NS-Verbrechen:Goldene Stelen für Münchner Nazi-Opfer

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Ellen Presser von der Israelitischen Kultusgemeinde spricht in der Bürkleinstraße. Im Vordergrund die Stele für Emanuel und Rosa Kocherthaler. (Foto: Florian Peljak)

Zum Gedenken an die Deportation von 999 Münchner Juden im November 1941 enthüllt die Stadt mehrere Erinnerungszeichen.

Von Martin Bernstein

Am 20. November 1941 wurde mit einem Schlag ein Drittel der noch bestehenden jüdischen Gemeinde Münchens ausgelöscht: 999 Münchnerinnen und Münchner, unter ihnen 144 Kinder und Jugendliche, wurden an diesem Tag ins litauische Kaunas deportiert und dort fünf Tage später von SS-Einsatzgruppen ermordet. 77 Jahre danach hat die Stadt München am Dienstag Erinnerungszeichen für 16 jüdische Opfer der NS-Herrschaft enthüllt - in der Corneliusstraße 2, in der Widenmayerstraße 36 und in der Bürkleinstraße 16.

Dort, in der ehemaligen Hausnummer 20, war im November 1941 ein sogenanntes "Judenhaus". Die Behörden hatten jüdische Menschen zusammengepfercht - auf die Kontrolle "durch das wachsame Auge der gesamten Bevölkerung" bauend, wie Reinhard Heydrich es formuliert hatte. 3240 von einstmals weit mehr als 10 000 jüdischen Münchnern lebten Anfang November 1941 noch in der Stadt, in Sammellagern in Milbertshofen und Berg am Laim und in den "Judenhäusern". Es sollten nur Zwischenstationen sein vor der Deportation in Tod und Vernichtung. Michael Stephan, Leiter des Münchner Stadtarchivs, erklärt, "wie tief die deutschen Verwaltungsorgane und insbesondere die Kommunen in die nationalsozialistische Mordmaschinerie verwickelt waren".

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Am 28. Oktober 1941 informierte laut Stephan das Reichssicherheitshauptamt in Berlin den Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler, dass die Deportation von zwei- bis dreitausend Juden aus seiner Stadt geplant sei. Kurze Zeit später berief die Gestapo eine dringende Konferenz ein. Eingeladen waren alle Dienststellen, die an der Deportationen beteiligt werden mussten, darunter Vertreter der Stadtverwaltung, des Arbeitsamts und der Finanzbehörden.

Aus der Bürkleinstraße wurden am 20. November der zuvor bereits nach Dachau verschleppte Lehrer Ferdinand Kissinger, sein Bruder Julius - ebenfalls Lehrer - und dessen Ehefrau Jenny sowie deren Kinder Albert, 10, und Manfred, 9, nach Kaunas deportiert und dort ermordet. Der Kaufmann Emanuel Kocherthaler und seine Frau Rosa, die seit 1904 in dem Haus gewohnt hatten, wurden im Juni 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert und dort umgebracht.

Die Namen aller Bewohner des Hauses wurden am Dienstag auf Initiative der Politikwissenschaftlerin Felicia Englmann von Schülerinnen und Schülern des nahen St.-Anna-Gymnasiums verlesen. In die von Kilian Stauss gestalteten Stelen aus gebürstetem Edelstahl sind die wichtigsten Lebens- und Verfolgungsdaten sowie ein Bild in eine vergoldete Fläche eingeschnitten. "Momentan haben wir 50 weitere Anträge in Bearbeitung", sagt Stadtarchivleiter Michael Stephan. "Besonders erschreckend" ist es für ihn, "dass sich der Hass gegen Andersdenkende, gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen Minderheiten und insbesondere gegen Juden wieder offen zeigt. Auch daran sollten wir uns an einem Tag wie diesem erinnern."

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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