Erna Schmidt-Caroll:Fasziniert vom Großstadtleben

Erna Schmidt-Caroll: Geisterhaft flüchtige Nahaufnahmen aus dem Berlin der Fünfzigerjahre: Erna Schmidt-Carolls Reisende.

Geisterhaft flüchtige Nahaufnahmen aus dem Berlin der Fünfzigerjahre: Erna Schmidt-Carolls Reisende.

(Foto: Nachlass Erna Schmidt-Caroll)

Ihre Figuren wirken wie zufällig an einen Ort gespühlt. Die Künstlerin Erna Schmidt-Caroll malte das Berliner der Fünfzigerjahre. Das Kallmann-Museum in Ismaning zeigt nun eine Retrospektive.

Von Yvonne Poppek

Fast schon am Ende der Ausstellung gibt es sie doch, die Nähe. Die Frauen und Männer sind einander zugewandt, sie unterhalten sich, sogar ein angedeutetes Lächeln ist zu sehen. Doch diese Nähe ist eine zerbrechliche. Die hellen Striche, mit denen die Hände, Kleidung, manchmal auch die Gesichter konturiert sind, verleihen den Figuren von Erna Schmidt-Caroll etwas Geisterhaftes, als hätte sie ein flüchtiges Dasein nur zufällig an einen Ort gespült und fasste man sie an, würden sie sich augenblicklich auflösen.

Es sind ebenso großartige wie traurige Nahaufnahmen, die die 1896 in Berlin geborne Künstlerin vom Großstadtleben in den Fünfzigerjahren in Mischtechnik gemalt hat. Menschen in der Hotel-Lobby, im Zug, in einer Bar. Die Bilder sind Teil einer spannenden Retrospektive, die derzeit im Kallmann-Museum in Ismaning zu sehen ist.

Die Ausstellung führt durch die unterschiedlichen Schaffensphasen der Malerin, Modezeichnerin, Illustratorin und Lehrerin: von den Zeichnungen einer höchst talentierten Sechsjährigen über die skizzenhaften Werke aus dem Berlin der Zwanzigerjahre über die farbigen, schillernden Szenen aus Tanz und Varieté bis hin zu den düsteren Landschafts- und Kinderbildern, die in der Nazizeit entstanden sind, und schließlich ihre stillen, ins Transitorische weisenden Arbeiten nach dem Krieg.

Erna Schmidt-Carolls Talent, sich künstlerisch der Welt zu nähern, wird früh sichtbar. Im Alter von 18 Jahren beginnt sie, Kunst zu studieren. Mit knapp 26 Jahren übernimmt sie selbst eine Lehrtätigkeit, sie arbeitet für Journale und ist freischaffende Künstlerin. Wie viele Künstler ihrer Generation trifft sie die Machtübernahme der Nationalsozialisten unmittelbar, nach dem Krieg bis zu ihrem Tod 1964 wird sie an ihre früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen können.

Dennoch: Erna Schmidt-Caroll ist von Beginn an als eine moderne Frau zu begreifen, die ihre Umgebung scharf beobachtet und die Menschen darin typisiert. Fasziniert vom Großstadtleben, von Mode und Tanz widmet sich die junge Künstlerin diesen Themen, um dabei stets auf die Schattenseiten zu verweisen: Kommunikationslosigkeit etwa, Einsamkeit, Auflösung des Individuums.

Geprägt von Diktatur und Krieg wird ihr Blick darauf später umso schärfer. Überraschender Weise wird dann menschliche Nähe möglich, aber sie bleibt, hauchzart und flüchtig gemalt, letztlich nur eine Hoffnung.

Erna Schmidt-Caroll. Retrospektive, bis 9. Juli, Di. bis So. 14.30-17 Uhr, Kallmann-Museum Ismaning, Schloßstr. 3b, 089/9612948

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