Erlanger Poetenfest:Literatur in Gummistiefeln

40. erlanger poetenfest 2020

Unterm Schirm die Zuschauer, auf dem Podium Marion Poschmann, die im Skulpturengarten am Burgberg liest.

(Foto: Erlanger Poetenfest/Georg Pöhlein)

Das 40. Erlanger Poetenfest wird als nostalgische Geburtstagsausgabe in Erinnerung bleiben

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Eine Sonderausgabe des Erlanger Poetenfests war für dessen 40. Ausgabe angekündigt, ein Literaturfestival in den Zeiten der Pandemie. Eine Sonderausgabe wurde tatsächlich daraus, allerdings stand Virusschutz dabei eher nicht im Vordergrund. Das Festival wurde zur Schlacht gegen ganz andere Außeneinwirkungen.

Am letzten Festivaltag tritt der Moderator und Hörfunkjournalist Dirk Kruse in Gummistiefeln auf die Bühne. Seit 25 Jahren ist er Journalist, berichtet Kruse, seit 25 Jahren folge er dem Ratschlag eines Kollegen, im Kofferraum stets Gummistiefel bereitzuhalten - schließlich wisse man nie, was der Tag so bringe an Ungemach. Dass die Gummistiefel zum ersten Mal bei einem sonst nicht für seine Abenteuerqualität bekannten Literaturfest zum Einsatz kommen würden, hätte er sich nicht träumen lassen. Kruse sitzt, als er das sagt, in einer Waldlichtung auf dem Burgberg, vor ihm beschirmte Besucher auf Holzstühlen, die das 74-seitige Programmheft offenbar exakt gelesen haben. Vorletzte Seite, Absatz Regenfall: "Die Open-Air-Veranstaltungen finden auch bei Regen statt. Ausweichorte sind aus Infektionsschutzgründen in diesem Jahr nicht möglich." Ja dann.

Anna Katharina Hahn, die mit "Aus und davon" einen herausragenden Familienroman und einen der Texte des Jahres geschrieben hat, sitzt offenkundig bewegt neben dem Moderator. Erst die Zeit der Isolation, sagt sie. Und dann komme sie nach Erlangen und den Leuten sei's offenbar vollkommen egal, bei 14 Grad Celsius in einem Dauerwolkenbruch verharren zu müssen. Ihr Auftritt beginnt mit Applaus, der freilich nicht von den Besuchern stammt, die mit ihren Regenschirmen hinlänglich beschäftigt sind - sondern von Hahn und Kruse, gespendet für das Erlanger Publikum.

Wie das Festival zu Ende geht, so hatte es begonnen. Anna Katharina Hahn ist erstmals zu Gast in Erlangen, Nora Gomringer war schon achtmal da: "Sie haben mich aufwachsen sehen", scherzt die inzwischen wohl angesagteste Literatur-Entertainerin der Republik, "und ich bin ziemlich groß geworden". Ihre Hommage an Dorothy Parker hebt verheißungsvoll an. Nach einer halben Stunde aber hört man selbst in der zweiten Reihe nur noch jedes dritte Wort, der Regen prasselt die Parker einfach weg; der Schlamm am Boden wiederum lässt eher an Woodstock denken als an Mittelfranken. Eine Viertelstunde später bricht Festivalchef Bodo Birk ab. Ja doch, bei Regen geht's weiter, nicht aber bei Sturmflut.

Das 40. Poetenfest wird als nostalgische Geburtstagsausgabe in Erinnerung bleiben. Am Burgberg erzählt Festivalgründer Karl Manfred Fischer, wie sie eben dort, auf dem Berg, einst das Poetenfest aus der Taufe gehoben haben. In den Schlosspark durften die Poeten lange nicht, die Universität wollte das nicht. Pandemiebedingt ist man nun also zurückgekehrt auf den Berg im Wäldchen. Und weiß nun wieder, warum man fort wollte von dort: kein Regenschutz, der Hang am Aufstieg so steil, dass man Angst haben muss, es könnten am Ende nicht alle wieder heil herunterkommen.

Was noch bleibt? Ein bestens gelaunter Denis Scheck, der Hölderlin huldigt und berichtet, wie sehr ihm derselbe zu Studiumszeiten in Tübingen auf den Zeiger gegangen ist. Die Erkenntnis, dass Monika Helfer ihren Roman "Die Bagage" lesend zu einem Ereignis macht. Und Peter Stamm, der bekundet, seine frühen Erzählungen seien so übel, dass sie keiner je zu Gesicht bekommen wird. Auch das Literaturarchiv Marbach nicht? Gut, das wäre Verhandlungssache. Immerhin.

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