Zwischen Kirche und Wirtshaus:Kur für Kühe

Zwischen Kirche und Wirtshaus: Direkt neben der Kirche in Bockhorn befindet sich das "Lazarett" für die Kühe und Kälbchen von Martin Pichlmair. Sein Hof liegt in unmittelbarer Nähe, so kann er regelmäßig nach ihnen sehen.

Direkt neben der Kirche in Bockhorn befindet sich das "Lazarett" für die Kühe und Kälbchen von Martin Pichlmair. Sein Hof liegt in unmittelbarer Nähe, so kann er regelmäßig nach ihnen sehen.

(Foto: Renate Schmidt)

Mitten in Bockhorn grasen genesende Tiere mitsamt ihrer Kälbchen. Landwirt Martin Pichlmair hat in idyllischer Lage einen geschützten Raum für erholungsbedürftige Rindviecher geschaffen

Von Thomas Daller, Bockhorn

Bevor sich der Flughafen ansiedelte und der große Zuzug begann, sagte man über den Landkreis Erding, hier gebe es mehr Rindviecher als Menschen. Der Subtext war natürlich als Gemeinheit zu verstehen, denn er sollte suggerieren, dass auch zweibeinige Ochsen darunter sind. Durch den Zuzug hat sich die Gewichtung verschoben, aber es gibt immer noch knapp 94 000 Kühe, Kälber, Ochsen und Bullen im Landkreis. Damit ist Erding mit 1,07 Rindvieh pro Hektar hinter Mühldorf und dem Unterallgäu die Nummer drei in Bayern. Aufgeschlüsselt nach Kommunen steht die Stadt Dorfen laut einer aktuellen Zählung mit 12 529 Rindern sogar an der Spitze aller bayerischen Gemeinden.

Aber die Tiere sind weitgehend aus dem Blickfeld und in die Ställe verschwunden. Vereinzelt sieht man sie noch an Wiesen mit steiler Hanglage, die man mit dem Traktor nur schwer bewirtschaften kann. Auch die Offenstallhaltung nimmt zu. Doch die Zeiten, in denen überall am Ortsrand die Tiere grasten, sind längst vorbei. Nur in wenigen Orten wie beispielsweise Salmannskirchen, Gemeinde Bockhorn, sieht man Jahr für Jahr viele Mutterkühe mit ihren Kälbchen auf den Weiden stehen, auch die Jungbullen haben ihre eigene Wiese. Und in Bockhorn selbst reibt man sich verwundert die Augen: Mitten im Ort, zwischen Kirche und Wirt, befindet sich eine eingezäunte Wiese, auf der fast immer eine Kuh mit ihrem Kälbchen weidet. Das Grundstück ist etwa so groß wie ein Bolzplatz und wäre andernorts bestes Bauland. Was steckt dahinter? Ein uralter Erbpachtvertrag mit der Kirche?

In der Pfarrei winkt man ab: Nein, das Grundstück sei in Privatbesitz des Landwirts Martin Pichlmair, dessen Hof in unmittelbarer Nähe liege. Und Pichlmair hat seine Gründe, warum er den Grund nicht als Bauland verkauft: Er würde damit seinem Hof schaden, sagt er. Denn es würde nicht lange dauern, bis die ersten Beschwerden der neuen Anwohner kämen - wegen Lärmbelästigung oder weil es bei ihm nach Kuhstall rieche.

Stattdessen nutzt er diese Wiese in zentraler Lage als "Lazarett": Dort bringt er Kühe hin, die gesundheitliche Probleme haben. Und ihre Kälbchen dürfen natürlich mit. Erst kürzlich sei eine Kuh nach einem Nabelbruch operiert worden, nun grase sie in der Nähe seines Hofes, wo er mehrmals täglich nach ihr sehen könne. "Sie ist zehn bis 14 Tage unter Beobachtung, bis die Fäden gezogen werden", sagte Pichlmair.

Martin Pichlmair betreibt eine Mutterkuhhaltung: 170 Kühe hat er und mit den Kälbchen sind es etwa 300 Rinder. Für diese Art der Haltung braucht er kaum Ställe. Die Kühe müssen nicht zur Melkmaschine gebracht werden, weil die Kälbchen die Milch bekommen. Tag und Nacht, bis Anfang November, stehen sie auf der Weide. Dann werden die Kälber in Mastbetriebe verkauft, und der Zyklus beginnt von neuem. Pichlmair hat 30 Hektar eigene Wiesen, auch diejenigen am Ortsrand von Salmannskirchen. "Aber das ist zu klein in heutiger Zeit", sagt der Landwirt. Und da fängt sein Problem an: Er muss Flächen pachten. Seit der Biogasboom im Landkreis vor fünfzehn Jahren begonnen hat, sind die Pachtpreise durch die Decke gegangen: Bis zu 1000 Euro pro Hektar werde verlangt, sagt Pichlmair. "Vom Ökonomischen her passt das hinten und vorne nicht mehr." Er betreibe seine Mutterkuhhaltung nun schon seit 25 Jahren und sei nun schon über 60, also beruflich "auf der Zielgeraden". Die Gebäude seien alle bezahlt, er lebe von der Substanz. Eine seiner Töchter habe zwar Interesse, den Hof zu übernehmen, aber wirtschaftlich trage sich das nicht mehr, sagte Pichlmair. Wenn er aufhört, wird wohl einer der letzten Betriebe schließen, bei dem die Tiere idyllisch auf der Weide gehalten werden.

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