Oper:Beziehungsreiches Doppel

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Die Winterfestspiele in Erl eröffnen mit zwei komplett unterschiedlichen Abenden: Pietro Mascagnis "L'amico Fritz" und Adolphe Adams "Le Postillon de Lonjumeau".

Von Klaus Kalchschmid, Erl

Eine hintersinnige Komödie: "Le Postillon de Lonjumeau" ist bekannt durch das Lied des Postillons Chapelou, das Tenor Francesco Demuro wunderbar meistert. (Foto: Xiomara Bender)

Pietro Mascagnis "L'amico Fritz" von 1891 und Adolphe Adams "Le Postillon de Lonjumeau" aus dem Jahr 1836 könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch gerade deshalb ergaben sie zur Eröffnung der Winterfestspiele in Erl ein beziehungsreiches Doppel: hier die italienische Verismo-Oper, dort die spritzige französische Opéra bouffe, Zwitter aus Rossini'schem Belcanto und einer Operette Jacques Offenbachs, der freilich erst 20 Jahre später seinen "Orpheus in der Unterwelt" komponierte.

So berühmt das Lied des Postillons Chapelou mit seinem spektakulären hohen D auch ist, den Rest der hinreißenden, ungemein charmanten Opéra comique mit ihren hier geschickt zugespitzten, ebenfalls auf Französisch gesprochenen Dialogen haben selbst Spezialisten kaum je auf einer Bühne gesehen. Dabei ist es eine hintersinnige Komödie: Am Tag seiner Hochzeit bekommt der Postillon des Dorfes das Angebot, als Sänger an der Pariser Hofoper Ludwigs XV. Ruhm und Geld zu erringen - und das sofort. So verlässt er seine Frau noch vor der Hochzeitsnacht und trifft erst zehn Jahre später Madeleine wieder, doch als Madame de Latour erkennt er sie nicht und heiratet erneut. Das kostet ihn beinahe den Kopf, denn auf Bigamie steht die Todesstrafe. In einem raffinierten Showdown genießt die Verflossene erst die Rache, um den immer noch geliebten Luftikus am Ende wieder glücklich in ihre Arme zu schließen.

Die Produktion ist bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt

Hans Walter Richter (Regie) und Kaspar Glarner (Bühne, Kostüme) lassen sowohl die bäuerliche Welt wie die des Adels in einem süßen, sehr realistisch gebauten Barocktheaterchen spielen. Im Wechsel bei 180°-Drehung von Holzverschlag backstage und frontaler Barockbühne mit rotem Samt-Vorhang und bemalten Soffiten mischen sich die Ebenen virtuos. Francesco Demuro als leichtfertiger, ungetreuer Postillon meistert die hohe Tessitura und die vielfachen Spitzentöne mit Bravour und ist ein herrlich selbstironischer Darsteller im Federbusch-Kostüm Farinellis. Seine Madeleine (Monika Buczkowska) bewältigt ihre vertrackten Koloraturen ebenso gut wie sie darstellerisch überzeugt. Bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt ist die Produktion, etwa mit Tänzer Gabriel Wanka als Rose. Er ist auch für die Choreographie verantwortlich und schlüpft am Ende in das Kostüm von Madame de Latour.

Erik Nielsen lässt die überaus elegante, manchmal auch enorm witzige Musik fein parlieren und ermöglicht mit einem famosem Chor und dem nicht minder herausragenden Orchester der Tiroler Festspiele Erl die Wiederentdeckung eines Meisterwerks der musikalischen Komödie.

Bühnenfeier: "L'amico Fritz" ist auf der Bühne eine Rarität. In Erl wurde sie glutvoll gedeutet. (Foto: Xiomara Bender)

Am Tag zuvor spielte dasselbe Orchester einen komplett anderen Stil, vermochte die Leidenschaft und Ausdrucksgewalt von "L'amico Fritz" unter Francesco Lanzilotta am Pult freilich glutvoll und raffiniert zu gestalten, ob im hervorragend differenzierten Blech, mit großer Wärme in den Streichern oder in den seltenen, aber umso mächtigeren Ausbrüchen. Dass die kurz vorher entstandene "Cavalleria Rusticana" ein Welthit wurde, der musikalisch ausgefeiltere "L'amico Fritz" aber eine Rarität geblieben ist, liegt wohl vor allem an der zähen Lustspiel-Handlung, die kaum zur intensiven Musik passen will: Auf seiner Geburtstagsfeier verwettet der wohlhabende Fritz einen Weinberg, sollte er je heiraten. Zwar ist er von der mädchenhaften Anmut Zuzels, der Tochter des Gutsverwalters (ein lyrischer Sopran mit Kern: Karen Vuong) bezaubert. Doch bis er ihr endlich seine Liebe gesteht, vergeht allzu viel Zeit.

Um die Handlung glaubwürdiger zu gestalten, deutet Regisseurin Ute M. Engelhardt die Hosenrolle des Beppe mit seinen sinnlichen Geigensoli zur verführerischen Frau um, der Fritz ebenso verfallen ist, wie er sie auf Abstand hält. Er ertränkt seine widersprüchliche Gefühlswelt in Alkohol und erlebt die Auftritte Beppes, aber auch die Begegnungen mit Zuzel wie im Delirium. So wird die klassizistische Vertäfelung (Bühne: Sonja Füsti) immer wieder durchsichtig, gibt etwa ein von Statisten gestelltes Tableau vivant mit Botticellis "Frühling" als imaginierter Sehnsuchtsort von Fritz frei. Sogar die Kirschblüten des 2. Akts wachsen am Ende irreal aus den Wänden.

Gerard Schneider spielt den Dauerbetrunkenen wie den mit sich hadernden Hagestolz wunderbar und singt ihn mit bestechend schön timbriertem Tenor mit klangvoll sinnlicher Tiefe wie hervorragend gemeisterter, vertrackt hoher Mittellage und runden Spitzentönen. Die Reise nach Erl lohnt also auch in diesem Jahr gleich doppelt.

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