürgen Werner, der unter den von mir zu Rate gezogenen Autoren einer der wenigen ist, die sorgfältig zwischen Zorn und Wut unterscheiden. Die Wut besitzt laut ihm kein Ziel, sie schlage deshalb blindwütig um sich, sei maßlos und kreise nur um sich selbst. (S. 56)

Zorn als positive Antriebskraft

Ich bin auf der Suche nach einem Zorn, der den Anfechtungen der Maßlosigkeit, der Ziellosigkeit und der Ichbezogenheit widersteht. Die Gratwanderung zwischen Zorn und Wut ist trotz dieser Wegmarken ein schwieriges Unterfangen, weil, was sich analytisch trennen lässt, in der Wirklichkeit in Grauzonen ineinander übergeht. Das gilt umso mehr, als der Zorn trotz seines Bezugs zur Vernunft auch mit Erregung und Aggressivität verbunden sein kann.

Mein Wunsch, dem Zorn auch etwas Positives abzugewinnen, mag angesichts der Tatsache verwegen erscheinen, dass der Zorn neben der Wollust, dem Neid, Geiz und Hochmut sowie der Völlerei und Trägheit zu den sieben Todsünden gezählt wird. Die Todsünden sollen - niemand weiß genau zu sagen, wann im Laufe der Jahrhunderte - aus den Lasterkatalogen des Paulus herausdestilliert worden sein. Im Mittelalter bis zur Neuzeit haben die sieben Todsünden die künstlerische Phantasie angeregt. Man denke nur an

Der Medea gleich beschäftigen uns bis auf den heutigen Tag die Todsünden oder die Hauptlaster. Sind doch die Menschen über die Jahrhunderte um keinen Deut besser geworden. Nicht nur, weil Medea so eindrucksvoll rast und tobt, fasziniert uns noch heute diese tragische Frauengestalt. Auch heute töten, wenn auch selten, Eltern beiderlei Geschlechts die gemeinsamen Kinder, um den sich trennenden Partner aufs Tiefste zu demütigen und dort zu treffen, wo er am verletztlichsten ist. Wir erklären uns dieses unmenschliche Verbrechen häufig mit einer Depression, sprich mit einer Geistes- oder Gemütskrankheit. Vor dem Hintergrund des Mythos und orientiert an den Problemen wie den Erkenntnissen der Gegenwart versuchen wir, der vielschichtigen Wirklichkeit dieses Verbrechens auf die Spur zu kommen.

Schlicht einen Mangel an Vernunft zu konstatieren, reicht uns heute nicht mehr aus. Laut modernen Interpretationen des Sagenstoffs scheitert Medea, weil sie eine Frau ist, sie scheitert vor allem, weil sie eine Ausländerin ist. So Aribert Reimann zu seiner in der Wiener Staatsoper in diesem Frühjahr uraufgeführten Oper Medea. Ihre Fremdheit macht sie einsam. Dass Integration eine wechselseitige Anstrengung voraussetzt, war im alten Griechenland noch weniger bekannt als in unserer Zeit.

Zorn als Todsünde oder Laster

Bücher über die Todsünden und Lasterkataloge haben heutzutage Konjunktur. Die inkriminierten Laster werden immer zahlreicher. "Das Buch der Laster" von Wolfgang Sofsky nennt noch die Gleichgültigkeit und Vulgarität, das Selbstmitleid und die Unterwürfigkeit, um nur einige der jüngsten Zutaten zu erwähnen. Man könnte ja stattdessen Tugendbücher verfassen, und dartun, welche Charaktereigenschaften den vollkommenen und mündigen Staatsbürger von heute auszeichnen sollten. Aber es schreibt sich einfach unterhaltsamer/ausrucksvoller über Todsünden und Laster. Ein kleine Lesefrucht aus dem Buch der Laster, mit dem das Kapitel "Zorn" eingeleitet wird, mag das illustrieren:

"Grimm fasst ihn und zerreißt ihm die Brust. Teigige Blässe überzieht sein Gesicht, die Hand ballt sich zur Faust, finster starrt er dem Widersacher entgegen. Auf einmal ist jede Müdigkeit verflogen. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, ein scharfer Zug nagt an den Lippen. Es ist, als springe das Gesicht zum Angriff nach vorn. Jeder Nervenstrang ist gespannt, kurze Atemstöße fahren aus der Lunge, Schweiß überzieht die Stirn. Untrüglich sind die Zeichen des Zorns. Ein jeder kennt sie, und jeder fürchtet sie. Der Körper kocht. Ohne Zustimmung des Geistes bricht der Zorn los. Er kennt kein Vergeben, keine Versöhnung. Sein Schrei zerfetzt jeden anderen Laut. Zerstörung ist sein einziges Ziel, Vernichtung seine wahre Erfüllung. (S. 221)

Verfassen Sie einmal einen gleichermaßen starken/expressiven Text zur Sanftmut!

