Eröffnung Eggleston-Ausstellung:Der demokratische Blick

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Subtile Motive des Banalen: Das Haus der Kunst in München zeigt die furiose Werkschau des Fotografen William Eggleston.

Andrian Kreye

William Eggleston sitzt im Ostflügel des Münchner Hauses der Kunst in der Gold Bar und raucht eine Zigarette. Er balanciert sie waagrecht zwischen Zeigefingerkuppe und Mittelfinger, was dem inzwischen so vulgären Vorgang des Rauchens einen Hauch von förmlicher Eleganz verleiht.

William Eggleston bei der Eröffnung seiner Ausstellung im Haus der Kunst. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Form ist Eggleston wichtig, vielleicht sogar das Wichtigste. Das erklärt sich von selbst, schließlich ist der 69-Jährige der konsequenteste Formalist in der Geschichte der Fotografie.

Gleich wird er noch einmal die Ausstellungsräume abschreiten. Im November war sie schon im New Yorker Whitney Museum zu sehen. Egglestons Sohn Winston sagt: "Hier gefällt sie uns viel besser." Winston ist der wichtigste Mitarbeiter seines Vaters. Daheim in Memphis fährt er ihn auf Motivsuche durch die Stadt, verwaltet Archiv und Stiftung.

Hier in München kann sich die Erzählstruktur der Ausstellung in der Flucht des Hauses der Kunst viel besser entwickeln als in der Quadratur der Whitney-Galerien. "Democratic Camera" heißt die Ausstellung und sie ist eine der besten Fotografieschauen, die man hier wie dort gesehen hat.

Abrücken vom Zeitgeist

Die Ausstellung ist chronologisch. Sie erzählt von der Entwicklung eines Blickes, den Eggleston selbst einmal so beschrieben hat: "Ich hatte diese Vorstellung von dem, was ich den demokratischen Blick nannte: Dass nichts wichtiger oder unwichtiger sei als etwas anderes."

Das beginnt schon mit den Schwarzweißarbeiten aus den sechziger Jahren, als sich Eggleston noch an seinem Vorbild orientierte, an Henri Cartier-Bresson und dessen Monographie "The decisive Moment".

Schon in diesen frühen Bildern rückt Eggleston vom damaligen Zeitgeist der Fotografie ab. Cartier-Bressons Idee vom entscheidenden Augenblick, die Egglestons Zeitgenossen wie Garry Winogrand oder Larry Clark geprägt hat, verschwindet zunehmend in den Hintergrund. Eggleston fotografiert Zustände, die andauern.

Dann entdeckt er die Farbfotografie, die damals noch ein reines Medium der Werbung und der Unterhaltung ist. In den Bildern aus der epochalen und umstrittenen Debüt-Ausstellung "William Eggleston's Guide", die das Museum of Modern Art 1976 ausrichtete, sieht man, wie sich Egglestons Blick zunehmend auf die Details des Alltags fokussiert.

Die Inhalte werden immer unwichtiger. Farbe, Form und Komposition sind es, die Egglestons vermeintliche Schnappschüsse zu Kunstwerken machen, welche die Modernität der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft auf ihre Essenz reduzieren.

William Eggleston im Haus der Kunst
:Der Zauber des Banalen

Supermärkte, Tankstellen und grüne Wiesen: Der Fotograf William Eggleston schafft aus Alltagsszenen wegbereitende Kunst, wie die Ausstellung "Democratic Camera" im Haus der Kunst zeigt.

Die Überhöhung des Subtilen

Sicher findet man auch in Egglestons Bildern die sozialkritische Ironie seiner Zeitgenossen. Doch nur selten kommentiert Eggleston direkt, wenn er etwa in seinem Essay über Jimmy Carters Heimatort Plains in Georgia eine Veranda aus einem Blickwinkel fotografiert, der unter dem Schaukelstuhlidyll den rotbraunen Lehm zeigt; wenn er im Essay "The Democratic Forest" seinen damals noch jungen Sohn Winston fotografiert, der in einer Illustrierten die Werbung für eine Pistole betrachtet.

