Interview:Das Trauma der Diva

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Der Dirigent Kirill Petrenko und die Sopranistin Ermonela Jaho bei Proben zu Puccinis "Suor Angelica" in der Dokumentation "Fuoco Sacro". (Foto: Barnsteiner Film)

Wenn Ermonela Jaho singt, geht es um Leben und Tod. Das liegt nicht nur an den Partien der Sopranistin wie der Butterfly, die sie nun an der Bayerischen Staatsoper singt. Sie erzählt davon im Film "Fuoco Sacro" und in diesem Gespräch mit der SZ.

Von Susanne Hermanski, München

Der gebürtige Münchner Jan Schmidt-Garré hat Philosophie und Regie an der HFF studiert, bei Celibidache dirigieren gelernt und neben Dokumentarfilmen auch Opern inszeniert (zuletzt "Arabella" in Leipzig). In seinem jüngsten Werk (Produzentin ist die Münchnerin Marieke Schröder) bringt Schmidt-Garré wieder Film und Oper zusammen. In "Fuoco Sacro - Suche nach dem heiligen Feuer des Gesangs" stellt er drei Sängerinnen vor, die dieser Belcanto-Idee des überspringenden göttlichen Funkens gerecht werden: Barbara Hannigan, Asmik Grigorian und Ermonela Jaho. Sie kommen aus drei verschiedenen Kulturen - Kanada, Litauen und Albanien - und geben alles auf der Bühne. Besonders schonungslos im Umgang mit sich selbst erscheint Ermonela Jaho. Wer sie einmal als Puccinis Schwester Angelica gesehen hat, die in ihrer klösterlichen Gefangenschaft die eiskalt überbrachte Nachricht vom Tod ihres unehelichen Kindes erhält, oder als unglücklich liebende Madama Butterfly, der weiß, was das heißt. Im Publikum ein Tränenmeer.

SZ: Wann haben Sie angefangen zu singen?

Ermonela Jaho: Zuerst im Kinderchor. Sie müssen wissen, ich bin in Albanien aufgewachsen. Das Land war total isoliert. Mein Vater war beim Militär. Keine schöne Zeit.

Dennoch reifte in Ihnen der Entschluss, den Gesang zu Ihrem Beruf zu machen?

Ja, und es gab ein Musikkonservatorium in Tirana. Dort wollte ich vorsingen. Dafür brauchte ich aber auch ein Stück aus dem romantischen Repertoire, und ich hatte noch nicht die geringste Ahnung vom klassischen Repertoire. Also ging ich mit meinem ältesten Bruder zum ersten Mal in die Oper von Tirana.

Wie alt waren Sie da?

Vierzehn. Gegeben wurde die "Traviata". Ich las mir das Programm durch und dachte mir: Ok, interessant. Mal hören. Albanien war damals noch ein kommunistisches Land, müssen Sie wissen, und auch das Opernhaus war - na ja, unserem schlechten Image entsprechend.

Und dann?

Vom ersten Ton der Ouvertüre an passierte etwas mit mir. Nennen wir es mal Liebe auf den ersten Blick. Aber es war mehr als das. Die gesamte Oper über war ich wie gebannt. Am Ende sagte ich zu meinem Bruder: "Ich werde Opernsängerin. Und wenn ich diese Oper nicht wenigstens einmal in meinem Leben singen kann, dann sterbe ich."

Sie haben es geschafft.

Ja, und ich bin so stolz, das sagen zu können: Jetzt, da ich hier vor Ihnen sitze, habe ich die Traviata 300 mal auf der Bühne gesungen.

Leicht war das vermutlich trotzdem nicht.

Als das Regime zerbrach, haben die Menschen massenweise das Land verlassen. Ich war 18 Jahre alt, als ich allein nach Italien gekommen bin - mit leeren Taschen und großen Träumen. Ich habe viele Jobs gemacht. Auch als Kindermädchen und in der Altenpflege. Ich hatte ja schon eine abgeschlossene Ausbildung am Konservatorium in Tirana, trotzdem haben mich die Leute immer nur groß angesehen: Wie bitte? Du kommst aus Albanien, und Du willst was werden? Opernsängerin?

Haben Sie gelitten unter diesen Vorurteilen?

Ich fand das schrecklich. Und wie oft habe ich mir gewünscht, aus einem Land zu kommen, das auf eine solche Musiktradition zurückblicken kann wie Italien oder Deutschland. Erst viel später ist mir klar geworden, dass auch andere Länder mit ihrer Geschichte ringen, dass jedes Land dunkle Momente hat.

Warum haben Sie sich zur Zusammenarbeit mit Jan Schmidt-Garré entschlossen?

