Zorneding ein Jahr nach dem Skandal:Die Wiedervereinigung einer Gemeinde

Vor einem Jahr verließ Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende wegen rassistischer Morddrohungen Zorneding. Die Spannungen, die durch fremdenfeindliche Äußerungen aus der Orts-CSU ausgelöst wurden, sind bis heute spürbar

Von Anselm Schindler, Zorneding

Als der katholische Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende bei einer seiner letzten Messen in Zorneding vor den Gläubigen stand, da saßen in der ersten Reihe auch zwei Polizisten in Zivil. Wenige Tage zuvor war ein älterer Mann im Rathaus aufgetaucht, "der hat damit gedroht, Ndjimbi-Tshiende umzubringen", erinnert sich Bianka Poschenrieder, SPD-Gemeinderätin und Zweite Bürgermeisterin von Zorneding. Sie stellt die Kaffeetasse ab, stützt sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, rückt mit dem Oberkörper weiter nach vorne. "Ganz nah ist er hergekommen, das war richtig unangenehm", sagt sie, ihre Stimme wird leiser.

Poschenrieder rief damals die Polizei. Kurze Zeit nach dem Vorfall am 6. März, also vor genau einem Jahr, wurde bekannt, dass Ndjimbi-Tshiende die Gemeinde verlässt. "Er hatte wirklich Angst, die Gerüchte, dass er schon früher vorhatte, die Gemeinde zu verlassen, stimmen nicht", sagt Poschenrieder, die bis heute Kontakt zu dem Geistlichen hält.

Im August 2015 wartete das Magazin Der Spiegel mit zwei Titelbildern auf: Auf dem einen waren Menschen mit bunten Luftballons zu sehen, auf dem anderen ein brennendes Flüchtlingsheim. "Helles Deutschland" stand auf dem einen Cover, "Dunkles Deutschland" in Frakturschrift auf dem anderen. Die Geschichte handelte von einer Gesellschaft, die sich spaltet, sich zerstreitet an der Flüchtlingsfrage. Aus einer Debatte wurde eine Schlammschlacht, "Gutmenschen!" riefen die einen, "Nazis!" die anderen.

Zorneding kath. Pfarrkirche im Ortsumfeld

Als "Sturm, der über Zorneding hinwegfegte" bezeichnet Bürgermeister Piet Mayr die heutigen Ereignisse.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Zorneding begann die Schlammschlacht im Oktober 2015, sie trieb einen Keil zwischen den Pfarrverband und die örtliche CSU, sowie zwischen die Fraktionen im Gemeinderat. Als "Sturm, der über Zorneding hinwegfegte" bezeichnete Bürgermeister Piet Mayr (CSU) beim diesjährigen Neujahrsempfang der Gemeinde den Streit um die rassistischen Äußerungen der damaligen CSU-Ortsvorsitzenden Sylvia Boher. So, als ob eine Naturgewalt über die Gemeinde hereingebrochen sei, für die niemand etwas könne.

Als weltoffene, moderne Gemeinde präsentiert sich der Ort auf seiner Homepage selbst, doch wer das Stichwort "Zorneding" bei Google eingibt, dem springen schnell Überschriften ins Auge, die Zorneding von seiner dunkelsten Seite zeigen. Die Wiedervereinigung der beiden Zornedings dauert bis heute an. In den Köpfen vieler Zornedinger schwirre immer noch herum, "wer wem damals weh getan hat", sagt Zornedings Bürgermeister. Die Differenzen seien bis heute noch nicht gänzlich überwunden, auch wenn wieder Alltag eingekehrt sei, "und sich die Menschen nach Normalität sehnen". Bestätigt wird das auch von der Zweiten Bürgermeisterin: "Das merkt man beispielsweise in den Gemeinderatssitzungen, am Abstimmungsverhalten innerhalb der CSU-Fraktion. Da gibt es keine Einheit mehr."