Es sind die subtilen Motive des Banalen, wie das Beil auf einem Barbecue-Grill, das verlorene Dreirad in einer tristen Suburbiastraße, in denen sich das Leitmotiv seiner Arbeit manifestiert. Er vergrößert Bilder mit dem "Dye Transfer"-Verfahren, in dem man die Farben manipulieren und verstärken kann. Und weil sich Eggleston zunehmend weniger auf Vorbilder bezieht und stattdessen eine neue Bildsprache prägt, findet man die Bezüge auch eher in der Literatur und der Musik als in der Fotografie.

"Southern Gothic" nannte man die Literatur, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Süden entstand. Und die Mischung aus Skurrilem und Bedrohlichem aus den Büchern von William Faulkner, Tennessee Williams und später noch bei Cormac McCarthy erklärt Egglestons Wirkung am besten.

Die Überhöhung des Subtilen in einer perfekten Form gelangt bei Eggleston zu einem Höhepunkt, was wiederum ganze Generationen Fotografen und Filmemacher wie Wolfgang Tillmans und Martin Fengel, David Lynch und Sofia Coppola geprägt hat.

Immer spärlicher wird die Auswahl gegen Ende der Ausstellung. Ein paar Bilder aus der Serie, die 1986 am Rande der Dreharbeiten zu David Byrnes Film "True Stories" entstand. Ein Essay aus Kyoto von 2001.

In einem Bild aus Berlin von 2000 kann man Egglestons präzisen Blick noch einmal aus deutscher Sicht nachvollziehen - da ist der Unterleib einer Schaufensterpuppe zu sehen, die knallgelbe Hot Pants und eine Art Plastikharnisch trägt, jene Mischung aus aggressiver Erotik und Techno-Moderne, welche die Massenkultur in Deutschland bestimmen.

Stoisches Lächeln dank Wodka

Im letzten Raum der Ausstellung stehen vier Monitore. "Stranded in Canton" kann man dort sehen, eine Collage aus den Videoaufnahmen, mit denen Eggleston 1973 und 1974 experimentierte. Es sind grobe Schwarzweißbilder, gedreht mit einer unruhigen Kamera, nächtliche Szenen aus den Subkulturen von Memphis und New Orleans.

Es sind laute, gewalttätige Szenen, die noch einmal kurz aufflackern lassen, was hinter der majestätischen Ruhe in Egglestons Arbeit doch lauert. Es ist das Dokument eines Gehetzten, der sich die innere Ruhe, die er selbst und seine Bilder ausstrahlen, ein Leben lang erkämpfen musste.

Als sich Eggleston in der Gold Bar vom Tisch erhebt, als ihn ein Kamerateam auf dem Weg in die Galerien verfolgt und eine kleine Entourage, die sich an diesem Nachmittag um ihn gesammelt hat, lässt er sich kaum anmerken, ob ihn der Rummel um seinen Person freut oder stört. Viele Gläser Wodka hat er an diesem Nachmittag schon getrunken. Er lächelt stoisch, schweigt, schaut.

Vorhin ist eine Journalistin am Interview mit ihm verzweifelt, so einsilbig hat er geantwortet, so scheinbar desinteressiert. Und da findet sich der musikalische Kern in seiner Arbeit, der gleiche wortkarge Genius, der Miles Davis oder Jascha Heifetz auszeichnete. Die eigentliche Größe solcher Arbeiten liegt darin, dass sich ihre Qualität letztlich nicht in Worte fassen lässt.

"William Eggleston - Democratic Camera" im Haus der Kunst München bis 17. Mai, Info: www.hausderkunst.de; Katalog bei Yale University Press, 320 Seiten, 45,70 Euro.

© SZ vom 20.02.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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