Was bei den ohne Zweifel lesenswerten Texten zur den Todsünden und Lastern auffällt, ist, wie fließend die Übergänge zwischen Zorn und Wut selbst bei jenen Autoren sind, die zwischen beiden Phänomenen unterscheiden. Besser spräche man in all diesen Texten - wie die Übersetzerin des Seneca-Buches "De ira" von Wut statt von Zorn. Jedenfalls dann, wenn man sich solcher Zerrbilder bedient, die das Gesicht des Zornigen zur grimmigen Fratze entstellen.

Mit Zorn und Zärtlichkeit

Wer dem Zorn eine positive Lesart im Sinne einer Kraftquelle abgewinnen will, ist nicht notwendig religiös unmusikalisch. Diese ermutigende Einsicht wurde mir auf dem Rückweg von einem Theaterbesuch auf einer Berliner U-Bahn-Station zuteil. Auf einem großen Plakat von Misereor, das eine - fast unmerklich lächelnde - schwarze Frau mit einer Traglast auf dem erhobenen Haupt zeigte, las ich die Losung:

"Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen."

Misereor will mit den Gegensätzen "Zorn" und "Zärtlichkeit" das Spannungsfeld beschreiben, in dem sich die Arbeit des Entwicklungswerks bewegt. Stehe auf der einen Seite der Zorn über die ungerechten Verhältnisse, so stehe auf der anderen das Mitgefühl mit dem Nächsten. Hier sollen aber nicht gegensätzliche Gefühle mobilisiert werden. Die zornige Einsicht in die Not des Schwarzen Kontinents soll die Nächstenliebe rational beflügeln. Auf den Spuren der Erkenntnis von Gregor dem Großen, dass sich die Vernunft mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellt, "wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht".

Zornig werden, heißt, beteiligt sein. So hat es John Osborne im Vorwort zu seinem Theaterstück "Blick zurück im Zorn" treffend gesagt (S. 6). Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit können wir Europa uns schon deswegen nicht gestatten, weil wir an der afrikanischen Misere nicht unschuldig sind.

Auch können wir nicht über ein Menschenrecht auf Nahrung und Obdach räsonieren, wenn wir nicht die Menschen Afrikas tatkräftig darin unterstützen, ihre Lebensgrundlagen eigenständig zu erarbeiten.

Bei Misereor hat man offenbar Thomas von Aquin und Josef Pieper, den Ghostwriter des Papstes, gelesen. Beide verwahren sich dagegen, dass der Zorn gern als ein Beispiel für Maßlosigkeit herhalten muss, wenn es darum geht, die vierte Kardinaltugend, die temperantia, durch negative Verhaltensweisen zu veranschaulichen. Der Heilige Thomas, bekanntermaßen ein sinnesfreudiger Mann, verwahrte sich gegen das - nicht nur unter Christen - gepflegte Vorurteil, dass alles Zürnen böse sei.

Zwar tadelt auch er den maßlosen, den unbeherrschten Zorn, schon wegen seiner zerstörerischen Kraft als Untugend. Andererseits zählt er den Zorn zu den Urkräften des menschlichen Wesens. Sanftmut, die dem Zorn gern entgegen gestellt wird, bewirke nur, dass der zürnende Mensch seiner selbst mächtig bleibe. Sanftmut zivilisiere den Zorn, aber schwäche ihn nicht ab. Denn, so Thomas von Aquin, jene "blassgesichtige Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, soll doch niemand für eine christliche Tugend halten"!

Der Volkszorn

Die Zwiespältigkeit des Zorns, wird besonders deutlich, wenn wir ihn bei einer politischen Gruppe betrachten. Die Zwiespältigkeit zielt auf das Spannungsverhältnis zwischen beherzter Anteilnahme und der Gefahr des maßlosen Handelns. Wenn der Zorn eine größere Gruppe der Bevölkerung bewegt, sprechen wir gern von Volkszorn. Dieser beschäftigt uns spätestens seit der Französischen Revolution und bis auf den heutigen Tag. Die Geschichte lehrt, dass die Gefahr des Umschlags in die Irrationalität bei der Empörung des Volkes besonders groß ist. Totalitäre Regime haben gern den Volkszorn gesät und instrumentalisiert, um Verbrechen zu legitimieren.