Amtsgericht Ebersberg - Causa 'Tshiende' - Volksverhetzung

Im November 2016 kehrte Olivier Ndjimbi-Tshiende noch einmal in den Landkreis zurück, um als Zeuge vor Gericht auszusagen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In seinem jüngsten Türkei-Urlaub sei er von anderen Touristen gefragt worden, was er denn arbeite, berichtet Piet Mayr. Als er geantwortet habe, er sei Bürgermeister von Zorneding, da seien auf Anhieb "flapsige Bemerkungen" gefallen. "Irgendwann ist man das leid", sagt Mayr. Dass seine Gemeinde in der Öffentlichkeit in ein so schlechtes Licht gerückt worden sei, das tue ihm bis heute weh. "Auch ich habe damals Drohbriefe bekommen. Von beiden Seiten": Einerseits von denen, die eine schärfere Abgrenzung gegenüber den Aussagen Bohers erwarteten, andererseits auch von Rechten, die die Aussagen Bohers unterstützt hätten. Einer der Briefe sei unmissverständlich als Morddrohung zu verstehen gewesen, Mayr gab diesen Brief an die Polizei weiter, die damals einen rechtsradikalen Hintergrund vermutete.

Begonnen hat alles mit einem Artikel der Gemeinderätin Boher im örtlichen CSU-Blatt. Dort schrieb Boher von einer "Invasion", Bayern werde "überrannt" - so, als handele es sich bei Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten um eine feindliche Armee. Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende geißelte die Aussagen von Boher als menschenfeindlich. Rückendeckung erhielt er dabei vom Pfarrgemeinderat, der in einem offenen Brief Bohers "braune Gedankenwelt" scharf angriff. Bei der Gemeindeverwaltung hätten nach der Veröffentlichung Bürger angerufen, "die haben sich beschwert, dass in einem offiziellen Gemeindeblatt solche Dinge drin stehen", erinnert sich Poschenrieder. "Offensichtlich dachten die bis zu diesem Zeitpunkt, dass es sich bei dem Parteiblatt um eine offizielle Zorneding-Broschüre handelt."

Zorneding Bunt statt Braun Lichterkette für Pfarrer Ndjimbi-Tshiende

Nach seinem Weggang hatten mehr als 3000 Menschen gegen Fremdenhass demonstriert.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch es gab auch Bürger, die sich von den Aussagen Bohers angesprochen fühlten: Wochenlang erhielt der schwarze Pfarrer Drohbriefe mit rassistischen Morddrohungen. Und der ehemalige Stellvertreter Bohers, Johann Haindl, goss in dem Streit weiter Öl ins Feuer und bezeichnete den gebürtigen Kongolesen Ndjimbi-Tshiende in einem Gespräch mit der Ebersberger Zeitung als "Neger", der aufpassen müsse, dass ihm der Altpfarrer "nicht mit dem nackerten Arsch ins Gesicht springt".

Das was da passiert ist, hätte in jeder anderen Gemeinde im Bundesgebiet genauso passieren können, sagt Poschenrieder. Das ist die eine Wahrheit. Die andere hat mit der Ortsentwicklung zu tun, mit einer Gemeinde die in den vergangenen Jahrzehnten rasant anwuchs. Das ursprünglich bäuerliche Gesicht der Gemeinde wurde von großen Neubaugebieten wie dem Daxenberg verdrängt, die Orte Pöring und Zorneding zusammengeschlossen.

Manche Alteingesessenen seien von dieser Entwicklung schlichtweg überfordert gewesen, erklärt Poschenrieder. Viele von ihnen hätten eine Haltung entwickelt, die allem Fremden kritisch gegenüberstehe. Das rechtfertige natürlich keine rassistischen Ausfälle, so die Zweite Bürgermeisterin. Als Erklärung hilft es trotzdem. Als dann im Sommer 2015 geflüchtete Menschen in Zorneding untergebracht wurden, wirkte das wie ein Katalysator für den Frust einiger Alteingesessener. "Da waren auf einmal 57 ganz junge Männer mit verschiedensten Ethnien", erinnert sich Poschenrieder. "Wir haben erst am selben Tag, als sie hier untergebracht wurden, erfahren, dass sie kommen, auch die Nachbarn wurden völlig überrumpelt." Als es dann auch noch Auseinandersetzungen unter den Asylbewerbern gab, da kippte in einem Teil des Ortes die Stimmung. Während die einen versuchten, die Lage zu beruhigen, Kleidung sammelten und Deutschunterricht anboten, versuchten die anderen, die Stimmung für ihre politische Agenda zu nutzen.

