Erinnerungskultur:Mehr Kunst, mehr Gegenwart

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Mirjam Zadoff will das Programm des NS-Dokumentationszentrums internationaler und gegenwartsbezogener machen. (Foto: Stephan Rumpf)

Mirjam Zadoff stellt ihr erstes Programm für das NS-Dokuzentrum vor - und geht ganz neue Wege

Von Jakob Wetzel

Sie werde neue Schwerpunkte setzen, hat Mirjam Zadoff angekündigt, und sie hält, was sie versprochen hat. Seit Mai 2018 ist die 44-Jährige Leiterin des NS-Dokumentationszentrums München. Jetzt legt sie das erste unter ihrer Leitung zusammengestellte Programm vor. Und demzufolge stellt sich das Haus nicht nur internationaler und politischer auf, es weitet auch den Blick: Neben der Geschichte des Nationalsozialismus wendet sich das NS-Dokuzentrum künftig verstärkt der Gegenwart zu. Man wolle mit Mitmach-Formaten experimentieren, sagte Zadoff bei der Präsentation des Programms am Donnerstag. Zudem sind große Kunstprojekte geplant.

So wird gleich die erste Wechselausstellung eine Kunstinstallation sein: Von 14. Februar an zeigt die israelische Künstlerin Ronit Agassi "Fifth Season" mit unheilvollen, bedrohlich wirkenden Arbeiten aus organischen Materialien. Parallel dazu planen ab dem 28. Februar 200 Schülerinnen und Schüler der städtischen Berufsschule für Farbe und Gestaltung unter dem Motto "Nicht Schwarzweiß" eine gestalterische Intervention im Haus: Sie werden die Dauerausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus mit farbigen Schattenrissen, mit Lackplatten, einem Mobile oder auch mit Leuchtkästen ergänzen, um so ihre eigenen Lebenswelten einzubringen.

Mit einem außergewöhnlichen Kunstprojekt wird das NS-Dokuzentrum das Jahr 2019 auch beschließen: Unter dem Titel "Tell me about (yesterday) tomorrow" sollen ab 28. November internationale Künstler eigens für die Ausstellung geschaffene Werke zeigen, die sich mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen und diese mit der Gegenwart verknüpfen. Das NS-Dokuzentrum arbeitet hierfür mit dem Kurator Nicolaus Schafhausen zusammen, der noch bis Ende März die Wiener Kunsthalle leitet; seinen dortigen, eigentlich längerfristigen Vertrag hat er aus Protest gegen die rechtskonservative österreichische Regierung vorzeitig gekündigt. Im Münchner Dokuzentrum werden etwa 15 neue Werke zu sehen sein, sagte Schafhausen am Donnerstag. Es gebe auch die Idee, andere Orte zu bespielen, etwa den Königsplatz.

Im übrigen Programm setzt Mirjam Zadoff starke Impulse für einen stärkeren Gegenwartsbezug. Vorträge widmen sich etwa dem Erfolg und den Parolen von Rechtspopulisten oder der Frage, ob die Migration tatsächlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährde. In einer ganzen Veranstaltungsreihe will das Dokuzentrum eine Debatte über Rassismus und Antisemitismus in der Popkultur führen, angefangen am 14. März mit dem Gangsta-Rap. Die Reihe soll mit Debatten über Comics, Computerspiele, Kunst und Sport fortgesetzt werden. Und von 30. Mai an zeigt das NS-Dokuzentrum in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Augsburg die Wechselausstellung "Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge". Die Ausstellung greift einen satirischen Roman von Hugo Bettauer auf, der sich 1924 mit dem Antisemitismus in Wien auseinandersetzte, und verknüpft die Geschichte damit, wie heute Minderheiten ausgegrenzt werden.

Sie beobachte, dass die Menschen in Anbetracht der Geschehnisse in Europa und in den USA immer wieder Antworten in der Geschichte suchten, sagte Mirjam Zadoff am Donnerstag: Die Leute fragten sich, warum Diktaturen entstehen, warum Menschen liberale Demokratien abwählen und ihre Stimmen stattdessen autoritären Politikern geben. Hier sei das NS-Dokuzentrum gefragt, sagt Zadoff: "Unser Haus liegt an der Schnittstelle von Vergangenheit und Gegenwart, und es ist involviert in die Gestaltung von Zukunft."

Münchens scheidender Kulturreferent Hans-Georg Küppers lobte am Donnerstag Zadoffs neuen Kurs: Die Direktorin habe die richtigen Weichen gestellt. 2018 hat das NS-Dokuzentrum die Besucherzahlen um beinahe 20 Prozent auf 118 000 gesteigert. Jeder fünfte Besucher kommt dabei als Teil einer Gruppe. Gelungen sei die Steigerung unter anderem, indem man aktiv mögliche Besuchergruppen angesprochen habe, sagte Zadoff.

© SZ vom 11.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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