Er hat eine Sensibilität, der ich vertraut habe. Er versteht, was auf der Bühne vor sich geht, und was es braucht, um das herzustellen. Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich kaum hinsehen (hält sich die Finger vor Augen): Wie seh' ich da denn aus! Oh, Gott, was sage ich! Aber dann war mir schnell klar: Es ist gut so. In dieser Welt, in der alle den Eindruck haben, ein computergeschöntes Foto ist alles, was es braucht als Leistung und zum Glücklichsein, da ist diese Ehrlichkeit wichtig.

Ermonela Jaho nach einer Vorstellung von "La Traviata" vor dem Vorhang im Nationaltheater (Bayerische Staatsoper). Der Film "Fuoco Sacro" zeigt auch ihre Todesarie. (Foto: Barnsteiner Film)

Ein Countertenor erzählte mir mal, er hasse es, wenn ein Regisseur ihn mit nacktem Oberkörper singen lässt. Alle Welt könne dann sehen, welche Schwerstarbeit er da beim Atmen verrichte. Sie singen sozusagen mit nackter Seele. Aber soll auf der Bühne nicht immer alles ganz leicht aussehen?

Aber es ist eben nicht leicht.

Wollten Sie nie einfach nur den Glanz des Starseins auf der Bühne genießen?

Ganz ohne diese Faszination geht es vielleicht auch nicht als Sängerin. Aber der Ruhm trägt einen nicht. Zu wissen, es gibt Dir etwas zurück, etwas Essentielles, das ist viel mehr. Das sage ich auch meinen Studenten.

Im Film sieht man Sie vor, während und nach einer "Traviata"-Vorstellung in München - schwer erkältet. Warum machen Sie so etwas?

Ich bin froh, dass Jan diese Sequenzen mit in den Film genommen hat. Ich hatte richtig Fieber. Aber ich wollte es trotzdem versuchen. Vielleicht treffe ich damit einen bestimmten Punkt, dachte ich mir.

Er besucht Sie in der Garderobe, man sieht Sie auf einem Ball um Balance ringen und hört Ihre stark belegte Stimme. Auf der Bühne scheint das wie weggeweht.

Es ist ein Wunder. Wie in einer Trance. Aber natürlich steckt auch harte Arbeit dahinter. Ich versuche alles, um nicht in meiner Komfortzone zu verharren. Wenn man alles wagt, erkennt man die menschliche Seele in ihrer ganzen Schönheit. Als Sängerin fühlst Du dann die Verbindung mit dem Publikum.

Jan Schmidt-Garré nennt dieses Überspringen des Funkens "Fuoco Sacro". Ist dieses Feuer wirklich heilig, glauben Sie an Gott?

Wenn Sie so fragen - es gibt da wohl eine höhere Kraft. Die hat mich auf alle Fälle auch auf diesen Weg nach Italien begleitet.

Wenn Sie heute all diese Todesarien singen, wirken Sie im wahrsten Sinn der Welt entrückt. Schließt sich da ein Kreis? Die 14-jährige Ermonela starb nicht, dafür sterben Sie auf der Bühne wieder und wieder?

Die Traviata ist die Erfüllung eines Versprechens, das ich mir selbst gegeben habe. Ich fühle mich auch als Sängerin wie eine Überlebende. Die Oper wurde für mich zur Therapie. Diese Rolle ist für mich eine Katharsis.

Mit welchem Effekt?

Nach 28 Jahren in dieser Karriere geht es mir nicht darum, schön zu singen und drei Stunden lang in eine Geschichte einzutauchen. Für mich geht es um eine spirituelle Erfahrung. Ich weiß, ich kann schreien, ich kann pianissimo singen, ich kann Töne von mir geben, die Angst einjagen. Man muss an diese Grenzen gehen, an den Schmerz, sich damit in seinem Innersten verbinden.

Wirklich, muss man?

Ich weiß, das ist nicht sonderlich intelligent. Nicht zuletzt, weil man ja gerne hätte, dass diese Karriere noch ein bisschen andauert. Trotzdem ist das eine Notwendigkeit für meine Seele. Ich brauche diesen magischen Augenblick, ich bin süchtig danach.

Es scheint, als reißen Sie eine alte Wunde in ihrem Inneren mit jedem Auftritt wieder auf. Ist das nicht grausam mit sich selbst? Kein Therapeut dürfte so einen Umgang mit einem persönlichen Trauma empfehlen.

Sie haben recht. Ich weiß schon, dass da noch einiges schlummert, was geheilt werden muss. Aber ich lerne dazu. Deshalb mag ich auch diesen Film so sehr. Mir zeigt er, was ich bisher schon geleistet habe. Ich lerne, mich selbst etwas mehr zu lieben. Der Schmerz wird weniger. Vielleicht singe ich von morgen an ja schon Komödien.

" Fuoco Sacro", Regie: Jan Schmidt-Garré , aktuell in verschiedenen Bayerischen Kinos; Ermonela Jaho in "Madame Butterfly", 31. Mai, 3. + 5. Juni, Bayerische Staatsoper

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