Zorneding Reportage wg. Rücktritt afrikanischer Pfarrer 03.2016

Die beiden Seiten der Gemeinde zeigen sich auch in manchen Graffiti - beziehungsweise deren Übermalungen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nun, nach einem Jahr, ist klar: Die, die für eine konstruktive Lösung gearbeitet haben, konnten sich durchsetzen. Die meisten Asylbewerber aus der Containeranlage am Bahnhof seien gut in den Ort integriert, sagt Poschenrieder. In ein paar Wochen werden in der Gemeinde neue Flüchtlinge in eine neue Containeranlage im Ortsteil Pöring einziehen. Und dieses Mal sei die Gemeinde besser vorbereitet. Zwar habe es auch dieses Mal kritische Stimmen aus der Anwohnerschaft gegeben, erklärt Piet Mayr. Doch die Bedenken seien inzwischen weitestgehend ausgeräumt. Demnächst plane man eine öffentliche Begehung der Containeranlage, "damit die Bürger sich das anschauen können".

Der Pfarrverband setzte sich in den Wochen, nachdem die Äußerungen aus der CSU bekannt wurden, dafür ein, dass die beiden Kirchtürme, die bis dato das Cover des CSU-Blattes schmückten, dort nicht mehr gezeigt werden. Der Skandal war perfekt. Während Boher zwar ihre übrigen CSU-Ämter auf Druck des Landesverbandes hin aufgeben musste, aber Gemeinderätin blieb, verließ Ndjimbi-Tshiende die Gemeinde. Das stört die Zweite Bürgermeisterin bis heute. "Es wäre gut gewesen, wenn sie das Amt niedergelegt hätte." Das allerdings, erwidert Bürgermeister Mayr, sei "die persönliche Entscheidung von Frau Boher". Er, Mayr, hätte Boher auch gar nicht aus dem Gemeinderat ausschließen können, selbst wenn er gewollt hätte, denn das lasse die Gemeindeordnung nicht zu. Auch Jutta Sirotek, Bohers Nachfolgerin, betont, dass es deren persönliche Entscheidung gewesen sei, Mitglied des Gemeinderats zu bleiben, "sie wurde schließlich auch demokratisch in den Gemeinderat gewählt". Auch auf eine Entschuldigung von Bohers Seite habe man in Zorneding lange gewartet, auch in der CSU-Fraktion, sagt Bianka Poschenrieder. Doch die umstrittene Christsoziale habe sich nur zu der Aussage hinreißen lassen, ihre Aussagen böten "Spielraum für Interpretation". Bis heute gebe Boher der Presse die Schuld an der Eskalation.

Am 7. November vergangenen Jahres hatte Ndjimbi-Tshiende, der inzwischen an der Universität in Eichstätt arbeitet, seinen vorerst letzten Termin im Landkreis Ebersberg. Auf der Anklagebank saß ein Rentner - übrigens nicht aus Zorneding -, der vom Gericht wegen einem der rassistischen Drohbriefe verurteilt wurde. "Es war für Ndjimbi-Tshiende wichtig, dass der Mann verurteilt wurde, dann konnte er endlich einen Schlussstrich ziehen", erinnert sich Poschenrieder, die auf der Zuschauerbank saß. Ndjimbi-Tshiende selbst hat mit den Querelen um Boher abgeschlossen, wie er in einer E-Mail schreibt. Ausführlicher äußern will er sich nicht, er wolle alte Wunden nicht wieder aufreißen.

Heute würde auch sie einiges anders machen, sagt Poschenrieder: Denn im Zorneding Report der CSU habe es schon vor der besagten Ausgabe rechte Vorstöße gegeben. "Wir haben das viel zu lange belächelt", sagt Poschenrieder. Wenn der Fall Boher etwas lehre, dann das: Gegen rechte Tendenzen müsse man einschreiten, bevor sie eskalieren.

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