Die "kochende Volksseele" musste herhalten, um die "Schutzhaft" von politischen Gegnern, d.h. deren Verschleppung in Gestapo-Keller und Konzentrationslager zu rechtfertigen. Nicht ohne Grund hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die "Erregung der Bevölkerung", die es unerträglich finde, wenn ein "Mörder" frei herumlaufe, die Verhaftung eines Beschuldigten nicht zu rechtfertigen vermag. Nicht nur die Juristen wissen, dass Untaten auch heute noch den Volkszorn entflammen können.

Aber es gibt auch Gegenbeispiele, in denen das Volk für das Gute entflammt ist. Getreu der Einsicht von Raymond Aaron, dass die Diktatur den Beifall, aber die Demokratie die Kritik organisiert. Da ist zum einen an den von Greenpeace und anderen Institutionen erfolgreich angestiftete Boykott des Shell-Konzerns zu erinnern. Dieser wollte bekanntlich den ausgedienten Öltank Brent Spar im Meer versenken. Auch die politischen Eliten schlossen sich dem Boykott an. Die Umsätze von Shell brauchen um die Hälfte ein. Der sich im Kaufboykott materialisierende Volkszorn war schließlich von Erfolg gekrönt. Shell lernte.

Aus der jüngsten Zeit seien zum anderen die kollektiven Proteste gegen die Sparkonzepte der europäischen Regierungen und gegen die israelische Militär-Aktion erwähnt, mit der die "Gaza-Solidaritätsflotte" gestoppt worden war.

Die möglichen Gegenstände der allgemeinen Empörung sind vielfältig und vielschichtig. Sie können aus eigener Betroffenheit resultieren. Sie können aber auch eine Ungerechtigkeit gegenüber einer gesellschaftlichen Minderheit zum Gegenstand haben. Gegen die erzürnte Reaktion politischer Gruppen auf ein politisches Tun oder Lassen ist in einer Demokratie nichts einzuwenden. Auch eine die Allgemeinheit betreffende Aktion eines Wirtschaftsunternehmens muss sich Kritik gefallen lassen. Sind doch gegenwärtig nicht nur die Politiker, sondern auch die Banker und Finanzmanager ein bevorzugtes Ziel des Volkszorns. Widerspruchsgeist und Wehrbereitschaft sind eine demokratische Tugend. Kritikverträglichkeit ist das Mindeste, was die politischen und wirtschaftlichen Eliten eines demokratischen Gemeinwesens aushalten müssen.

Zum respektablen Zorn gehört "die Erkenntnis und Anerkenntnis einer Rechtssphäre", so treffend Jürgen Werner (S. 62). Gewalttätigkeiten - wie die Verletzung von Polizisten durch Splitterbomben während der Berliner Demonstration gegen das Sparkonzept der schwarz-gelben Koalition - diskreditieren den öffentlichen Protest. Leider ist noch kein Verfahren entwickelt worden, mit dem gewaltbereite Kleingruppen in einem Aufmarsch isoliert der können. Weniger schärfere Strafen als vielmehr bürgerliche Wachsamkeit und Abwehr jener destruktiven Kräfte verspricht Abhilfe. Das war das Großartige an den Montagsdemonstrationen des Herbstes 1989, dass in diesen das Gebot der Friedfertigkeit bis zum Ende der Diktatur hochgehalten worden ist.

Die Zukunft den Sanftmütigen?

Einer der Kandidaten, die sich um das Amt des Bundespräsidenten bewerben, hat prophezeit, dass die Zukunft den Sanftmütigen gehöre. Hier scheint der Wunsch Vater des Gedankens zu sein. Die Verschiedenheit der Menschen und die Gegensätzlichkeit ihrer Interessen werden auch künftig Konflikte zur Folge haben. Die Dramatik des Zorns wird nicht auf die Bühne verbannt werden, sondern auch künftig in der Gesellschaft und der Politik eine Rolle spielen. Gewiss, der Zorn kann Gutes und Übles bewirken. Handelt es sich doch um einen zwiespältigen Gemütszustand. Leicht geneigt, sich ins Maßlose zu steigern, entfaltet der Zorn zerstörerische Kräfte. Moderiert durch die Vernunft und bürgerschaftlich organisiert kann der Zorn zu einer Kraftquelle werden, die die Gesellschaft und Politik verändert. Der kollektive Zorn gibt dem Volk eine Stimme.

Auch wenn in der Demokratie jeder Einzelne zählt, sind die Bürger und Bürgerinnen doch nur gemeinsam stark. Die Antriebskraft des Zorns verdient jedoch nur dann Respekt, wenn sie mit dem Verzicht auf Gewalt verbunden ist.

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