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Lesenswert: Ein Poet mit großem Charisma: Ernst Augustin (1927 - 2019).

Ein Poet mit großem Charisma: Ernst Augustin (1927 - 2019).

(Foto: Regina Schmeken/SZ Photo)

Ein neuer Sammelband, herausgegeben von Lutz Hagestedt, erinnert an den großartigen Münchner Schriftsteller Ernst Augustin.

Von Sabine Reithmaier

Beinahe wäre Ernst Augustin berühmt geworden. Damals, 1966, bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton, als er einen Romanauszug las. "Man redete viel und lobend von ihm." Allerdings meldete sich am selben Tag "ein Kärntner Jungspund mit Beatles-Frisur zu Wort, beschimpfte die versammelte Autorenriege - und keiner beachtete mehr Ernst Augustin." Sondern Peter Handke. Mit dieser feinen Anekdote leitet Ulrich Rüdenauer seinen Nachruf auf den Münchner Sprachmagier ein. Ursprünglich in der taz erschienen, ist er nun nachzulesen in dem Sammelband, den Lutz Hagestedt dem Schriftsteller, der 2019 im Alter von 92 Jahren starb, gewidmet hat.

Der Literaturwissenschaftler, 2013 von Augustin zu dessen "Max Brod" erklärt, hat in diesem Erinnerungsbuch Reden, Würdigungen, Porträts, Essays, Interviews, Reportagen gesammelt. Sie erzählen von einem grandiosen Poeten und einem bezaubernden, heiteren Menschen. Für Freunde des Autors ist das Buch fast ein Muss, es eignet sich aber auch gut für diejenigen, die ihn erst näher kennenlernen wollen. Denn Hagestedt hat zwischen die Erinnerungen der Freunde immer wieder kleine, hinreißende Texte von Augustin gestreut. Der übrigens sein Erlebnis mit der Gruppe 47 in einem Gespräch mit Uwe Wittstock noch drastischer schildert: Nach dem Handke-Auftritt " war ich völlig abgemeldet. Ich existierte nicht mehr". Zeitlebens blieb er der "ewige Geheimtipp".

Unter anderem war er Chef eines Krankenhauses in Afghanistan

Das Leben des Münchner Schriftstellers, 1927 in Hirschberg im Riesengebirge geboren, abenteuerlich zu nennen, ist fast noch eine Untertreibung. Obwohl er eigentlich Architekt werden wollte, studierte er Medizin, arbeitete als Unfallchirurg und Psychiater, war unter anderem Chef eines Krankenhauses in Afghanistan. "In meinen Träumen liegt es immer im Regen ... Obwohl es in Afghanistan nie geregnet hat, soweit ich mich erinnere, höchstens im Winter, und dann war es unheimlich still im Land, beides, still und unheimlich, ohne einen Menschen auf hundert Kilometer ... Und trotzdem, abgemagert vor Angst und dünn vor Verantwortung bin ich auf seltsam ferne Art glücklich gewesen", erinnert sich Augustin. Später landete er in München und schrieb grandiose Romane, von "Gutes Geld" bis zu "Das Monster von Neuhausen", ein Protokoll seiner eigenen Erblindung durch eine missglückte Operation. Doch seine Neugier auf Ungewohntes, auf andere Länder ließ ihn reisen, ob nach Afrika, Indien, Pakistan, Russland oder China. Und natürlich auch nach Leipzig.

Harald Eggenbrecht erinnert in "Magische Augenblicke" an eine Zugfahrt dorthin mit Sten Nadolny und Augustin. Der Speisewagen war voll besetzt, jedenfalls solange bis die beiden Schriftsteller begannen, sich das Warten auf einen Sitzplatz mit einem lautstarken bayerischen Sprachkurs vertreiben. Die "unartikulierten Dumpf- und Stumpflaute" oder das kräftige Gurgeln bewog die anderen Gäste bald zum Aufbruch. Tilman Spreckelsen dagegen zitiert Augustins Antworten auf Fragen in der FAZ. Welchen Lebenstraum er aufgegeben habe? "Ich habe viele Leben gelebt und keinen einzigen Traum aufgegeben", antwortete Augustin, "ich bin zu beneiden." Und nach dem Tod? "Wache ich in einem neuen Traum auf."

Lutz Hagestedt (Hrsg.): Ich habe keinen einzigen Traum aufgegeben. Ernst Augustin zum Gedächtnis, C.H.Beck 2022, Preis: 25 Euro

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