Süddeutsche Zeitung

Erfolgreiches Projekt:Quälende Fragen

Die Beratungsstelle Before betreut Opfer rechter Gewalt

Von Thomas Anlauf

Die Angst, das Leid, die Trauer lässt die Opfer so schnell nicht los. 37 Jahre ist es nun her, dass auf dem Oktoberfest 13 Menschen von einer Rohrbombe getötet und 211 zum Teil schwer verletzt wurden. 37 Jahre später leidet eines der Opfer noch immer so sehr unter dem Terroranschlag, dass es nun Hilfe bei der Münchner Beratungsstelle "Before" gesucht hat. Dort werden seit März 2016 Opfer und Betroffene von rechter Gewalt, von Rassismus und Diskriminierung unterstützt und betreut. An diesem Fall sehe man, dass Menschen auch nach so langer Zeit "nicht damit abschließen können", sagt Siegfried Benker, Geschäftsführender Vorstand von "Before". Das Problem sei gerade bei nicht restlos aufgeklärten Fällen wie dem Oktoberfestattentat die quälende Frage, weshalb Menschen überhaupt zu Opfern wurden.

So wie bei den Angehörigen der Opfer der NSU-Mordserie. Bis zu zehn Jahre lang standen sie selbst unter Verdacht, bevor bekannt wurde, dass dahinter die braune Terrorzelle steckte. Einige der Opferfamilien, auch die Münchner, werden bis heute von "Before" betreut und beraten. "Die Hinterbliebenen der Opfer des NSU-Terrors haben jahrelang unter der Nichtanerkennung der Taten, unter einer Täter-Opfer-Umkehr und dem rassistischen Vorgehen von Sicherheitsbehörden und der Presse gelitten", so Before-Sprecher Damian Groten. Jetzt müssten sie feststellen, dass als Nebenkläger ihre Interessen "auch im Gerichtssaal nicht angemessen berücksichtigt werden". So sagt einer der Betroffenen, es sei "lächerlich", wenn man nach mehr als vier Jahren Verhandlungen noch immer nicht wisse, "ob mein Bruder ein Zufallsopfer war oder ob es geplant war: Akten wurden geschreddert, Zeugen sind auf einmal verstorben. Und unsere Fragen wurden nicht beantwortet."

Solche frustrierenden Erfahrungen machen auch andere Opfer rechter und rassistischer Gewalt immer wieder, wissen die Helfer von "Before". "Die juristische Aufarbeitung rechter Gewalt bedeutet für die Betroffenen oft eine äußerst starke Belastung", sagt der ehemalige Münchner Oberbürgermeister und jetzige "Before"-Vorsitzende Christian Ude. Etwa im Fall des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum, derzeit steht deshalb Waffenhändler Philipp K. vor Gericht. "Es ist schwer, im Prozess zu sitzen. Aber ich muss hin, weil ich hören muss, was gesprochen wird", sagt die Mutter eines beim Attentat getöteten Sohnes. "Ich will wissen, wer oder was dahintersteckte." Die unmittelbare Nähe zum Angeklagten meiden allerdings viele Betroffene und nehmen lieber auf der Besuchertribüne Platz. Auch im Fall des Anschlags in Ebersberg, als 2015 eine Gruppe bewaffneter Täter einen Imbiss stürmte und die Opfer unter anderem mit einem Messer und einem Hammer attackiert hatte, sind die Betroffenen noch immer schwer traumatisiert. Gerade die Enge im Gerichtssaal und dass die Opfer oft nur wenige Zentimeter von den Tätern entfernt saßen, machte ihnen schwer zu schaffen. Dazu kommt die Angst vor Rache, "weil ich gegen sie ausgesagt habe", erzählt ein Betroffener. Kein Wunder: Vor Gericht wurden die Adressen der Opfer bekanntgegeben.

Es sind viele Dutzend Fälle von rechter und rassistischer Gewalt, die von "Before" seit knapp eineinhalb Jahren betreut werden. 2014 hatte der Münchner Stadtrat das Projekt beschlossen, bis Ende 2018 läuft bislang die Förderung. Ude betont jedoch, dass das Projekt leider "kein Auslaufmodell" sei angesichts der "zunehmenden Vergröberung und Brutalisierung" von Teilen der Gesellschaft. "Es geht darum, die Verpestung des Klimas nicht hinzunehmen", so Ude.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2017
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